Ein kalter Winternachmittag auf dem Marktplatz von Dinslaken-Lohberg. Die Sonne steht tief über den Gründerzeithäusern der Bergbausiedlung. Nur ein paar türkisch-stämmige Jugendliche stehen hier in dicken Daunenjacken zusammen, hören Musik, reden. Zu den Salafisten und späteren Dschihadisten, die diesen Ort deutschlandweit bekannt gemacht haben, haben sie einen klaren Standpunkt.
"Alles Schweine, die haben Lohberg schlecht gemacht. Vor zwei Jahren haben wir noch mit denen gefrühstückt, mit den Leuten, die mit dem langen Bart da. Jetzt sind die weg - jeder redet schlecht über die."
Und über Lohberg, sagt Cengiz, der seinen wahren Namen nicht nennen möchte. Der 19-jährige Schüler streicht sich durch seinen noch nicht ganz vollen Vollbart. Er ärgert sich darüber, dass sein geliebter Heimatort seit zwei Jahren nur noch mit Salafisten, Dschihadisten, der "Lohberger Brigade" in Verbindung gebracht wird. Dabei sei das 6.000 Einwohner Städchen Lohberg doch so viel mehr.
"Die Leute halten in Lohberg zusammen, Deutsche, Ausländer, egal. Und plötzlich hört man so was, über ganz Lohberg, nicht mit einem, mit allen, wird da abgerechnet. Ist doch scheiße."
Dass jetzt zum ersten Mal einem Mitglied der berüchtigten Lohberger Brigade der Prozess gemacht wird, ist für ihn und seine Freunde kein Thema. Sie hören zum ersten Mal davon. Den Angeklagten Nils D. selbst, kannten sie kaum.
"Ach so der Dicke - Welcher? Der immer mit dem Kombi rumgefahren ist."
Initiativen und Präventionsprojekte
Zwei Straßen weiter, im Ledigenheim, der früheren Arbeiterkaserne der Stadt, sind ein paar Mitglieder des Lohberger Integrationsrates zusammengekommen. Sie tauschen sich über die Initiativen und Präventionsprojekte aus, die sie anbieten, seit sich in Lohberg alles um die Dschihadisten dreht. Der Ort habe sich in den vergangenen Jahren völlig verändert, erzählt Gülsüm Yigit, die stellvertretende Vorsitzende des Rates.
"Wir sind enger zusammengerückt. Alle Vereine hier in Lohberg. Wir sprechen das Thema jetzt offen an: Es gibt da ein Problem und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Aber ich denke wir haben jetzt auch vieles auf die Beine gestellt."
Zum Beispiel die Anlaufstelle Wegweiser. An die sich Eltern wenden können, deren Kinder sich radikalisieren. Allerdings: Es sei alles andere als einfach diese Eltern zu erreichen, sagt die dreifache Mutter - und legt die Stirn in falten.
"Es ist ja nicht leicht, zu sagen mein Kind ist in die Salafismus-Szene abgerutscht, mein Kind ist nach Syrien gegangen. Also die Eltern, deren Kinder tatsächlich nach Syrien gegangen sind, die halten sich noch sehr bedeckt."
Monatelang wurde hier über kaum etwas anders gesprochen als über die Dschihadisten erzählt Bahri Haciimanoglu. Der 40-Jährige arbeitet als Sozialpädagoge und trainiert die C-Jugend im Fußballverein.
"Wir führen jetzt unsere Arbeit weiter, auch wenn es mit Vorsicht gerade ist. Wenn jetzt Leute zum Fußball kommen, guck ich zweimal: Wer meldet sich da gerade an. Es ist traurig, dass ich jemanden ablehnen muss, der vielleicht einen salafistischen Hintergrund hat, wo ich genau den eigentlich annehmen muss, damit der rauskommt aus seinem Trotz, aus dem Elend. Aber ich muss auch auf meinen Verein gucken - nicht damit ich jetzt plötzlich auch verurteilt werde."
Bergwerk schloss 2006
Die Lohberger hatten es auch vor dem Skandal um die Brigade nicht leicht. Noch vor zehn Jahren haben sie hier alle zusammen auf der Zeche malocht, waren eine Art Schicksalsgemeinschaft. Nachdem das Bergwerk 2006 dicht gemacht wurde, haben sie versucht, das Beste aus ihrer Bergarbeitersiedlung zu machen - und den Jugendlichen neue Perspektiven aufgezeigt.
"Früher hatten sie schon Probleme, wenn sie einen Migrationshintergrund hatten eine Ausbildungsstelle zu finden, heute haben sie noch mehr Probleme. Wenn der Arbeitgeber liest, der kommt aus Dinslaken - oh da war die Lohberger Bridage. Ich muss mal vorsichtig sein."
"Es gibt sogar Jugendliche - die umziehen, wirklich, damit die einen Ausbildungsplatz kriegen, nach Gelsenkirchen nach Düsseldorf."
Damit nur nicht Lohberg im Personalausweis steht, erzählt Integrationsrat Erol Tonk. Die Stadt sei für Jahre gebrandmarkt sagt sein Mitstreiter Haciimanoglu, zuckt resigniert mit den Schultern. Daran werde auch der Prozess gegen Nils D. nicht viel ändern.
"Wenn mal wieder ein Anschlag passieren sollte was ich nicht hoffe, wird man wieder die Verbindung nach Lohberg suchen. Immer wieder."