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Terrorismusexperte warnt vor El-Kaida-Zellen

Der Terrorismusexperte Udo Ulfkotte hält aus der Sicht von islamistischen Terrorgruppen auch Deutschland für ein mögliches Ziel von Terroranschlägen. In Deutschland würden irakische Offiziere ausgebildet. Man könne demnach nicht sagen, man habe mit dem Irakkrieg nichts zu tun. Mehr als 300 "brandgefährliche" Personen aus dem El-Kaida-Umfeld stünden hierzulande unter Beobachtung, so Ulfkotte weiter.

Moderation: Jürgen Liminski | 08.07.2005
    Jürgen Liminski: "Der Krieg in unseren Städten - wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern" so heißt eines, vielleicht auch das bekannteste Buch des Terrorexperten Udo Ulfkotte. Er ist nun am Telefon, guten Morgen.

    Udo Ulfkotte: Guten Morgen.

    Liminski: Es gehört zum Wesen des Terrors, dass er überraschend oder zumindest unerwartet zuschlägt, selbst wenn man vorbereitet ist. War das diesmal auch so?

    Ulfkotte: Es kam obwohl man vorbereitet war und innerhalb der Geheimdienste seit langem wusste, dass Anschläge in Europa bevorstünden, deshalb kam es trotzdem vollkommen überraschend, weil man eben glaubte vor dem Hintergrund des G8-Treffens werde sich niemand trauen und jemanden so demütigen. Dass genau das eingetreten ist, das hat man in der Tat nicht vorhergesehen.

    Liminski: Sie haben eben Europa erwähnt, auch Deutschland ist im Visier, sagt jedenfalls der bayerische Innenminister, auch der Innensenator von Berlin hat vor einer Stunde etwa auf diesem Programm davon gesprochen. Wollen wir keine Ängste wecken, aber kommt der Terror auch zu uns?

    Ulfkotte: Nein, Panik zu schüren ist vollkommen unangebracht, aber man muss hier weder Geheimdienste noch Politiker bemühen, um diese Frage zu beantworten, sondern in diesem Fall kann man ganz nüchtern schauen, was haben Gruppen im Umfeld von El Kaida, islamistisch-terroristische Gruppen in den vergangenen Monaten angekündigt und dazu zählt eben das so genannte Ultimatum von Bin Laden selbst, die Tonbandbotschaft vom April 2004, in der er gesagt hat, wenn Deutschland sich weiterhin in Irak und Afghanistan engagiert, dann werde man auch dort zuschlagen. Nun sagen viele in Deutschland: ja halt, wir sind doch gar nicht im Irak engagiert. Gut, wir haben etwa 2000 Soldaten in Afghanistan, aber mit dem Irak haben wir nichts zu tun. Dann sollte man der Bevölkerung in Deutschland vielleicht auch einmal die Wahrheit sagen: Wir haben beispielsweise an der NATO-Schule in Oberammergau in Bayern, dort bilden wir irakische Offizieren aus. Wir haben also sehrwohl damit zu tun. Das heißt, aus der Sicht dieser Terrorgruppen ist Deutschland ein legitimes Ziel und wir haben ja mehrfach Anschläge auch schon verhindert in Deutschland, etwa gegen den irakischen Ministerpräsidenten Alawi oder auf einer Eröffnungsveranstaltung der internationalen Automobilausstellung in Frankfurt, so dass es in meinen Augen wie auch in den Augen der Sicherheitsbehörden eigentlich nur eine Frage der Zeit ist, bis es solche Anschläge geben wird, aber eben nicht heute und morgen, sondern diese Gruppen denken und planen langfristig.

    Liminski: Sind wir nicht als Hinterland des Terrorismus viel nützlicher für die Islamisten und deshalb in gewisser Weise auch schonenswert? Wir stehen ja nicht mit Truppen im Irak, sicher, es werden Offizieren hier ausgebildet, aber eigentlich sägen sie doch dann an dem Ast, auf dem sie sitzen.

    Ulfkotte: Nein, das machen sie deshalb nicht, weil die Möglichkeiten in Deutschland, dass einem etwas passiert als Terrorsympathisant oder -unterstützer, sind doch sehr begrenzt. Wir haben auf einer Liste mehr als 300 Personen stehen, die als so brandgefährlich gelten, dass man ihnen zutraut, schon morgen einen Anschlag auszuüben in Deutschland. Diesen Personen passiert ja nichts, sie werden observiert und überwacht, aber eben nicht rund um die Uhr und schon gar nicht alle, denn dazu hat man gar nicht das Personal. Denen passiert eben erst dann etwas, wenn man ihnen konkreten Tatbeteiligung oder Vorbereitungshandlungen nachweisen kann und Sie sehen in Fällen Mzoudi und ähnlichen, dass selbst wenn sie in Terrorlagern gewesen sind und sie als höchstverdächtig gelten, in Deutschland nichts passiert. Selbst wenn es hier also einen Anschlag geben würde, wird nur einer sehr geringen Zahl aus ihrem Umfeld etwas passieren und den allermeisten nicht, weil man ihnen nichts wird nachweisen können.

    Liminski: Sie sprechen von 300 Personen in Deutschland, wie ist denn das Netzwerk der El Kaida in Europa, hat man da genauere Vorstellungen, vielleicht sogar eine Art Organigramm bei den Sicherheitsbehörden?

    Ulfkotte: Das gibt es in der Tat. Man darf sich das eben nicht so vorstellen wie einen Motorradklub, der europaweit Mitglieder hat und eben in verschiedenen Chaptern oder Stammzellen organisiert ist und sich dann gelegentlich trifft und irgendeinen Erfahrungsaustausch betreibt. Die haben eben nicht das gleiche Schild auf dem Rücken ihrer Kutte sondern gehören verschiedenen Gruppierungen oder Namen an. Es gibt sehr viele verschiedene Gruppen. Sie alle vereint letztendlich ein Ziel: der Kampf gegen die Kreuzritter, gegen den verhassten Westen, Israel, die Vereinigten Staaten und das, was wir sofort immer El Kaida zuschreiben - ich bin nicht überzeugt, dass El Kaida selbst gestern in London den Anschlag verübt hat, aber eine El-Kaida-nahe Gruppe ganz bestimmt. Das heißt, wir fokussieren uns sehr stark auf eine sehr einflussreiche dieser Gruppen und beim Organigramm in Europa muss man eben sehen, dass der Überbau - es muss ja etwas geben, was hier alles verbindet - die Muslim-Bruderschaft ist, Al-Ikhwan, die 1928 in Ägypten gegründet worden ist und die kann eben überall in Europa völlig frei und ungehindert agitieren, denn sie ist nirgendwo in Europa Beobachtungsobjekt von Verfassungsschutz und Geheimdiensten. Gelegentlich ja, aber eben nicht regelmäßig. Und das ist die Gruppierung, die eben auch für Nachschub sorgt, die junge Leute anwirbt und mit einem Ideologie-Cocktail, der eben hasserfüllt ist. Mir ist sehr wichtig, wir schauen immer, wie kann man eigentlich Attentate verhindern, das ist die Frage, um die es heute überall geht. Wir kann ich in Deutschland einen Terroranschlag verhindern? Viel wichtiger erscheint mir aber: Wie kann ich neue Attentäter verhindern? Darum kümmert sich leider niemand. Die werden eben nach wie vor produziert, auch hier in Deutschland. Endlich einmal in die Moscheen hineinzugehen und sich diese Bücher anzuschauen, die es zum Teil gibt. Der Hass, der da drinsteht, muss ja von irgendwoher kommen, da zieht ja nicht ein Wanderprediger aus Pakistan hier durch Deutschland oder England uns spricht ein paar junge Leute an und sagt: willst du nicht El-Kaida-Kämpfer werden? Das passiert ja ein bisschen anders und damit haben wir uns leider noch nie auseinandergesetzt, weil die Menschen eben schnelle kurzfristige Antworten suchen und die Bekämpfung des Terrors leider ein bisschen aufwendiger wäre.