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Terrormiliz IS
Frauen wollen Vergeltung für unsagbare Verbrechen

Die Terroristen der IS-Miliz vergewaltigen, verkaufen und foltern Frauen und Mädchen in Syrien und dem Irak. Selbst erfahrene Ärztinnen in Schutzzentren finden kaum Worte für das, was sie von den Opfern erfahren. In den Zentren sammeln sich aber auch Frauen, die zurückschlagen - um andere Frauen zu schützen und zu rächen.

Von Anne Allmeling und Anna Osius |
    Irakische Frauen, die aus Mossul geflüchtet sind.
    Irakische Frauen, die aus Mossul geflüchtet sind. (AFP / Delil Souleiman)
    Der Islamische Staat: Er gilt als die gefährlichste Terror-Organisation der Welt. Um die Vision von einem Kalifat umzusetzen, überrannten seine Anhänger große Teile des Iraks und Syriens - mit mörderischer Brutalität. Auch wenn die Extremisten mittlerweile etwas zurückgedrängt werden konnten: Noch immer leben Zehntausende Menschen unter der Herrschaft des IS. Besonders schwer haben es die Frauen: Sie werden ins Haus gesperrt, versklavt und vergewaltigt. Wer den Terror überlebt hat, wird ihn sein Leben lang nicht vergessen.
    Hussein will sich nicht beruhigen lassen. Der acht Monate alte Säugling liegt auf dem Schoß seiner Mutter Amineh in einem Zelt, einem von tausenden im Flüchtlingslager Debaga, rund 80 Kilometer südöstlich von Mossul. Der Wind schlägt gegen die Zeltwand, es herrscht Sandsturm. Die 22-Jährige ist mit dem Baby allein. Ihr Mann versucht, außerhalb des Lagers Geld zu verdienen, um die kleine Familie zu ernähren. Zweieinhalb Jahre lang haben sie in Mossul unter der Herrschaft des IS gelebt.
    Amineh wurde während der Schwangerschaft von IS-Kämpfern gefoltert
    Amineh wurde während der Schwangerschaft von IS-Kämpfern gefoltert (dpa / picture alliance / Anna Osius)
    "Das Leben war schrecklich. Wir hatten nicht genug zum Überleben, mein Mann versuchte, Zigaretten zu verkaufen, die Terroristen haben ihn festgenommen, ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Als sie sahen, dass ich um meinen Mann weinte - und sie konnten durch den Vollschleier ja nur meine Augen sehen -, da wollten sie mich auch schlagen und einsperren. Sie zwangen mich, mein Gesicht mit Dreck zu waschen. Und ich war hochschwanger."
    Tränen laufen Amineh über das Gesicht. Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch. Amineh wirkt wie eine junge Studentin, sie könnte irgendwo auf der Welt in einem Coffeeshop sitzen oder am Abend ins Kino gehen. Stattdessen ist sie hier.
    Die 22-Jährige trägt einen rosa Schal als Kopftuch, eine modische Jacke, vorsichtig figurbetont – sie versucht, auf sich zu achten, trotz der schwierigen Bedingungen im Flüchtlingslager. Ein Leben im Zelt, der Wüstenwind fegt durch das Lager, der Sand ist überall. Es gibt vier Toiletten für 100 Menschen.
    "Der IS ist ein Teufel"
    "Wenigstens sind wir sicher hier im Camp, aber ich will nach Hause. Der IS ist ein Teufel, durch ihn leben wir ohne Familie, ohne Eltern, ohne unser Leben. Die Terroristen müssen verfolgt werden, nicht wir, wir haben nichts Böses getan."
    Jetzt ist Winter, und das mit einem Baby. Amineh sitzt viel mit Schaha zusammen, auch eine Bewohnerin des Flüchtlingslagers. Schaha ist schon älter, erfahrener, hat schon mehrere Kinder großgezogen. Ihr jüngster Sohn, Daha, ist genauso alt wie Aminehs Kind, die beiden Babys teilen sich einen alten Schnuller. Auch Schaha hat unter dem IS in Mossul gelitten.
    Mädchen im Flüchtlingslager Debaga
    Mädchen im Flüchtlingslager Debaga (dpa / picture alliance / Anna Osius)
    "Wir konnten noch nicht mal aus der Tür gehen, ohne uns komplett zu verschleiern, also nur noch einen Schlitz für die Augen, und Handschuhe mussten wir auch tragen. Einmal hatte ich vergessen, meine Handschuhe anzuziehen, wir waren im Auto, und ich nahm das Kind hoch. Da sahen die Terroristen durch das Autofenster meine nackten Hände. Sofort haben sie uns gestoppt, verhört, die Autopapiere weggenommen. Man konnte noch nicht mal zu den Nachbarn gehen, ohne sich so zu verkleiden – für uns Frauen war das kein Leben."
    Amineh und Schaha konnten dem IS entkommen – doch für viele andere Frauen ist das Grauen in Mossul noch immer nicht vorbei.
    Besonders dramatisch ist die Lage der Jesidinnen. Schätzungen zufolge befinden sich allein in der nordirakischen Stadt Mossul mehrere tausend Frauen und Mädchen in der Gewalt des IS. Sie werden gefangen gehalten, gequält und missbraucht, denn sie gehören einer religiösen Minderheit an – die der IS als "Ungläubige" bezeichnet.
    Frauen werden auf dem Markt verkauft
    Das Siedlungsgebiet der Jesiden in der Provinz Ninive im Norden des Irak wurde Anfang August 2014 von den Extremisten überrannt. Tausende Männer wurden vom IS umgebracht, die Frauen vergewaltigt und verkauft – wie auf einem Sklavenmarkt. Khairi Barzani von der kurdischen Regionalregierung in Erbil kennt die Methoden der Extremisten.
    "Das funktioniert ungefähr so wie ein Flohmarkt in Deutschland – nur handelt es sich bei der Ware um Menschen. Die jesidischen Frauen werden für sehr wenig Geld angeboten, wie etwas, das man nicht mehr braucht. Der Preis für ein Mädchen beträgt zwischen einem und 500 Dollar."
    Eine, die diesen Horror überlebt hat, ist Nadia Murad. Sie geriet in Gefangenschaft, als IS-Anhänger vor zweieinhalb Jahren den Ort Kocho im Süden des Sindschar-Bergers einnahmen. Allein hier töteten die Extremisten mehrere Hundert Männer und ältere Frauen, darunter auch Nadias Mutter und sechs ihrer Brüder. Nadia selbst wurde verschleppt – wie viele andere Frauen und Mädchen.
    Nadia Murad konnte nach drei Monaten fliehen
    "Wir wurden mit einem Bus nach Mossul gebracht. Sie berührten und demütigten uns. In Mossul wurden wir wie Geschenke unter den IS-Kämpfern ausgetauscht. Ein Mann suchte mich aus und zwang mich zu sich nach Hause. Er vergewaltigte mich, folterte mich. Als ich versuchte zu fliehen, brachte er mich zu den Wächtern. Sie vergewaltigten mich ebenfalls, alle gemeinsam, bis ich ohnmächtig wurde."
    Die UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel, Nadia Murad, spricht am 01.12.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Landtag vor den Abgeordneten. Die jesidische Menschenrechtsaktivistin hat Baden-Württemberg für die Aufnahme von IS-Opfern gedankt. 
    UN-Sonderbotschafterin Nadia Murad (dpa / picture alliance / Franziska Kraufmann)
    Etwa drei Monate befand sich Nadia in den Händen der Terroristen, dann gelang ihr die Flucht – mithilfe einer Familie aus der Nachbarschaft. In einem Flüchtlingslager in der Nähe der kurdischen Stadt Dohuk fand Nadia Unterschlupf. Heute lebt die 23-Jährige in Deutschland. Im September wurde sie zur ersten "UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel" ernannt. Ihr Anliegen: auf das Schicksal ihrer Leidensgenossinnen aufmerksam machen. Denn: Frauen zu verschleppen und zu vergewaltigen, sei das Kalkül der Extremisten, sagt Sybille Fezer von der Hilfsorganisation Medica Mondiale:
    "Sexualisierte Kriegsgewalt ist ja immer auch eine Botschaft an den Gegner, und in dem Fall vom IS auch ganz gezielt so gewählt; wenn ich die gegnerische Frau in meine Obhut nehme, sozusagen zu meinem Eigentum mache, dann verletze ich damit noch viel mehr den Gegner, als wenn ich sie einfach nur umbringe."
    Die Vereinten Nationen stufen das Ausmaß der Gewalt gegen die Jesiden als versuchten Völkermord ein.
    Wie viele Jesidinnen sich heute noch in Mossul befinden, weiß niemand genau. Der kurdischen Regionalregierung ist es in den vergangenen zweieinhalb Jahren gelungen, mehr als 2.000 Frauen und Mädchen mithilfe von Mittelsmännern freizukaufen und aus dem Einflussgebiet des IS herauszuschmuggeln. Ein gefährliches Unterfangen, und ein Risiko bis zum Schluss, erzählt Khairi Barzani, der Zuständige in der kurdischen Regionalregierung:
    "Vor ein paar Monaten hat sich ein Mittelsmann mit drei Mädchen auf den Weg nach Kirkuk gemacht. Kurz vor der Ankunft ist eine Mine explodiert. Der Mann ist gestorben, auch eins der Mädchen. Eins ist erblindet, nur das jüngste ist heil angekommen. Für uns ist das sehr, sehr schmerzhaft."
    Diejenigen, die der Gefangenschaft entkommen konnten, sind meist schwer traumatisiert. In Dohuk, etwa 70 Kilometer nördlich von Mossul, kümmern sich Spezialisten um jesidische und andere Frauen und Mädchen, die dringend Hilfe benötigen.
    "Ein Fall ist trauriger als der nächste"
    Das "Hilfszentrum für Frauen und Mädchen in Dohuk" hat allein in diesem Jahr mehr als 800 Patientinnen medizinisch und psychologisch unterstützt, die aus Gebieten unter IS-Kontrolle fliehen konnten – oft unter dramatischen Umständen. Manche Fälle würden selbst die Ärzte an den Rand ihrer eigenen Kräfte bringen, erzählt die Gynäkologin Naam Nawzat.
    "Es ist hart. Unsere Arbeit ist sehr schwer, sie übersteigt manchmal mein Können. Seit zwei Jahren kümmere ich mich um die Frauen. Ein Fall ist trauriger als der nächste. Da gibt es Neunjährige, die vergewaltigt wurden – und die auf brutalste und erniedrigendste Weise behandelt wurden."
    Eine jesidische Frau stützt in einem Flüchtlingscamp im Nordirak den Kopf auf die Hand
    Eine vor den Dschihadisten geflohene Jesidin in einem Flüchtlingscamp im Nordirak (AFP / Ahmad Al-Rubaye)
    Physischer und psychischer Terror, den die Frauen und Mädchen über Monate oder gar Jahre ertragen mussten. Ihr sehnlichster Wunsch sei gewesen zu sterben, erzählt eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen mag: "Ich habe nur versucht, einen Weg zu finden, dem Ganzen zu entfliehen. Drei Mal habe ich versucht, mich umzubringen, damit sie mich nicht mehr berühren können."
    Das Ausmaß der Gewalt, die die Frauen und Mädchen unter dem IS erlebt haben, übersteigt vieles, was die professionellen Helfer in anderen Krisen- und Konfliktgebieten beobachtet haben, sagt Sybille Fezer. Sie sprechen von:
    "Mehrfach-Traumatisierung, die die Frauen erleben mussten, zudem, dass sie dann verschleppt und mehrfach vergewaltigt und oft von Haus zu Haus weiter verkauft wurden, haben die ja oft auch vorher erlebt, dass ihre Männer oder Kinder ums Leben gekommen sind, umgebracht wurden. Haben erlebt, dass ihre Töchter vergewaltigt wurden, dass ihre Familien auseinandergerissen wurden. Eine der Kolleginnen, die mit den Frauen arbeitet, hat gesagt, sie hat das so – und sie hat weltweit schon mit traumatisierten Frauen gearbeitet – so in dem Ausmaß fast noch nie erlebt."
    Die Folgen: schwere physische und psychische Beschwerden wie Schlafstörungen und Depressionen, die den Alltag unmöglich machen: "Ich gehe zum Arzt, weil ich so eine Wut habe. Ich kann mit nichts mehr umgehen – nicht einmal mit meiner kleinen Tochter."
    Die Frauen ziehen in den Kampf gegen den IS
    Sie werfen sich auf den staubigen Boden, springen wieder auf, laden ihre Gewehre durch: Viele Frauen greifen selbst zu den Waffen. In den Kurdengebieten im Nordirak und im benachbarten Syrien gibt es mehrere Einheiten, die nur aus Frauen bestehen – unverschleierte, militärisch ausgebildete junge Frauen mit schweren Geschützen, die kämpfen: Gegen den IS, um das eigene Volk zu verteidigen, aber auch für Gleichberechtigung und Frauenrechte. Auch Jesidinnen greifen zu den Waffen – sie haben eine eigene Einheit im Sindschar-Gebirge gebildet, um die Gräueltaten an ihrer Volksgruppe zu rächen. Eine von ihnen ist Enas – eine junge Jesidin in Uniform.
    "Ich bin hierhingekommen, um für mein Land zu kämpfen. Für unsere Frauen, die immer noch vom IS gefangen gehalten werden. Und ich kämpfe für meine Schwester, die von den Dschihadisten getötet wurde. Ich hab keine Angst mehr vor dem IS."
    Die Sonnen-Mädchen, so nennen sich die bewaffneten Jesidinnen – in Anlehnung an die kurdische Flagge. Sie arbeiten eng mit den kurdischen Peshmerga im Nordirak zusammen, sagt Leutnant Jasmin, die die Einheit anführt.
    "Wir Sonnen-Mädchen bestehen aus 140 Soldatinnen, Die meisten von ihnen waren selbst vom IS versklavt, konnten sich befreien, und jetzt kämpfen wir, um die Demütigungen und Gräueltaten zu rächen. Damit das nie wieder passiert."
    Frauen, Freiheit, Leben - das ist der Schlachtruf der Kurdinnen – im Nordirak und in Syrien. Nicht nur Jesidinnen, auch viele kurdische Soldatinnen kämpfen an vorderster Front gegen den IS. Zum Beispiel beim Sturm auf Rakka, der Hochburg des Islamischen Staates in Syrien. Angekündigt wurde diese Offensive der hauptsächlich kurdischen Kämpfer in diesem November– von einer Frau.
    "Gute Nachricht für Rakka!" Verkündet eine Kommandeurin der Demokratischen Kräfte Syriens bei einer Pressekonferenz im Dorf Ain-Issa, rund 50 Kilometer nördlich von Rakka.
    Die Demokratische Kräfte Syriens sind ein Bündnis verschiedener bewaffneter Gruppen, angeführt von der kurdischen YPG, auch Volksverteidigungseinheiten genannt. Sie wird als terroristische Vereinigung eingestuft und ist der bewaffnete Arm der PYD. Er wiederum gilt als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. In ihrem Kampf gegen den IS werden die Kurden unter anderem von den USA unterstützt.
    Media ist Kurdin – und kämpft seit Jahren für die kurdische Sache, in der Türkei und in Syrien. Als Kommandantin einer reinen Fraueneinheit habe sie mit ihren Soldatinnen den IS bereits aus mehreren Orten in Nordsyrien zurückdrängen können, erzählt sie einem Fernsehreporter.
    "Wir müssen uns im Namen dieser Frauen rächen"
    "Mein Beruf ist mein Volk zu schützen. Aber wenn es darum geht, Frauen zu schützen, habe ich ein Gefühl der Berufung. Denn als Frau kann ich ihren Schmerz ganz anders spüren als ein Mann. Wir müssen verhindern, dass Frauen und Kinder in die Hände des IS fallen, wir müssen die Frauen befreien, die von den Terroristen gefangen gehalten werden. Und wir müssen uns im Namen dieser Frauen rächen."
    Die Frauen kennen das Gelände gut. Rojava nennen sie die kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien – Westkurdistan. Das Markenzeichen der Kurdischen Kämpferinnen im Kampf gegen den IS: Das Trillern – ihr Schlachtruf als Frauen.
    Dahinter steckt eine Botschaft an den Gegner: Achtung, wir Frauen kommen. Denn – so sagen sie hier: Für die Dschihadisten sei es besonders demütigend, von einer Frau angegriffen und getötet zu werden. Den IS-Kämpfern wird der Glaube nachgesagt, dass sie - wenn sie in der Schlacht um das Kalifat von einem gegnerischen Mann getötet werden – automatisch als Märtyrer in den Himmel kommen. Und dort von 72 Jungfrauen erwartet werden (*). Werden sie aber von einer Frau getötet, so glauben viele IS-Kämpfer – dann gebe es für sie keinen Himmel - dann warte die Hölle. Media schüttelt den Kopf.
    "Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Es ist der Selbstbetrug der rassistischen Patriarchen. Sie glauben, dass sie der Mittelpunkt der Welt sind, und die Glaubensbasis dieses radikalen sunnitischen Islam ist das Patriarchat. Eine Frau ist minderwertig, kein richtiger Mensch. Bestenfalls ein Objekt. Und so haben sie dieses Konzept entwickelt, dass Frauen sie im Himmel erwarten. Aber Pech für sie – die Realität ist eine andere: Viele werden hier auf der Erde von unseren Frauen getötet."
    Die Kurden gelten als das größte Volk weltweit ohne eigenen Staat. Sie leben unter anderem im Südosten der Türkei, im Norden Syriens, Norden des Iraks, und im Iran. In Trainingszentren werden die jungen kurdischen Frauen an der Waffe ausgebildet. Viele hier sind gerade mal 16, 17 Jahre alt. Für sie ist der Kampf eine Tradition – schon Geschwister, Eltern und Großeltern zogen für den kurdischen Traum in die Schlacht - den Traum von einem eigenen Land, einem vereinten Kurdistan.
    Sie sehen einen Kontrollpunkt der kurdischen Peschmerga-Kämpfer westlich von Erbil im Nordirak.
    Ein Kontrollpunkt der kurdischen Peschmerga-Kämpfer westlich von Erbil im Nordirak. (AFP / Safin Hamed)
    "Wir kämpfen, um unser Land zu verteidigen, ob das im Irak ist oder im Iran. Wir kämpfen, um die Grenzen zwischen Kurdistan auszulöschen und das Land zusammenzubringen."
    Das ist die Hauptsorge von Kritikern der kurdischen Bewegungen, wie des türkischen Präsidenten Erdogan. Er fürchtet, dass sich die Kurden in Syrien und im Irak immer weiter ausbreiten – und damit auch die Autonomiebestrebungen innerhalb der Türkei zunehmen. Dort hat der Unabhängigkeitskampf der Kurden eine blutige Geschichte, Anschläge der PKK erschüttern seit Jahrzehnten das Land, es gab viele Tote.
    Kämpferinnen auch für mehr Gleichberechtigung
    Doch für die kurdischen Frauen im Nordirak und in Syrien scheint es um mehr zu gehen als um den Kampf für ein eigenes Land. Es gehe für Kämpferinnen um ihre Rechte – als Frau, sagen Beobachter. In den Ortschaften Syriens, in denen die Kurden in Selbstverwaltung leben, sei die Gleichberechtigung ausgeprägter als in manch anderen Ländern, sagt Sibylle Fezer von Medica Mondiale:
    "Dass sie wirklich schon selber ihre Dorfräte haben, ihre Selbstverteidigungsgruppen, Frauen-Kommunen, und sogar im Plan haben, ein ganzes Dorf nur für Frauen aufzubauen, weil sie sagen, es gibt Frauen, die ganz bewusst überhaupt nicht mehr in Familienstrukturen leben wollen."
    Die Gleichberechtigung als Teil ihrer Politik tragen die Kurden weit vor sich her – Teil der kurdischen Propaganda, sagen Beobachter. Im Alltag, in den patriarchalischen Familienstrukturen, sei die Gleichberechtigung jedoch auch bei den Kurden noch lange nicht vollzogen.
    Deswegen kommt es immer wieder zu Demonstrationen. Frauen, Freiheit, Leben – rufen sie, wie hier auf einer Frauen-Protestbewegung im Norden Syriens, die im Fernsehen übertragen wird. An der Front seien es die Frauen, die besonders engagiert gegen den IS vorgingen, sagt ein Kommandeur in einem Interview. Denn für die Frauen gehe es um mehr: Das Ringen um die eigenen Rechte. "Frauen kämpfen besser als Männer. Denn die Frauen wissen, wofür sie kämpfen."
    Tagsüber sind sie in der Schlacht gegen den IS, nachts sitzen sie am Feuer zusammen und singen – die Kurdinnen an der Front. Ein Kamerateam hat sie begleitet. Die Musik gehört bei ihnen dazu – die Lieder machen ihnen Mut. Weiterzumachen, weiterzukämpfen. Gegen den IS – und für das, woran sie glauben. So wie die 20-jährige Zozan:
    Kämpfen, um zu leben
    "Früher, in der Geschichte, wurden wir Frauen als heilig angesehen. Im Laufe der Zeit haben die Männer, vor allem in dieser Region, uns unserer Rechte beraubt. Wir wurden ein Gegenstand, der kochen kann, Kinder aufziehen, und dienen. Jetzt erkämpfen wir uns den Status, den wir verdient haben, zurück. Meine Freundinnen und ich wollen beweisen, dass eine Frau all das tun kann, was ein Mann tut. Unser Kampf hier ist nicht nur für die kurdischen Frauen, sondern für Frauen in der ganzen Welt."
    Vor den Dschihadisten der Terrororganisation Islamischer Staat hat Zozan keine Angst: "Sie sollten Angst vor mir haben. Ich weiß genau, wer die IS-Kämpfer sind. Sie sind nur Menschen, ich bin auch ein Mensch. Sie wissen, wie man kämpft – ich weiß es auch. Sie haben Waffen – ich auch. Was ich habe – und was sie nicht haben – ist ein Sinn, der es wert ist, dafür zu kämpfen. Das gibt mir Kraft. Ich bin hier, um meine Existenz, mein Leben zu schützen. Ich kämpfe, um zu leben. Die Terroristen kämpfen, um zu sterben.
    Eines haben sie alle gemeinsam: Die Frauen im Flüchtlingslager, die Jesidinnen in Mossul, die kurdischen Kämpferinnen an der Front. Sie hoffen auf ein Leben ohne den IS, ohne eine Terrororganisation, die den Frauen ihre Rechte nimmt, sie unterdrückt und quält. Das Leben unter widrigsten Umständen hat sie stark gemacht – stark, dem Terror entgegenzutreten, weiterzumachen, zu überleben.
    Und Amineh, die junge Frau mit dem Baby im Flüchtlingslager? Sie ist einfach nur froh, dem Horror der Terrororganisation IS entkommen zu sein. Endlich, sagt sie, kann ich wieder mein Gesicht zeigen. Ein Lächeln huscht über ihre Wangen.
    (* Anmerkung der Redaktion: Dem Audio und einer ursprünglichen Version dieses Textes war zu entnehmen, dass es im Koran stehe, dass IS-Kämpfer glaubten, als gestorbene Märtyrer im Himmel von 72 Jungfrauen erwartet zu werden. Das ist falsch: Die Vorstellung von den 72 Jungfrauen entstammt den Hadithen, den islamischen Überlieferungen, nicht dem Koran.)