Was braucht es Drohnen, Stinger- oder Hellfire-Raketen? Die Terrororganisation "Islamischer Staat" zeigt in diesen Wochen, dass sich große Effekte auch mit kleinen Mitteln erzielen lassen. Ebenso gut wie Hightech tut es auch ein Messer an einer menschlichen Kehle. Nun haben wir gelernt, dass sich selbst mit einem Hammer nachhaltig Eindruck erzielen lässt. Geht man damit auf Jahrtausende alte Statuen los, kann man weltweiter Aufmerksamkeit gewiss sein. Exekutionen und Kunstzerstörungen vor laufender Kamera sorgen verlässlich für Entsetzen. Dies auch darum, weil sie einander so gut ergänzen. Die Idee, auf Kunstwerk aus vorislamischer Zeit loszugehen, weil diese angeblichen Götzendienst verkörperten, entstammt derselben Logik, die es angemessen findet, Menschen zu töten, weil diese andere Vorstellungen vom Leben haben, in der Sprache der Dschihadisten: "Ungläubige" sind. Der Kampf des IS ist nichts Geringeres als ein Aufstand gegen die Wirklichkeit.
Das Gründungsdokument der Bewegung stammt aus dem Jahr 2007. Verfasst hat es der Vorläufer des IS, der "Islamische Staat Irak". Das Papier empfiehlt drei Prinzipien der Agitation: Erstens Terror und Zerstörung; zweitens gnadenlose Brutalität; und schließlich den Aufbau des Kalifats.
Damit empfiehlt sich der IS als eine durch und durch moderne Organisation. Die wesentlichen Lektionen jüngerer totalitärer Bewegungen hat er auf das Gründlichste verinnerlicht. Ob Kommunismus, Nazismus oder jetzt eben der Dschihadismus: Immer kommt es darauf an, auf den absoluten Feind zu setzen, ob damit Juden, Kapitalisten oder nun eben Ungläubige gemeint sind.
Und immer darf es auch um nichts Geringeres gehen als darum, die Welt zu retten, dem absoluten Bösen das absolute Gute entgegenzusetzen. Erfahrene Demagogen wissen, dass es darunter nicht zu machen ist. Und sie wissen auch, dass man den Anhängern etwas bieten muss: Action. Aufmärsche, sei es wie damals in Berlin oder Moskau oder heute in Form langer Ketten PS-starker Geländewagen vor der untergehenden irakischen Wüstensonne: Die Bilder suggerieren Erhabenheit.
Orgien der Zerstörung
Unverzichtbar sind auch Orgien der Zerstörung: Brennende Synagogen, die weggesprengte Christ-Erlöser-Kirche in Moskau, nun das Statuen-Gemetzel im Antiken-Museum von Mosul. Man muss zuschlagen, um im Gespräch zu bleiben. Das gilt für zeitgenössisch sich gebende Heilslehren ebenso wie für solche, die die Rückkehr in die Vergangenheit versprechen. In Zeiten von Unterhaltung und Spektakel ist auch für mit religiösen Motiven spielende Erweckungsbewegungen brutaler Budenzauber eine zwingende Beigabe.
Fragt sich nur, wie lange das so weiter gehen kann. Vor knapp zwei Jahren hat sich der IS auf der globalen politischen Bühne vorgestellt. Seitdem hat er Bilder stärkster Intensität geliefert. Diese dürften nicht leicht zu steigern sein. Steigerung ist bei revolutionären Bewegungen aber zwingend vorgesehen. Sie fordern ein stetes Mehr an Intensität, sonst werden die Anhänger müde. Denn wo das höchste Gut eine niemals einholbare Utopie ist, da wird der lange Marsch zum Selbstzweck. Was aber, wenn man niemals ankommt? Im Kommunismus war mit dem Spektakel nach Stalins Tod Schluss, im Nationalsozialismus ging es noch schneller. Und das waren Regime, die von ordentlichen Staaten getragen wurden, nicht von halbimprovisierten Kalifaten.
Wettstreit um gottgefälliges Leben
Es liegt in der Logik der Sache, dass der "Islamische Staat" seine Energien irgendwann gegen sich selbst richten wird. Die Bewohner des Kalifats - jedenfalls insofern sie freiwillig dort leben und nicht dazu gezwungen sind - werden in einen Wettstreit um das gottgefälligste Leben miteinander treten. Was alles ist zu tun oder zu lassen, um dem höchsten Wesen noch besser zu gefallen? Darüber werden sich Diskussionen entzünden und wie die Dinge stehen, werden sie angesichts der im IS gepflegten Streitkultur einigermaßen ruppig geführt.
Bis dahin wird es noch eine Weile dauern, und solange werden die Kämpfe blutig bleiben. Aber sicher ist, dass Erlösungsphantasien irgendwann an ein Ende kommen, wenn die Erlösung in nichts anderem als unausgesetzten Erregungsschüben liegt. Wie es eben so ist, wenn die Utopie sich im Spektakel erschöpft.