"Wie schon oft gesagt, steht es gar nicht gut um uns."
Bevor es hier jetzt um irgendetwas anderes gehen wird, dies, dies apodiktisch vorweg: "Wir sterben!"
Das wäre schon mal klar. Dabei will er eigentlich doch nur nach Hause, um zu telefonieren. Wobei, genauer gesagt wartet Qohen Leth (Christoph Waltz) auf einen, ach was, den Anruf. Der mysteriöse Vorstand der geheimnisvollen, omnipräsenten Internetfirma mit ihrem alles beherrschenden Supercomputer (Matt Damon), er fragt ja angeblich nur:
"Was ist das vermeintliche Problem?" - "Wir wollen einfach zu Hause bleiben." - "Zu Hause?" - "Wir könnten leicht den doppelten Output erreichen."
"In Heimarbeit", meint Computergenie Qohen, zu Hause, ohne Störung und immer in Nähe des Telefons. Dort, in der ausgebrannten Kirche, wo Qohen sich gerne vollends verkriechen würde. Das Computergenie, das von sich selbst nur im majestätischen Plural redet:
"Sehen Sie, wir warten jetzt schon unser ganzes Leben darauf. Inhalt und Ausgangspunkt unseres Anrufs sind uns im wesentlichen verborgen. Aber wir können nicht umhin zu hoffen, dass der den Sinn im Leben gibt, auf den wir so lang verzichten mussten."
Audiovisueller Overkill
Wenn der mysteriöse Vorstand der allmächtigen Firma Qohen Leths Ansinnen nur kommentiert mit: "Sie sind völlig verrückt, Mr. Leth!", so ist das richtig, aber auch gleichzeitig unzureichend in der Diagnostik, denn nicht Qohen - Qohen allein -, sondern was Terry Gilliam in seinem neuen Film "The Zero Theorem" insgesamt entwirft, ist wohl verrückt. Und in gewisser Weise eine surreal überbordende Variante des dystopischen Kosmos von "Brazil", Gilliams Film von 1984. Die Welt in "The Zero Theorem" ist be-, nein, quasi übervölkert mit Bildern, Kameras. Audiovisueller Overkill. Hier ist der einsame Mann, ein Genie, aber Rädchen im Getriebe einer übermächtigen Netzfirma. Und die Frage nach dem Sinn des Lebens, die mit dem heiß ersehnten Anruf beantwortet werden könnte, die könnte auf die Null, das Nichts hinauslaufen, was wahrscheinlich ebenso Ergebnis des titelgebenden Zero-Theorems sein könnte, das Qohen im Auftrag der Firma lösen soll, was aber der Sohn des Firmenvorstands schon lange gelöst hat. Sagt er.
"Du versuchst zu beweisen, dass das gesamte Universum einfach mal für den Arsch ist."
Apropos "null", apropos "nichts": die Gefühlsverfassung dieses Helden:
"Im Moment empfinden wir keine Freude. - Und was empfinden Sie? - Na nichts!"
Qohen Leth ist eine Art Ritter "von der traurigen Gestalt". Sehr vertraut als Terry-Gilliam-Figur. Wenn diese Metapher auf einen Filmemacher selbst zutrifft, dann auch auf Terry Gilliam. Der "Time Bandits" oder "Brazil", "König der Fischer" oder "12 Monkeys" drehte, dessen unvollendeten und dramatisch gescheiterten Projekte aber ebenso Legion sind.
Allein, wenn man die Dokumentation über Gilliams Scheitern seiner Don-Quichotte-Verfilmung - auf DVD erhältlich - sieht, dann liegt es nahe, in dem Ex-Monty-Python-Mann einen Wiedergänger des Mannes zu sehen, der gegen Windmühlen kämpfte. Ebenso nahe liegt es auch, die Energie zu bewundern, mit der Gilliam mit überbordender visueller Fantasie und ausgestattet mit einem faszinierenden Füllhorn schräger Einfälle eine kafkaeske Welt zeichnet, die immer wie aus den Fugen geraten, aber dann noch mal zusammengeklebt wirkt. Dabei, nicht zu vergessen:
"Unsere größte Sorge ist es, unseren Anruf zu verpassen."
Wobei im Beipackzettel solches Lebens natürlich jede Menge Nebenwirkungen zu vermerken sind:
"Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leben, Angst vor offenen Plätze, Angst vor geschlossenen Räumen, Angst vor Mitmenschen, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor dem Verpassen eines gewissen Anrufs. - Nein, nein, nein!"
Dass Qohen dann von einer lasziv-verführerischen Frau aus seinem nerdigen Autismus gerissen wird, war vielleicht zu erwarten. Also geht es auch mal kurz um Liebe, Begierde, Genuss. Das vielleicht eher eine Illusion.
Überschäumende Fantasie
Am Ende ist man fast erschlagen von der Fülle der Einfälle, die uns Terry Gilliam mit "The Zero Theorem" präsentiert. Ein Film, der keine gradlinige Erzählung bietet, sondern sich langsam zusammensetzt; allerdings wohl kaum zu einem konventionellen Ganzen. Surreal Durchgeknalltes zu präsentieren, das war immer die Meisterleistung von Terry Gilliam. Und wir? Den einen Moment sind wir erschlagen, orientierungslos, überfordert, gelangweilt, dann wieder fasziniert von dieser überschäumenden, -quellenden, -schwappenden Fantasie. Geben wir uns diesem Film und seiner Ästhetik hin, ganz, dann ist alles gut. Und es bleibt in diesem Zusammenhang und unter diesem Aspekt und bei aller mitunter etwas anstrengenden Unübersichtlichkeit eine Auszeichnung, wenn gesagt wird:
"Sie sind völlig verrückt!"