Der Handel mit Testosterpräparaten boomt. Die Pharmaindustrie bewirbt ihre Produkte als Lebenselixier im Alter, als „Benzin für deine Männlichkeit“, wie es unter anderem in Werbeclips heißt. Die perfekte Blaupause dafür liefert der Begriff der Andropause.
Der bezeichnet die angeblichen männlichen Wechseljahre, die wie diejenige der Frauen, der Menopause, von einer nachlassenden Hormonproduktion gekennzeichnet sein sollen. Der Begriff Andropause war von Beginn an umstritten, inzwischen hat die medizinische Forschung ihn als Mythos entlarvt.
Welche Aufgabe hat Testosteron im menschlichen Körper?
Testosteron gehört biologisch zur Gruppe der Androgene, den männlichen Geschlechtshormonen. Als wichtigstes Androgen ist Testosteron notwendig und verantwortlich für die Ausbildung und den Erhalt der männlichen Geschlechtsmerkmale sowie die Aufrechterhaltung der maskulinen reproduktiven Funktionen, also Spermienbildung und Libido. Auch Antrieb, Ausdauer, Risikobereitschaft oder Konkurrenzverhalten werden durch das Hormon beeinflusst.
Für Aufbau und Erhalt von Muskulatur und Knochenstabilität kommt Testosteron auch bei Frauen vor, allerdings in sehr viel geringerem Maß. Zudem fördert Testosteron die Bildung von Erythrozyten und erhöht damit die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes, was eine Steigerung der körperlichen (Ausdauer-)Leistung bewirken kann. Deshalb und wegen seiner aufbauenden Wirkung für die Muskulatur wird Testosteron im Sport missbräuchlich auch für Dopingzwecke eingesetzt.
Im männlichen Körper wird Testosteron vornehmlich in den sogenannten Leydig-Zellen des Hodens gebildet. Bei beiden Geschlechtern produzieren zudem die Nebennieren in begrenztem Maße Testosteron, im weiblichen Körper außerdem die Eierstöcke. Nur ein kleiner Teil des Testosterons kreist frei im Blut und ist somit im Normalfall verwertbar. Wie viel Testosteron ein Mann benötigt, ist unterschiedlich. Die Hormonmenge schwankt saisonal und im Tagesverlauf. Außerdem sinkt der Testosteronspiegel nach schwerer körperlicher Arbeit, ebenso infolge von zum Beispiel Stress oder Alkoholgenuss.
Woher kommt der Hype um Testosteron?
Testosteron steht synonym für Männlichkeit und Libido. Ein Mythos, den das Testosteron schon im 19. Jahrhundert umgab. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte dann Arnold Schwarzenegger Testosteron in der Bodybuilder-Szene populär. Dass dieses Hormon die Muskeln schneller wachsen lässt und die Blutbildung anregt, sprach sich schnell herum.
Manche Männer empfinden einen Mangel an Energie oder Potenz, machen dafür ihren Hormonspiegel verantwortlich und setzen dann auf Testosteron-Booster. Testosteron gilt als Lebenselixier im Alter, als Motor für Sexlust und schnelles Denken - und wird auch als solches beworben. In einer Gesellschaft, die immer älter wird und der Körperkult eine immer größere Rolle spielt, treffen die Botschaften der Pharmaindustrie bei vielen Männern offenbar den richtigen Nerv.
Seit der Jahrtausendwende schnellten die Verkaufszahlen für Testosteronpräparate in die Höhe. In Deutschland stieg die Zahl der Verschreibungen testosteronhaltiger Gele an gesetzlich Versicherte zwischen 2002 und 2011 um das Achtfache. Und der Trend hält an: Zwischen 2015 und 2022 stiegen die Umsatzzahlen von testosteronhaltigen Präparaten in Deutschland um 13 Millionen Euro. Darin nicht eingerechnet sind Produkte, die über inoffizielle Vertriebswege gekauft werden.
Sinkt der Testosteron-Spiegel im Alter?
Angesicht steigender Absatzzahlen von Testosteronpräparaten, ließe sich vermuten, dass immer mehr Männer unter einem Testosteronmangel leiden. Wie viele es wirklich sind, ist umstritten. Häufig zitiert wird eine Studie, die 2006 im Fachmagazin International Journal of Clinical Practice erschienen ist. Demnach leiden etwa 40 Prozent der über 45-Jährigen unter Testosteronmangel.
Frank Sommer, Leiter des Institut für Männergesundheit in Hamburg, schreibt auf seiner Webseite, dass bei etwa 20 bis 30 Prozent der Männer über 50 Jahre ein Androgenmangel auftritt. Demnach nehme ab dem 40. Lebensjahr das im Blut zirkulierende freie Testosteron jährlich um 1,2 Prozent ab. In anderen wissenschaftlichen Artikeln ist von einem Absinken des Testosteronspiegels im Alter um 0,4 bis einem Prozent die Rede.
Testosteronmangel oder Hypogonadismus, wie er in Fachkreisen genannt wird, gibt es also bei älteren Männern. Allerdings gilt in der medizinischen Forschung inzwischen als erwiesen: Der Mangel ist nicht eine kausale Folge des Alterns sondern eine Konsequenz von Krankheit. So zeigte eine Studie des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster: „Bei einem gesunden Mann, auch wenn er 80 ist, ist die Spermienproduktion und die Testosteronproduktion im Gang. Und ganz normal“, so der Leiter des Zentrums Stefan Schlatt.
Heißt: Die Testosteronproduktion bei Männern sinkt nicht altersbedingt. „Beim Mann ist eigentlich vorgesehen, lebenslang Testosteron zu produzieren“, sagt Schlatt. „Ist der Mann allerdings öfter krank gewesen, schwach, insgesamt nicht fit, passiert das Gleiche im Hoden. Und dann gibt es einen gewissen Abfall, der ungefähr bei einem Prozent pro Jahr liegt.“ Doch das sei ein „theoretischer Wert“: „Weil, solange der Mann fit ist, auch mit 90, hat er eigentlich normale Testosteronmengen.“
Gibt es die Andropause bei Männern?
Das bedeutet umgekehrt: Testosteronmangel bei Männern ist nur bedingt eine Folge des Alterungsprozesses. Natürlich nimmt mit den Jahren auch die Zahl der Krankheiten zu: Bluthochdruck, Diabetes oder auch das Bauchfett, alles Feinde des Testosterons. Und dadurch steigt auch die Zahl derjenigen, die einen Hormonmangel entwickeln. So steht es inzwischen auch den in europäischen Leitlinien zum Thema Hypogonadismus.
Reproduktionsmediziner Schlatt kommt daher zu einer eindeutigen Einschätzung: „Die Andropause ist eine Erfindung.“ Der Begriff sei angelehnt an die weibliche Menopause „einfach eine Marketingstrategie“, und getriggert vom Verkauf von Testosteronprodukten, bei denen die Gewinnmargen enorm seien. Laut dem Leiter des Instituts für Männergesundheit in Hamburg, Sommer ist das Wort Andropause inzwischen komplett aus allen wissenschaftlichen Publikationen gestrichen.
Wann ist eine Testosteron-Therapie sinnvoll?
Einen altersbedingten Abfall des Testosteronspiegels gibt es also nicht - wohl aber mehr Krankheiten und eine Zunahme des mittleren männlichen Bauchumfangs. Und dies kann sich negativ auf den Testosteronspiegel auswirken. Denn überschüssiges Bauchfett kann nicht nur Bluthochdruck, Diabetes oder andere Erkrankungen zur Folge haben, es führt unter anderem auch dazu, dass die Testosteronkonzentration im Körper sinkt.
Das wiederum führt dazu, dass Männer ihren Bierbauch nur sehr schwer wieder loswerden. Ein Teufelskreislauf, sagt der Essener Urologe Tobias Jäger. Solchen Männern könne man mit Testosteronpräparaten auf die Sprünge helfen: „Dann nimmt der Mann an der Stelle ab, wo es auch Sinn macht, nämlich genau am Bauch.“ Dadurch sinke auch der Blutdruck. Wenn sich der Patient anschließend fitter und gesünder fühle, sollte die Testosteron-Therapie erst einmal beendet und geschaut werden, was von der Symptomatik Testosteronmangel übrigbliebe.
Wer abnimmt, verbessert seine Testosteronwerte
Neuere Studien zeigen auch, dass Testosteron den Blutzuckerspiegel verbessern kann. Gleichzeitig konnte ein Testosteronersatz in einer weiteren Untersuchung bei einzelnen fettleibigen Männern verhindern, dass sie zu Diabetikern wurden. Allerdings: Wer abnimmt, verbessert seine Glukosetoleranz und die Testosteronwerte auch ohne die Einnahme substituierender Medikamente.
Es gibt jedoch auch Ausnahmen: Männer die kein Risikoprofil haben, aber von vorneherein einen niedrigen Testosteronwert. Diese könnten irgendwann, „quasi ohne ihr Dazutun, in den Testosteronmangel“ rutschen, sagt der Essener Urologe Tobias Jäger. Die Folge: Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder ein Libido-Mangel. „Gerade das sind die Symptome, die am häufigsten am Anfang der Syndromkaskade auftreten, die auch oftmals mit dem Burn-out-Syndrom verwechselt werden“, führt Jäger aus.
Zusammenhang zwischen Testosteronmangel und Depression
Tatsächlich zeigen Studien: Männer mit Testosteronmangel leiden überdurchschnittlich häufig an einer Depression oder depressiven Verstimmungen. Bei dieser Patientengruppe werde der Testosteronmangel sogar noch unterschätzt, glaubt Jäger. Für den Urologe ist der Anstieg von Testosteron-Verschreibungen nicht allein durch die Pharmaindustrie getriggert. Vielmehr werde heute bei Männern, die wegen Depression oder Burn-out-Syndrom in Behandlung sind, auch der Testosteronspiegel angeschaut.
Andererseits muss nicht jeder niedrige Testosteronspiegel therapiert werden. Zumal es keine Norm gibt. Und wer trotz niedriger Testosteronwerte keine Symptome hat, braucht auch keinen Ersatz. Rechnet man diese Männer aus der Statistik heraus, liegt die Prävalenz des Hypogonadismus nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie nur noch bei 0,6 Prozent der 50- bis 59-Jährigen. Bei über 70-Jährigen steigt sie auf etwa fünf Prozent.
Welche Gefahren bestehen bei Testosteron-Missbrauch?
Mehr Antrieb, Aktionsdrang und Lust auf Sex – künstliches Testosteron wir von der Pharmaindustrie gerne als „Anti-Aging“ und Potenzhilfe angepriesen. Die Anwendung solcher Hormonpräparate sollte jedoch streng abgewogen werden, denn sie können gefährliche Nebenwirkungen haben: übermäßiges Wachstum der Muskeln, Herzvergrößerung und Gefäßverkalkung. Zudem steigt die Gefahr für Schlaganfälle, Leber- oder Nierenversagen.
Männer jenseits der besten Jahre sollten sich auch nicht von den Versprechungen der Pharmaindustrie verleiten lassen, durch Testosteron neuen Schwung ins Leben zu bringen, warnt Mediziner Schlatt. Denn die zusätzlichen Hormone erhöhen die Gefahr für Blutgerinnsel und Bluthochdruck. Gleichzeitig können sie die Blutfettwerte in die Höhe treiben, und zu Prostata-Beschwerden sowie Stimmungsschwankungen führen. Ob zusätzliches Testosteron die Gefahr von Prostatakrebs erhöht, ist nicht abschließend geklärt. Hier fehlen Langzeitdaten.
Das größte Risiko für die Gesundheit aber stellt die Einnahme von Testosteron als ein Anabolikum, als muskelaufbauendes Präparat im Bodybuilding oder andern Sportarten dar. Die Gefahr überhöhter Dosierung ist hier besonders hoch, ein Effekt zugleich paradox: Bei einer zu hohen Dosierung stoppt die körpereigene Produktion des Hormons. Mögliche Folgen: Die Hoden schrumpfen und die Spermienproduktion wird eingestellt. Der Betroffene ist dann zeugungsunfähig.
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