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Texas
Alles im Fluss

Kaum einen anderen Fluss verbindet man so sehr mit dem Wilden Westen wie den Rio Grande - was auch mit dem gleichnamigen Filmklassiker zu tun hat. Im Big Bend im Süden des US-Bundesstaates Texas kann man den Strom per Boot oder Pferd erkunden.

Von Philipp Eins | 22.06.2014
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    Eingang zum Santa Elena Canyon im Big Bend Nationalpark in Texas (dpa / picture alliance / Edmond van Hoorick)
    Das Boot muss noch ins Wasser – dann kann's losgehen!
    Unsere Bootsführerin Laura Omer stößt das Schlauchboot mit einem Ruder vom Ufer ab – und schon treiben wir auf dem Rio Grande. Der legendäre Strom, der durch den gleichnamigen Western mit John Wayne und Maureen O'Hara bekannt wurde, ist nicht nur der drittgrößte Fluss in den USA. Im Bundesstaat Texas bildet er auch die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Eine Grenze, die als eine der gefährlichsten der Welt gilt: Hunderte illegale Einwanderer sterben jedes Jahr bei dem Versuch, sie zu überqueren.
    Im Big Bend Ranch State Park, etwa 250 Meilen östlich der Grenzstädte El Paso und Juarez, gibt es aber weder Zaun noch Patrouillen der US Homeland Security. In den Naturschutzparks mit ihren weitläufigen Prärien und den gewaltigen Canyons regiert nicht die Politik, sondern die Naturgewalt. Die bekommen wir in der Strömung des Rio Grande schnell zu spüren.
    "Der Fluss ist hier eher flach, haltet euch gut fest! Nur für den Fall, dass wir einen Felsen treffen. Wir sind zwar nicht schnell, aber die Strömung ist stark! Wir könnten ganz schön durchgeschüttelt werden! - Manchmal ist es einfacher, sich von der Strömung um einen Felsen herumtreiben zu lassen. Wir haben ihn zwar getroffen, aber nicht so stark. Du kennst doch den Ausdruck: 'Im Fluss sein'. So ist es beim Wildwasser-Rafting: Du kannst du nicht alles perfekt planen - du musst die Dinge einfach geschehen lassen!"
    Als wir den aus rötlichem Vulkangestein geformten Colorado Canyon erreichen, beruhigt sich der Fluss. Grillen zirpen zwischen dem hochgewachsenen Büffelgras vor den Ufern, Geier kreisen über den Schluchten. Wir treiben mit unserem Schlauchboot an verlassenen Lehmhütten, Kakteen und Yuccapflanzen vorbei. Die Luft ist stickig, das Wasser warm und trüb. Zeit zum Durchatmen.
    "Das Wichtigste auf einer Tour über den Rio Grande ist: ruhig bleiben. Das sage ich allen Besuchern: Lass dich nicht stressen! Die Landschaft hier ist so gigantisch - lass das auf dich wirken, entspann dich und genieß es!"

    Bootsführerin Laura Omer auf dem Rio Grande.
    Bootsführerin Laura Omer auf dem Rio Grande. (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Wassersportler kommen aus den ganzen USA
    Als Riverguide, wie sich die Bootsführer hier nennen, steuert die 32-jährige Laura Omer jede Woche Besucher über den Fluss. Die Wildwassertouren, auch White Water Rafting genannt, sind in dieser Region besonders beliebt. Aus den ganzen USA kommen Wassersportler dafür an den Rio Grande.
    "Vor fünf Jahren habe ich begonnen als Riverguide zu arbeiten. Seit diesem Sommer mache ich das vollzeit und habe meinen Nebenjob in einem Restaurant gekündigt. Unter Riverguides ist der Big Bend sehr beliebt: Es ist einer der wenigen Orte in den USA, wo du selbst im Winter auf dem Wasser sein kannst!"
    Nach unserer anderthalbstündigen Tour legt sich die kühlende Dämmerung über die Prärie. Wir ziehen die Boote aus dem Wasser und fahren weiter nach Terlingua, einer nahegelegenen Ortschaft vor dem benachbarten Big Band National Park.
    Ende des 19. Jahrhunderts war Terlingua ein Zentrum des Bergbaus: In der kargen Steinwüste wurde das Quecksilbererz Zinnober gewonnen. Aus dieser Zeit sind allerdings nur noch Ruinen, Schutt und Geröll übriggeblieben: Nachdem die Minen geschlossen wurden, verwandelte sich Terlingua zum Ghost Town, einer Geisterstadt. Seit den 60er-Jahren aber haben Hippies und Aussteiger die Gegend neu besiedelt. Die meisten Bewohner leben heute vom Tourismus, arbeiten als Riverguides, betreiben kleine Hotels oder Galerien.
    Kühles Bier unter Rinderschädeln
    Der zentrale Treffpunkt am Abend ist das Starlight Theater, ein ehemaliges Kino, in dem sich heute eine Bar befindet. Von der Decke hängen Rinderschädel zwischen antiken Ventilatoren, der abgeplatzte Putz an den Wänden verbreitet maroden Charme. Jeden Samstag wird im Starlight Theatre Live-Musik gespielt. Die Stimmung ist ausgelassen.
    US-amerikanische Prärie im Big Bend National Park, Texas.
    US-amerikanische Prärie im Big Bend National Park, Texas. (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    An der Bar treffe ich Cynta de Narvaez. Seit 1996 lebt sie in Terlingua. Ursprünglich kam sie in die Gegend, um als Riverguide zu arbeiten. Doch die 55-Jährige zog sich aus dem Geschäft zurück und betreibt heute eine Pension. Die Zeiten seien für Riverguides schwieriger geworden, sagt Cynta. Die Grenzschließung zu Mexiko schadet dem Tourismus:
    "Ich habe mit den Bootstouren aufgehört kurz bevor die Grenze geschlossen wurde. Damals durfte ich meine Gruppen noch nach Mexiko führen. Wir stiegen dort auf Canyons, besuchten archäologische Grabungsstätten, zelteten nachts im Freien. Meine Gäste konnten beide Seiten des Flusses kennenlernen, sich frei Bewegen - wie die Fische im Wasser oder die Vögel in der Luft. Es ist so lächerlich, dass die Politik immer in Grenzen denkt!"
    Seit der Grenzschließung nach 9/11 dürfen die Riverguides mit ihren Gruppen das mexikanische Ufer nicht mehr betreten. Wer auf der falschen Seite des Rio Grande erwischt wird, dem drohen 5000 Dollar Bußgeld und Gefängnis. Vor allem die Mexikaner leiden unter den Restriktionen: Ihre Gemeinden wurden ökonomisch ausgetrocknet.
    "Den Menschen auf der mexikanischen Seite ging es vor der Grenzschließung gut. Die Ortschaften waren bewohnt von Familien, es gab genügend Arbeit. Es war eine gute Zeit! Aber seit die Grenze geschlossen ist, sind die meisten Dörfer wie ausgestorben!"
    Ausflug auf einem Westernpferd
    Am nächsten Morgen kehren wir von Terlingua aus an den Rio Grande zurück. Wir wollen den Fluss von Land erkunden und zwar – ganz in Wild-West-Manier – auf einem Westernpferd. Reitkenntnisse braucht man nicht zwingend: Die Tiere von unserem Tour Guide Linda Walker sind so dressiert, dass sie in der Gruppe gemächlich hintereinander trappen. Auch steile Abhänge machen ihnen nichts aus. Wir ziehen über schmale Pfade vorbei an Ocotillo-Sträuchern, die auf dem trockenen Prärieboden wachsen. Wildschafe dösen hinter Felsvorsprüngen. Die Sonne brennt auf der Haut.
    Seit 30 Jahren organisiert Linda Pferdetrips in Texas. In ihrer Jugend arbeitete die heute 58-Jährige als Sportreiterin, entschied sich aber gegen eine Karriere als Profi. Die Arbeit mit Pferden aber liegt ihr noch immer im Blut:
    "Ich bin auf einer Farm aufgewachsen und hatte mein ganzes Leben lang mit Pferden zu tun. Meine Familie arbeitete hier in Texas, aber auch in Colorado. Wir verbrachten jeden Tag mit den Tieren, sie gehörten fast schon zur Familie! Eine Zeit lang bin ich sogar auf Rodeos geritten – ich hab eigentlich schon alles durchgemacht!"

    Mit dem Westernpferd entlang des Rio Grande in Texas.
    Mit dem Westernpferd entlang des Rio Grande in Texas. (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Von den Spitzen der Canyons aus gesehen ist der Rio Grande kaum breiter als ein gewöhnlicher Fluss. In der Trockenzeit ist es von einem Ufer zum anderen kaum weiter als 35 Meter. Selbst ohne Boot könnte man im brusttiefen Wasser einfach die Grenze passieren. Illegale Einwanderung sowie Drogen- oder Waffenschmuggel seien am Big Bend trotzdem kein Thema, sagt Linda.
    "Beim Drogenhandel geht's um viel Geld. Und wenn du dich hier am Rio Grande umschaust – es gibt hier keine Infrastruktur, keine Straßen oder Umschlagplätze, die man für den Schmuggel im großen Stil braucht. Wir hatten hier nie ein besonders Drogenproblem!"
    "Wir hatten hier nie ein besonders Drogenproblem"
    Auch sie hält die Grenzschließung nach 9/11 für falsch, sagt Linda. Texaner und Mexikaner hätten zuvor in der Region zusammengelebt. Der Rio Grande sei lediglich ein Fluss gewesen, keine Grenze. Touristen hätten die Gemeinden besucht und eingekauft – auf beiden Seiten des Flusses. Ihnen allen sei es sehr gut damit gegangen.
    "Die Grenze wurde geschlossen, damit die USA sicherer werden. Doch das ist nicht geschehen! Nachdem die Wirtschaft auf der mexikanischen Seite zusammenbrach, sind auch die guten und zuverlässigen Leute weggezogen. Wer heute auf der anderen Seite des Flusses lebt, wissen wir nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht mehr die guten Nachbarn sind wie früher."
    Aber Besserung ist in Sicht: Seit kurzem ist der Checkpoint Boquillas Border Crossing im Osten des Big Bend für Tagesausflüge auf die mexikanische Seite geöffnet. Es ist ein Anfang. Aber Linda setzt viel darauf:
    "Es ist fantastisch, dass der Grenzübergang offen ist! Es gibt uns in den Gemeinden wieder neue Hoffnung, dass Menschlichkeit und Vernunft wichtiger sind als Regeln von Politikern, die das Leben hier am Rio Grande gar nicht kennen."