"Nee, Essen ist schon eine tolle Stadt. Die unterschiedlichsten Kontexte kommen zusammen. Da ist immer noch die Kohleindustrie, die Arbeiterkultur. Und da sind diese unglaublich vielen Migrations-Hintergründe."
Findet Jorieke Tenbergen aus Arnheim. Vordergründe, Hintergründe, Abgründe: Für ihre allererste richtig große Einzelausstellung – im Museum Folkwang – hat die 1993 geborene Künstlerin bekannte und auch viele gar nicht so bekannte Bildmotive in Essen, sowie in Fotodatenbanken im Netz, gesammelt, gesamplet, zerschnibbelt und in neue Kontexte verarbeitet.
"Das hier sind Salz- und Pfefferstreuer. Ich fand, dass die türkisch aussehen, es gibt ja so viele Türken hier."
Oder Deutschtürken. Oder Türkendeutsche? Mit derlei Nomenklatur und Spitzfindigkeiten hat Jorieke Tenbergen nichts am Hut. Gut, wenn man von woanders ist. Wenn auch Arnheim nicht so ganz woanders liegt, was Kontext und Weltbild betrifft, als Essen.
Motive, Collagen, Ornamentik
Die Gewürzstreuer – mit Schnurrbart-Gesichtern darauf - sind über zwei Meter groß, fotorealistisch auf Stoff gedruckt. Dahinter sieht man einen typischen Kohle-Förderkran als Motiv. Der ist aber geschrumpft zur Miniatur, in diesem Wimmelbild. Eine Strategie von Jorieke Tenbergen: Aus Klein mach Groß, aus Groß wird Klein. Das Koordinatensystem aus Länge, Höhe, Breite gerät, so wie das Gefühl für Wirklichkeit, komplett aus den Fugen. "Caution!" - Vorsicht also! - "Contaminated Context II" nennt sie ihre Schau in einem turmhohen Kabinett-Saal, gleich am Foyer. Die Wände sind behangen mit riesigen Stoffbahnen, und die sind überbordend voll drapiert mit Motiven, Collagen, Ornamentik. Jorieke Tenbergen mag es "zu-gekleistert", in Petersburger Hängung?
"Ich habe ja gerade mal meinen Uniabschluss gemacht und das ist jetzt meine erste, eigene Schau. Naja, da will ich eben so viel wie möglich zeigen!"
Raum für eigene Assoziationen
Dann aber auch mal: Mut zur Lücke. Neben einem orientalisch anmutenden Teppichmuster – oder Bildschirmschoner-Gestrüpp, das bleibt wie vieles hier in der Bedeutung offen – ist eine riesige Frau mit Kopftuch zu sehen, aber ohne Gesicht. Jetzt weiß man nicht: Soll das eine Muslima darstellen oder doch eine Madonna wie auf einer orthodox-christlichen Ikone?
"Oder beides. Nennen wir es einen Mashup. Ich schreibe hier keine Bedeutungen vor, ich mag es, wenn die Besucher ihre eigenen Assoziationen da hinein projizieren."
So steht man also und schaut in diesen Bild-Raum-Kontext. Manchmal erinnert er an die absichtlich oberflächlichen Collagen von Jeff Koons oder Takashi Murakami. Und dann freut man sich einfach auch am Sinnlichen: Diese vielen freundlich-strahlenden Farben, Andy Warhol-Siebdruck-bunt, verfremdet, psychedelisch.
"Ich lasse drucken, von Profis. Das Praktische ist, dass ich die Ausstellung zusammenrollen und woanders wieder aufhängen kann."
Ohne grübelnde Schwere
Die ganze Schau passt in einen Koffer, oder zwei: Wegen der Mode, die in der Mitte des Saals an der Stange hängt. Modifizierte Bergmannskluft. Oder Sporttrikots: Litfaßsäulen-bunt, nach dem Prinzip Zufall zerschnibbelt und neu zusammengenäht, gespickt mit Sponsorennamen, die aber – so dekonstruiert, wie das genäht ist - dieses ganze System "Sport und Geld" komplett ad absurdum führen. Das ist auch der künstlerische Wert: Ganz leicht zugänglich für Besucher, hat Jorieke Tenbergen es geschafft, diesen großen Begriff "Strukturwandel", diesen Übergang von der Bergmannswelt zur Dienstleitungsgesellschaft, Freizeit- und Spaßkultur zu thematisieren, ohne grübelnde Schwere, einfach durch Herumprobieren und freies Collagieren.
"Auch meine Mode ist nicht gemacht, um tragbar zu sein. Sie ist auch nur ein Spiel, mit Schneidertechnik und Farben. Kann man nicht anziehen? Och, ich würde es tragen, sogar auf der Straße, warum denn nicht?"
"Auch meine Mode ist nicht gemacht, um tragbar zu sein. Sie ist auch nur ein Spiel, mit Schneidertechnik und Farben. Kann man nicht anziehen? Och, ich würde es tragen, sogar auf der Straße, warum denn nicht?"