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Thailand
Armee verhängt Kriegsrecht

Nach sechs Monaten schwerer Unruhen hat sich Thailands Armee in die politische Krise eingeschaltet. Einen Putsch solle die Maßnahme nicht einleiten, versicherte das Militär. Die Übergangsregierung will Neuwahlen nun erst im August. Der Leiter der Wahlkommission fragt sich, ob die Regierung dazu befugt sei.

    "Wir sind besorgt, dass die Gewalt die Sicherheit des Landes insgesamt gefährden könnte", begründete Armeechef Prayuth Chan-ocha den Schritt. Im Zuge der Proteste der Regierungsgegner seien "Kriegswaffen" eingesetzt worden, sagte Prayuth. Nach zunehmender Gewalt auf Bangkoks Straßen sei die Armee daher im Morgengrauen eingeschritten. Das Militär kann unter dem Kriegsrecht unter anderem Ausgangssperren verhängen und Demonstrationen verbieten. "Keine Panik", sagte Prayuth. "Die Leute sollen ihrem normalen Leben nachgehen, damit sich die Situation schnell normalisieren kann." Die Armee hat seit dem Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932 elf Mal geputscht.
    Die Regierung blieb im Amt, allerdings mit unklaren Machtbefugnissen: Sie schlug nach Angaben des staatlichen Informationsbüros den 3. August als neuen Wahltermin vor - ursprünglich waren Neuwahlen im Juli geplant. Übergangspremier Niwatthamrong Boonsongpaisan forderte die Wahlkommission auf, den Urnengang vorzubereiten. Der Leiter der Wahlkommission wolle aber erst bei den "nationalen Sicherheitsbehörden" nachfragen, ob die Regierung dazu noch befugt sei. Die Sicherheit ist mit den weitreichenden Befugnissen des Kriegsrechts jetzt Sache des Militärs. Der amtierende Justizminister Chaikasem Nitisiri begrüßte den Schritt und sagte, die Regierung habe "noch immer die gesamte Macht, das Land zu führen".
    Menschenrechte "nicht zu sehr" verletzen
    Anhänger der Rothemden protestieren am Dienstag (20.05.2014) in Bangkok.
    Regierungsanhänger demonstrieren in den Vororten Bangkoks - das Militär kann solche Proteste jetzt verbieten (dpa / picture-alliance / Narong Sangnak)
    Die Armee wolle weitere Todesopfer verhindern, sagte General Prayuth. Mehr als 25 Menschen sind seit Beginn der Proteste im November umgekommen. Prayuth schränkte als erstes die Pressefreiheit ein. Zehn parteiische Fernsehsender mussten ihren Betrieb einstellen. In der Anordnung hieß es zur Begründung, "um sicherzustellen, dass Nachrichten nicht verfälscht werden, was den Konflikt anheizen könnte". Unter den geschlossenen Sendern sind sowohl Blue Sky, der Kanal, der den Regierungsgegnern nahe steht, als auch ein Sprachrohr der Regierungsanhänger. Bewaffnete Soldaten drangen in etliche Radio- und Fernsehsender in Bangkok ein, um ihre Botschaft publik zu machen. Die Polizei wurde zudem angehalten, öffentliche Versammlungen zu unterbinden. Das Militär werde "versuchen, keine Menschenrechte zu verletzen - nicht zu sehr", sagte General Prayuth.
    In Bangkok blieb es am Dienstag zunächst relativ ruhig. Auf Bangkoks Straßen war vom Kriegsrecht zunächst wenig zu spüren. Zwar standen an manchen Kreuzungen bewaffnete Soldaten, sie hielten sich aber zurück. Touristen schossen Erinnerungsfotos mit ihren Handykameras neben Uniformierten oder Armeefahrzeugen. Die Geschäfte waren geöffnet, ebenso Attraktionen wie der Königspalast und Museen.
    Straßenszene in Bangkok nach der Verhängung des kriegsrechts am Dienstag, eine Frau passiert mehrere Soldaten.
    Straßenszene in Bangkok nach der Verhängung des Kriegsrechts am Dienstag (dpa / picture-alliance / Narong Sangnak)
    Tiefe Spaltung in der Gesellschaft
    Dass das Kriegsrecht die nötige Annäherung der verfeindeten Lager zur Lösung der Krise bringt, wird von Beobachtern nicht erwartet. Beide Seiten sind bislang kompromisslos. Die Opposition sieht die kürzlich vom Verfassungsgericht wegen "Machtmissbrauchs" abgesetzte Regierungschefin Yingluck Shinawatra als Marionette ihres Bruders Thaksin Shinawatra an. Dieser war 2006 vom Militär gestürzt worden und lebt im Exil in Dubai, um einer Gefängnisstrafe wegen Amtsmissbrauchs zu entgehen. Die Opposition verlangt einen ungewählten Rat, der für ein, zwei Jahre regieren und Reformen einleiten soll, um einen Aufstieg wie den Thaksins zu politischer Macht in Zukunft zu verhindern. Die Regierung ist sich dagegen der Mehrheit im Land sicher, und besteht deshalb auf Wahlen. Ihre Anhänger haben mit Bürgerkrieg gedroht, sollte die gewählte Regierung entmachtet werden. Die Opposition wird von der Mittelschicht Bangkoks und von Anhängern des Königshauses unterstützt.
    Armeechef Prayuth mahnte zur Zurückhaltung: "Ich rufe alle Aktivistengruppen auf, ihre Aktivitäten einzustellen und mit uns zusammenzuarbeiten, um einen Weg aus der Krise zu finden." Doch sowohl die "Rothemden" als Unterstützer der Regierung als auch die oppositionellen "Gelbhemden" kündigten neue Proteste an. Eminente Politiker, Akademiker, Wirtschaftsfachleute und Generäle - viele Gruppen haben zur Versöhnung der Lager aufgerufen. Einen Dialog hat aber bislang niemand zustande bekommen.
    Zwischen Kriegsrecht und Ausnahmezustand
    Der Begriff Kriegsrecht bezeichnet eigentlich Rechte im Krieg, also zwischen Staaten. Für Maßnahmen, die bei internen Konfliktsituationen verhängt werden, gilt in der Regel der Begriff Ausnahmezustand. Den würde in Thailand die Zivilregierung verhängen. Die neue Rechtslage ordnete aber das Militär an. Deshalb ist umgangssprachlich von Kriegsrecht die Rede.
    Die Entwicklungen in Thailand beunruhigen die Bundesregierung. "Wir haben die Verhängung des Kriegsrechts mit Sorge zur Kenntnis genommen", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Berlin. Er appellierte an die Verantwortlichen, die Krise "auf friedlichem Wege zu lösen und die Menschenrechte zu respektieren". Die für den Sommer geplante Neuwahl müsse "frei und fair" ablaufen.
    (nch/sdö/tj/stfr/tgs)