Wie jeder gute Western ist "The Ballad of Buster Scruggs" ein Märchen: romantisch, dunkel, abgründig. Und schön! Zu Beginn öffnet eine Hand ein altes Buch, sein Titel "The Ballad Of Buster Scruggs And Other Tales of the American Frontier". Mit dem Aufblättern der ersten Seite blenden die Coens über zum ikonographischen Westernbild der Tafelberge des Monument Valley. Deren Erhabenheit erfährt jedoch sofort eine ironisch-kitschige Brechung, wenn da ein auf seinem Pferd Gitarre spielender und singender Cowboy durch reitet, der meint:
"Hier im Westen eskalieren die Dinge gern mal."
Sechs Episoden, sechs Hauptdarsteller
"The Ballad of Buster Scruggs" erzählt seine Geschichte fragmentiert in sechs klassische Western-Szenarien. In der ersten Episode wird sich der Cowboy mit Gitarre als mörderischer Revolverheld erweisen - das Blut spritzt im Saloon -, und natürlich trifft er auf einen, der schneller schießt als er. Der Bankräuber wird am Galgen landen. Dem Goldgräber macht ein Konkurrent mit dem Colt in der Hand den Claim streitig, und die Pionierfrau ist so naiv, da, in der Prärie, ihren entlaufenen Hund zu suchen, um auf Indianer auf dem Kriegspfad zu treffen.
"Jetzt wird´s ernst."
Sechs Episoden mit jeweils einem anderen Hauptdarsteller - James Franco, Liam Neeson, Tim Blake Nelson oder Tom Waits. Diese Episoden verdichten sich zu einem großen Bild über Amerika. Der rote Faden dabei: die plötzlich explodierende Gewalt - und der Wahnsinn.
"Funktioniert dein Schießeisen? - Es hat den Anschein, ja!"
In einer Episode reist ein Schausteller mit einer Show durch den Westen, in dem ein Schauspieler ohne Arme und Beine auftritt. Aber das Publikum bleibt aus, und der mit einem skrupellosen Geschäftssinn ausgestattete Chef ersetzt den Menschen durch ein rechnendes Huhn. Den Mann "entsorgt" er in einer Schlucht. Ein Esser zu viel. Während seiner Auftritte zitierte dieser Schauspieler Lincolns Gettysburg-Rede: "Auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk nicht von der Erde verschwinden möge."
Meisterstück der Coen-Brüder
Der Coen-Film "The Ballad of Buster Scruggs" ist ein düsterer Kommentar dazu. Von Gewalt und Wahnsinn erzählten die Coens schon in "True Grit" oder in "No Country for Old Men". "The Ballad of Buster Scruggs" ist ein weiteres Kapitel in der Coenschen Gewaltgeschichte Amerikas, die in klassischen Western-Bildern die Vergangenheit auslotet, um ihr Erbe in der Gegenwart zu erkennen.
Im Western "Feinde - Hostiles" von Scott Cooper, vor kurzem bei uns im Kino, sehen wir am Anfang eine Schrifttafel mit einem Satz von D. H. Lawrence. Zu lesen ist: "Die amerikanische Seele ist in ihrer Essenz hart, isoliert und mörderisch. Sie ist bisher noch niemals aufgetaut." Das könnte auch das Motto von "The Ballad of Buster Sruggs", diesem Meisterstück von Joel und Ethan Coen, sein. Gewürzt übrigens ist der Film mit einem absurden Humor. Der Bankräuber aus der zweiten Episode ist ein wahrer Witzbold. Während er schon mit der Schlinge um den Hals unter dem einsamen Baum auf seinem Pferd sitzt, ist er um keine Pointe verlegen:
"Hast du noch was zu sagen, bevor wir das Urteil vollstrecken? - Urteil? Wie lautet das Urteil?"
Dann erledigen die Indianer zwar seine Vollstrecker, aber am gleichen Tag landet er als Viehdieb wieder unter dem Galgen. Und fragt den verzweifelten Leidensgenossen neben ihm auf dem Schafott:
"Das erste Mal?"
Postkutschenfahrt ins Jenseits
In der letzten Episode von "The Ballad of Buster Scruggs" gibt es die klassische Postkutschenfahrt. Fünf Reisende.
"Sie kennen die Geschichten. Es gibt zwei Arten von Menschen. - Glücklich und unglücklich? - Kräftig und schwach? - Aufrecht und sündig? - Nein, tot oder lebendig."
Bald wird klar, dass diese Reise eine ins Jenseits ist, über den Fluss, nein, nicht Missouri, Mississippi oder Rio Grande, sondern den Hades. Das Lachen, das "The Ballad of Buster Scruggs" evoziert, ist ein Höllenlachen. Und eben da sind die Reisenden in der letzten Episode ja angekommen, in der Hölle, auch wenn sie in dem düsteren Gebäude eine hell erleuchtete Treppe hochgehen, und sich der Illusion hingeben, es ginge ins Licht. Von wegen!