Eine Email des ehemaligen Fabrikarbeiters Ahmad an die freie Journalistin Maryam bringt alles ins Rollen. Den Inhalt der Email erfahren wir nicht, aber Maryam fängt an zu recherchieren. Am Ende hat sie einen Skandal aufgedeckt, in den sogar Geheimdienste verwickelt waren. Weil man die neue, riesige Lafarge-Zementfabrik im Norden von Syrien nahe der türkischen Grenze um buchstäblich jeden Preis weiter betreiben wollte, um spätestens beim Wiederaufbau Syriens ganz vorne und hoch rentabel dabei zu sein, wurden Geschäfte auch mit dem IS gemacht.
Das Stück berichtet davon im Stil des Doku- oder Reenactment-Theaters, indem die betroffenen Personen, hier allerdings syrisch-französische Schauspieler, ihre Sicht der Dinge erzählen. Es geht also nicht um ein Kriegs-Drama oder einen Recherche-Coup, sondern um die moralischen Verwicklungen im Krieg.
Syrien im Kleinformat
Ein kreisrunder hoher Kubus aus Beton im hinteren Teil der Bühne zeigt oben kriegsbedingte Einschusslöcher; aus der unteren Hälfte lassen sich Teile herauslösen, die als Projektionsfläche für Videos, Fotos oder Filme dienen. Ein Musiker untermalt live die Szene mit einer Oud, der arabischen Laute. Firas, ein arabischer Geschäftsmann, dessen Vater hoher General im Assad-Regime war, ist mit der Zementfabrik reich geworden. Er hat sich früh in die Türkei abgesetzt und spricht, weil er gute Verbindungen hat, mit allen, auch mit der CIA. Als die Journalistin ihn interviewt, kann er sie einwickeln und sich gut aussehen lassen, und er düpiert sie, die Tochter eines Algeriers und einer Französin auch noch mit Hinweisen zu den Massakern der algerische Befreiungsfront während des Algerienkriegs.
Dr. Amr, der aus Kanada nach Syrien zurückkehrt, will eigentlich nur den Kanadiern bei der Erschließung des syrischen Marktes behilflich sein. Hinter einer harmlosen Fassade knüpft er die Kontakte zum IS, natürlich nur, um die Fabrik weiter zu betreiben und die Arbeiter nicht arbeitslos zu machen. Später macht er eine "Umweltberaterfirma" in der Türkei auf, die vermutlich auch der Geldwäsche dient. Alle sind aalglatt, eloquent und höchstens verwundbar, wenn es um die eigene Familie geht. Nur der Arbeiter Ahmad klagt an: Lafarge sei Syrien im Kleinformat, die Arbeiter von den Betreibern allein gelassen worden, auch mit ihrer Angst vor Kidnapping, das damals in Syrien an der Tagesordnung war, um Geld zu erpressen. Ihr Leben war den Chefs keinen einzigen Dollar wert.
Geschäfte von Politik und Wirtschaft im Kriegsgebiet
Das vielperspektivische Puzzle ist vor allem ein Aufklärungsstück. Chronologisch erzählt, bietet es gute Recherche und eher wenig Augenfutter, was gestern einer teilweise ausgefallenen Videokamera geschuldet sein mochte. Aber es zeigt ohne Pathos oder Schaum vor dem Mund die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft im Kriegsgebiet und die Heuchelei des Westens dabei. Zwei Beispiele: Die Zementfabrik konnte in Syrien gebaut werden, weil der französische Präsident Nicolas Sarkozy dem syrischen Machthaber Assad im Sommer 2008 eine Militärparade in Paris gönnte. Und als die Lage im Februar 2015 unübersichtlich wurde und die Menschen zwischen Rebellen, Nusra-Front und dem IS aufgerieben wurden, schoss die türkische Grenzpolizei sogar auf Familien mit Kindern, die versuchten, das Land zu verlassen.
Hinter der Geschichte, die aufgrund der journalistischen Recherchen auch in Frankreich eine große Öffentlichkeit erreichte, geht es um die großen Themen jedes Krieges: Dass es immer nur falsche Verbündete gibt. Dass jeder Involvierte zum Täter wird. Dass es immer nur um Einfluss und Macht geht. The "Factory" ist ein Lehrstück, nicht mehr und nicht weniger. Dass aber syrische Theatermacher auf den großen Festivals dieser Welt davon erzählen können, ist die gute Botschaft des Abends.