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The fake of the fake
Varoufakis' Stinkefinger und die Folgen

Ob nun echt oder nicht: Seit dem Video, das den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis mit "Stinkefinger" zeigt, ist für Hartwig Tegeler klar, dass Satire, Intelligenz, Respektlosigkeit, Boshaftigkeit und Gesellschaftskritik endlich wieder auch im Fernsehen keine Gegensätze mehr sind.

Von Hartwig Tegeler | 19.03.2015
    Verwirrung über den Stinkefinger von Yanis Varoufakis in der ARD-Sendung "Günther Jauch".
    Verwirrung über den Stinkefinger von Yanis Varoufakis in der ARD-Sendung "Günther Jauch". (dpa / picture alliance / I&U TV Produktion GmbH & Co. KG)
    Was ist schon Eindeutigkeit? Was ist Original, was Fälschung? Also: Günther Jauch, der politische Journalist Deutschlands - man traute ihm gar die Präsidentschaft, aber in jedem Fall keine irgendwie geartete Fälschung zu -, Jauch hat Yanis Varoufakis als Talk-Gast in einer Live-Schaltung. Jauch zeigt einen Auftritt des heutigen griechischen Finanzministers beim Subversiv Festival 2013 in Zagreb. Damals war Varoufakis noch nicht in Amt und Würden; er redet über Deutschland, zeigt den Stinkefinger. Bei Jauch bestreitet er, dass das Video echt ist.
    "Und nehmen Sie es einfach hin! Das hat es nicht gegeben."
    Die Szene, so Varoufakis, sei gefälscht. Die Empörung der deutschen Öffentlichkeit ist groß. Der faule Grieche, dessen Finanzminister, der nicht nur penetrant Lederjacke und Hemd aus der Hose trägt, uns gar den Stinkefinger zeigt. Seit gestern wissen wir aber: Das Video ist tatsächlich gefälscht.
    "Ist der Finger also wirklich fake?", grinst Jan Böhmermann in seinem Video, das vor der Ausstrahlung auf ZDF neo schon im Netz zu sehen war.
    "Aber, wer faked denn sowas? Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, dass das eine kleine gebührenfinanzierte Looser-Show war", lautet die weiter grinsend vorgetragene Antwort: Wir waren´s, Böhmermann und sein Team vom Neo Magazin Royal. Was nun folgt im Böhmermann-Video, ist ein grandioses Making-Off dieser Fälschung,
    "Und so haben wir es gemacht!"
    Die Aufregung ist groß
    In dem die Möglichkeiten digitaler Bild- bzw. Filmbearbeitung en detail vorgeführt werden. Die Aufregung ist wieder groß. Die BILD-Zeitung konstatiert eine "Riesenverwirrung um Varoufakis-Video". Was ist wahr, was falsch? Und Jan Böhmermann gibt in Lutherischer Manier - hier stehe ich und will auch gar nicht anders - dem Affen mittels eines weiteren Videos noch ein "büschen" mehr Zucker:
    "Die Unterstellung, dass das Video ein von uns manipulierter fakefakefakefakefake sei, ist absolut haltlos!"
    Ja, nun wissen wir wirklich Bescheid oder wissen gar nicht mehr Bescheid, oder, um einigermaßen wieder zu Verstand zu kommen: Wir hätten von Anfang an Bescheid wissen können, hätten (!) wir das erste Video von Böhmermann nur zu Ende geschaut. Da nämlich klärt der anfänglich grinsende, kichernde, dem Schenkelklopfen zuneigende Böhmermann in einem Ton auf, der alles Lausbubenhafte hinter sich lässt:
    "Yanis Varoufakis hat Unrecht. Ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach nur das Video aus dem Zusammenhang gerissen und einen griechischen Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen. Damit sich Mutti und Vati nach dem Tatort abends noch mal schön aufregen können", meint Böhmermann, um noch einen hinten dran zu hängen:
    "Das habt ihr gemacht. Und der Rest ist von uns."
    Der Rest: Die Fälschung des Echten oder des Falschen oder des Originals oder? Echt? Unecht? Vollkommen falsche Frage. Weil heutzutage, angesichts der unendlichen Möglichkeiten, die die digitale Bildbearbeitung zur Verfügung stellt, das sogenannte Echte ohnehin relativ ist. Man schaue sich nur einmal im Making-Off der DVD an, wie Peter Jackson den Gollum im HERRN DER RINGE digital erzeugt hat. Danach ist es geradezu lächerlich, sich nicht vorstellen zu können, dass einer das Varoufakis-Video gefälscht und ihm den Stinkefinger untergejubelt hat.
    Die Frage nach dem Stinke- oder Nicht-Stinkefinger führt allerdings in die falsche Richtung, weil es im Kern um etwas Anderes geht. Nämlich um eine politische Diskussion, die bei Jauch dem vorgeblichen journalistischen Coup geopfert wurde. Ach ja, die Quote! Und genau das bringt Jan Böhmermann präzise auf den Punkt. Übrigens hat Slavoj Zizek, linker slowenischer Philosoph und einer der Organisatoren des Subversiv-Festivals 2013 in Kroatien, darauf hingewiesen, dass sich die Geste Varoufakis´ 2013 auf eine "komplett andere Situation" bezogen hat. Ihre Bedeutung - so Zizek - wurde aus dem Kontext gerissen und - Zitat - "in brutalster Propaganda-Manier manipuliert".
    Kunst der Satire
    Jan Böhmermanns Kunst der Satire und der Medienkritik besteht nun darin, dass er in seinem Video derbe und grandios manipuliert, echt und falsch durcheinander wirbelt und in dieser Überspitzung die mediale Strategie von Jauch und der gängigen Griechenland-Berichterstattung entlarvt. Es scheint also jemanden zu geben, der dem guten Harald Schmidt aus dessen guten alten TV-Zeiten das Wasser reichen kann. Solche Böhmermann-Sätze hier, das ist schon die ganz hohe Satire-Liga.
    "Das trifft aber wirklich einen Nerv, näh. So sind wir Deutschen halt. In einem Jahrhundert zwei Mal Europa verwüstet, aber wenn man uns den Stinkefinger zeigt, dann flippen wir aus. Dann kennen wir keine sachliche Diskussion mehr. Denn wir sind Deutsche."
    Satire, Intelligenz, Respektlosigkeit, unverschämter Humor, Boshaftigkeit und Gesellschaftskritik sind endlich wieder auch im Fernsehen keine Gegensätze mehr.