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The Pineapple Thief
Bittersüßer Progressive Rock mit Zauberdrums

Dreizehn Studio-Alben hat die britische Band The Pineapple Thief veröffentlicht, das neue Werk "Dissolution" enthält wieder den typischen melancholischen Progressive Rock. Der schon vorher hochwertige Sound wird durch Wundertrommler Gavin Harrison magisch - findet auch Sänger Bruce Soord.

Von Thomas Elbern | 02.09.2018
    Studio portraits of UK progressive rock band The Pineapple Thief
    Inzwischen ist Trommler Gavin Harrison festes Mitglied der Band The Pineapple Thief (Rob Monk)
    Ende August erschien mit "Dissolution" die 13. CD der Band und wird dem Anspruch, den bittersüßen Prog Rock-Trademarksound der Briten noch zu verfeinern, voll gerecht. Und die Idee hinter dem Album bringt Bruce Soord so auf den Punkt.
    "Das Konzept von Dissolution ist die Beschreibung einer technologischen Revolution und von dem Schaden, den diese innerhalb der Gesellschaft, bei Freunden und auch in meinem Leben angerichtet hat. Eine wundervolle Welt, in der jeder mit jedem verbunden ist und wir alle jederzeit mit jedem kommunizieren können. Das macht die Menschen allerdings nicht glücklicher: im Gegenteil, die Tatsache, dass sich diese Technologie auch als Überwachungsinstrument nutzen lässt und dass sie anfängt, unsere Meinung zu kontrollieren, zeigt einfach, dass wir zu weit gegangen sind. Wir haben es mit einer Art Waffe zu tun. All das formte die Idee von "Dissolution" und das Ganze ist so etwas wie ein Konzeptalbum geworden."
    Inspiration aus den goldenen Siebzigern
    Bombastische Intros, der Sound eines Mellotrons, filigrane Songstrukturen jenseits der Popmusiklänge von 3.30 und Wechsel zwischen leisen, akustisch gespielten Momenten und harten Riffs. Die Musik von The Pineapple Thief entführt auf eine Reise. In die Vergangenheit und nach vorne, in die Zukunft. Bruce Soord, ist sich seiner musikalischen Inspiration bewusst.
    "Meine musikalischen Wurzeln stammen aus den 1970er Jahren. Supertramp, Pink Floyd...der melodische progressive Rock. Und die besten Alben aus dieser Zeit ragen heute immer noch heraus. The Dark Side of the Moon, die späten Beatles... all diese Alben klangen großartig, weil der Aufbau der Musik relativ simpel war. Drums, Bass, Gitarre, Stimme, ein wenig Keyboard. In den 80er-Jahren haben dann alle mit der Produktion an sich experimentiert. Das Studio wurde zum Instrument und der Syntheziser und der Sampler bestimmten den Sound. Es gibt hier immer noch tolle Musik, aber die klingt heutzutage eher alt. Meine Idee für Pineapple Thief war immer, einen möglichst zeitlosen Sound zu haben."
    Drummer Gavin Harrison macht den Unterschied
    The Pineapple Thief ist keine Gruppe, die es sich in einer bestimmten Musikepoche bequem gemacht hat, um dort zu verweilen. Ganz im Gegenteil. Mit "Dissolution" führt The Pineapple Thief Prog Rock-Konzepte in die Neuzeit. Die britische Band nutzt das Arsenal der heutigen Recordingwelt wie beispielsweise der Vorzüge einer modernen Workstation am Computer, an dem man bis zur letzten Minute auch noch Tonhöhe und Arrangement verändern kann. Außerdem spielt auf "Dissolution" Wundertrommler Gavin Harrison. Sein aufwendiges, rhythmisch vertracktes Spiel prägt den Bandsound entscheidend mit. Er hat auch schon für Porcupine Tree und King Crimson gespielt und wurde von Anfang an in den kompletten Produktionsprozess eingebunden. Wurde das Schlagzeug früher bei Pineapple Thief eher programmiert, war nun ein wesentlich organischerer Ansatz möglich.
    "Wenn es früher um Rhythmen innerhalb von Pineapple Thief ging, haben wir uns immer auf den Computer verlassen. Gavin hat uns gezeigt, wie wichtig die Drums sind, denn damit beginnt alles. Was das neue Album wie ein roter Faden durchzieht, ist, dass es von Anfang an eine wirkliche Zusammenarbeit war. Sobald ich ein Riff oder eine musikalische Idee hatte, hab ich sie zu Gavin geschickt und der hat daraufhin Rhythmen entwickelt. Manchmal ging das auch in eine völlig andere Richtung als vielleicht ursprünglich geplant. Das wiederum hat unseren Bassisten inspiriert. Es war wie in einem Puzzle, in dem das letzte Teil immer gefehlt hat."
    "Dissolution", die zwei Seiten des modernen Webs
    Das neue Album "Dissolution" thematisiert eine Welt, in der jeder mit jedem vernetzt ist. Eine digitale Moderne, die viele Möglichkeiten bietet, aber auch verunsichert. Fakenews und per Social Media ein gläsernes Privatleben. Die melancholische Grundstimmung des Vorgängeralbums "Your wilderness" ist auf "Dissolution" noch mehr zu spüren. Und auch musikalisch ist das neue Album mit seinem kristallklarem Sound noch ausgereifter und noch dynamischer. Die Band nutzt bei 43 Minuten Spielzeit die ganze Bandbreite zwischen extremer Lautheit und schon fast meditativer Stille als großen Spannungsbogen. Und Bruce Soord weiß bei aller Kritik am Zeitgeist auch um dessen Vorteile. Denn ohne das moderne Web wäre das Album so nicht entstanden.
    "Wir haben das ganze Album unabhängig voneinander aufgenommen. Da wir alle über Studios verfügen, ging das. Vor allem bei Gavin, dessen Schlagzeug komplett mikrofoniert in seinem Aufnahmeraum steht. Ich habe dann am Ende alle Spuren bei mir zu Hause gemixt. Auch wenn das jetzt so klingt, als wäre alles gestückelt und nicht organisch, war es doch ein sehr kommunikativer Prozess. Wir hatten Videokonferenzen, in denen die ganze Band zusammenkam, um einzelne Parts zu diskutieren. Da hat uns die Technologie sehr geholfen. Vor fünf Jahren, wäre das noch nicht möglich gewesen. Der große Vorteil war, dass wir so lange daran arbeiten konnten, bis etwas Tolles dabei herauskam. Ich glaube, ich war in den letzten sechs Monaten wohl jeden Tag im Studio. Hätten wir ein externes Studio mieten müssen, wäre das unbezahlbar gewesen."