Juliane Reil: Stewart Copeland, sie wurden mit The Police bekannt. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war die Band ziemlich erfolgreich. Sie spielten gegen die gängigen Klischees der damaligen Rockmusik an. Das war damals vor allem Glamrock - aufgemotzt, pompös, virtuos mit Rockstars in Kostümen. The Police war dagegen Understatement. Welches Verhältnis hatte die Band damals zum Punk?
Stewart Copeland: Wir verhielten uns dem Punk gegenüber wie Söldner. Es war so, als ob wir unter fremder Flagge fuhren. Wir schnitten unser Haar kurz, blichen es hellblond und trugen enge schwarze Jeans – was 1978 übrigens unglaublich unbequem war! Denn es gab noch keine Stretch-Jeans. Wenn ein Rockstar damals schwarze enge Jeans trug, dann waren die wirklich eng.
Konservative Punkbewegung
Das war schon ein Bekenntnis! Aber nein, wir waren eine Fake-Punkband. Wir waren fünf Jahre älter als The Clash und hatten bereits in professionellen Bands gespielt. Also richtige Musiker, die das jedoch verschleierten. Das ging so, bis wir nach Deutschland kamen, um mit Eberhard Schoener zu arbeiten. Einem deutschen Komponisten aus München. Wir waren weit weg von London. Vielen ist nicht klar, dass die Punkbewegung ziemlich konservativ war. Kein Song durfte länger als drei Minuten sein. Keine Liebeslieder. Keine Gitarrensoli. Eberhard war das egal. Er ermutigte uns, uns stärker zu entfalten. Es war hier in Deutschland, dass wir merkten: "Wow, Andy Summers ist ja unglaublich auf der Gitarre!" Als Sting eines Abends am Mikrophon stand, wussten Andy und ich nicht, dass er so singen konnte. Keiner von uns dreien wusste außerdem, dass er solche Songs schreiben konnte. Eigentlich hatte Sting einen Jazz-Hintergrund und seine Songs waren 10 Minuten lang. Punk zwang ihn dazu, all seine Ideen auf drei Minuten runterzudampfen. Aber als wir das Konzert mit Eberhard Schoener spielten: Sting am Mikrophon, der einfach improvisierte, da passierte auf einmal etwas. Andy und ich standen neben Sting und sagten nur "Wow". Das war damals in Deutschland.
Geheimdienst und Musik
Reil: Sie haben eine sehr eigene Art, die Drums zu spielen. Groove und Offbeat sind ihre Markenzeichen. Sie integrierten – ebenfalls ungewöhnlich für den damaligen Rock – Reggae und zum Beispiel lateinamerikanische Rhythmen. Wie war Ihr Stil von der Band geprägt, und umgekehrt, wie prägten sie mit ihrem Stil das Spiel ihrer beiden Bandkollegen? Denn The Police waren für einen sehr organischen Sound bekannt.
Copeland:Erzählen Sie das nicht ihren Hörern, aber eigentlich sollte ich ein Jazzmusiker werden. Als mein Vater bemerkte, dass ich mich für Musik interessiere, schickte er mich sofort zum Unterricht.
Reil: Er war selbst Jazzer und spielte in der Big Band von Glenn Miller.
Copeland: … und er war ein CIA- Agent. Als er jung war, spielte er Jazz. Ich habe immer noch seine Trompete. Während des Zweiten Weltkrieg arbeitete er für den militärischen Geheimdienst. Nach dem Krieg war er ein Mitbegründer der CIA. Trotzdem fühlte er sich immer noch als ein Musiker. Der Unterricht, den ich bekam, befähigte mich, weit darüber hinaus zu gehen, was eine Rockband normalerweise macht. Bei Rolling Stones -Schlagzeuger Charlie Watts geht es nicht um Technik. Es ist sein Gefühl, das sein Spiel ausmacht. Aber wenn er mehr Technik gehabt hätte, hätte er vielleicht auch interessantere Sachen gemacht. Das ist aber auch egal. Ich liebe was er macht. Bitte so bleiben, Mr. Watts! Ich denke nur, dass ein breiterer musikalischer Hintergrund oftmals zu einem anderen Resultat führt.
Wir haben noch länger mit Stewart Copeland gesprochen -
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Reggae warf Konzepte um
Ein anderer Faktor war: Als ich in Berkeley studierte, war ich beim Uni-Radio und zuständig für die Weltmusik. Irgendwann kam eine Platte von einem Bob Marley rein. Ich hörte sie und das veränderte mein Leben. Der Reggae krempelte das Drumset um. Charlie Watts, Ringo Starr oder Ginger Baker - sie alle benutzen das Drumset in gleicher Weise, und das bedeutet: Vierviertel-Takt und ein Backbeat. Der Reggae wirft dieses Konzept komplett um: Der Schlag kommt auf der drei. Das gibt es auch in der arabischen Musik. Ich bin im Nahen Osten aufgewachsen - wo mein Vater einen Auftrag hatte – in Beirut mit arabischer Musik und Baladi-Rhythmen. Da gibt es keine Eins. Und die Betonung ist auf drei. Als ich Bob Marley&The Wailers hörte, musste ich das mehrere Male hinter einander hören: "Das kann er nicht machen, das ist ja total wahnsinnig!" Also übte ich wie ein Verrückter.
Reil: Sie hatten ein sehr modernes Verständnis von Rhythmus. Das war schon sehr nah an dem dran, was einen heutigen Hiphop-Beat ausmacht. Minimalistisch und linear, nicht als Ergänzung, sondern als Grundgerüst der Musik.
Mit Kendrick Lamar bricht eine neue Zeit an
Copeland: Meine zwölfjährige Tochter hielt mich auf dem Laufenden. Aber jetzt ist sie 19 und geht zur Uni. Ich habe sieben Kinder, die mich alle, was Musik anging, immer auf den aktuellen Stand hielten. Als ich meine Jüngste noch mit dem Auto zur Schule brachte, schaltete sie Kanye West oder Kendrick Lamar an. Bei dieser Musik wurde mir klar, endlich ist die Revolution da. Die Tyrannei von Gitarre, Bass und Schlagzeug ist vorüber. Ein halbes Jahrhundert war das das Format. Von den Sex Pistols und The Clash zu den Beatles und den Stones. Gitarre, Bass und Schlagzeug. Mit den Akkorden E, A und D. Dazu ein 4/4-Takt mit einem Backbeat. Durch Leute wie Kendrick Lamar ist das jetzt Geschichte. Musiker meines Alters sind zwar entsetzt: "Was ist das für Musik ohne richtiges Drumset?" – Aber ich sage: "Hey, jetzt bricht eine neue Zeit an."
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