Manche Dinge laufen einfach seltsam. Plötzlich hat ein Staatsballett Berlin einen neuen Direktor, der keine gescheiten Spielpläne kann, keine Premieren herausbringt, nach denen irgendein Hahn kräht, und von dem es ganz offen heißt, er sei nie da und hätte auf nichts eine Antwort. Surprise! Hätten das für diese Berliner Berufung noch Verantwortlichen, Klaus Wowereit und André Schmitz, wenn nicht ahnen, so doch sehen, hören, lesen können, hätten sie sich wirklich drum geschert? Doch, das hätten sie.
Man weiß nicht, welche Stadt schlechter dran ist, Berlin, das Nacho Duato gerne wieder loswerden würde aber nicht weiß wie? Oder Frankfurt am Main, dessen Städtische Bühnen bis 2004 auch alle Sparten präsentierten, dessen Opernhaus aber seit William Forsythes Demission keinen Ballettdirektor und kein Ballett mehr beschäftigt?
Damals, als der amerikanische Starchoreograf sich verkleinern wollte und ein 14-köpfiges freies Ensemble gegenüber der Opernhausbühnenverpflichtung und drei Dutzend Tänzern vorzog, entsprach die Stadt dem und versteckte hinter dem geschickten Marketing "Forsythe bleibt hier" den eigentlichen Skandal an der Geschichte, nämlich dass hier einfach mal so unter den geblendeten Augen der Öffentlichkeit eine ganze Sparte weggehext wurde. Genial.
Nun, ein Jahrzehnt später, gibt es natürlich noch immer oder erst recht kein Ballett im Opernhaus und neuerdings nicht mal mehr einen Freie-Szene-Forsythe. Der ist nach Kalifornien auf einen Lehrstuhl bzw. nach Vermont, seinem eigentlichen Wohnsitz, bzw. nach Paris entschwunden, wo er als künstlerischer Berater des Ballettdirektors der Oper Benjamin Millepieds die Etoiles in Dekonstruktion unterweist.
Im Juli nächsten Jahres wird in der Opéra Garnier ein Forsythe-Ballettabend auch eine Uraufführung enthalten.
Frankfurt hingegen besitzt nun als Herrn über fünfzehn übrigens neu eingestellte Tänzer einen Mann, der von 1991 bis 2000 Forsythe seinen Chef nannte. Jacopo Godani dachte gar nicht daran, für einen sozial abgepolsterten Wechsel zu sorgen. Nach dem der komplette Austausch des künstlerischen Personals erfolgt war musste man auch nicht lange warten, bis "The Forsythe Company" umbenannt war. Der neue Name ist sehr cool: "Dresden Frankfurt Dance Company". Mehr Sexappeal hätte nur der noch korrektere Name besessen Dresden Sachsen Frankfurt Hessen Dance Company. Anyways.
Die unklaren Umstände und Folgeerscheinungen dieses Wechsels von hinten durch den Bühneneingang mal beiseitegelassen wollte gestern Abend die erste Uraufführung Godanis zur Kenntnis genommen werden.
Die schwarz ausgehängte und nur opak beleuchtete Bühne im Bockenheimer Depot gab den Blick frei auf vierzehn Tänzer in schwarzen Socken, schwarzen Unterhosen und einem durchsichtigen strumpfhosenartigen Trikotmaterial, das die Körper fest umspannte. Wo hatten wir so was bloß schon mal gesehen? Auch der anspruchsvolle, evolutionär aufgeladene Titel "The Primate Trilogy" konnte angenehm vertraut vielversprechend und nichtssagend zugleich erscheinen. Der Tanz sah aus wie ein unterkomplexer, ins Gewöhnliche herabgebrochener Forsythe-Sprech aus den Neunziger Jahren. Dementsprechend tanzten die Damen auch in Spitzenschuhen.
Gespreizte Finger wiesen in die stark aufgewärmte Bühnenluft, von den immer gleichen Wellen geschüttelte Oberkörper blieben in durchgedrücktem Hohlkreuz stehen, dramatisch einwärts aus der Hüfte seitlich herausgeschüttelte Beine und geschmeidig gedrehte Pirouetten brachten etwas Schwung in die insgesamt eher schleppende durch Blackouts zeitlich unterteilte Veranstaltung. Von der durchweg guten Technik der Tänzer machte Godani so wenig echten Gebrauch wie von ihrer Jugendlichkeit.
Verschlossene Gesichter, unmotivierte Gänge hin und her, jede Menge Zitate und wenig Originalität waren verpackt verpackt in laute Elektro-Musik der Komponisten des Labels 48 Nord. Deren zerrissenes Thriller-Titelmelodien- Pathos knallte so gleichbleibend aufdringlich ins Ohr, als hinge von dem ständigen akustischen Hollywood-Drama alles ab, als wäre das Stück mit dem sorglos-sinnfreien Titel "Die Primaten-Trilogie" ein Organismus, der ohne diese musikalische Beatmungsmaschine nicht lebensfähig wäre. Als der Krach verstummte, lagen die Tänzer denn auch am Ende reglos am Boden und erhoben sich erst zum Applaus wieder.