Das Werbevideo des Sport-Stream-Anbieters DAZN vor der Fußball-Europameisterschaft der Frauen schickte eine unmissverständliche Botschaft an die Entscheider im Sport weltweit: Die Londoner Hip-Hop-Musikerin Funmi Ohiosumah, Künstlername Flohio, listete darin noch einmal die simple Mathematik im Kampf um Aufmerksamkeit auf: Je mehr Frauensport im Fernsehen gezeigt wird, desto größer das Echo in den sozialen Medien. Je mehr Fans, desto mehr Zuschauer in den Stadien. Und desto größer das Interesse von Journalisten, Werbeindustrie und Influencern.
In dieser Woche wurde bekannt, dass dieses Mehr im EM-Ausrichterland England einen deutlichen Effekt gehabt hat. Dort verdoppelte sich im Vergleich zum vergangenen Jahr das Publikum von Frauensport. Und das verbrachte mehr Zeit damit, die Übertragungen zu verfolgen.
Ob die Entwicklung anhält? Vermutlich, wenn überhaupt, nur in homöopathischen Dosen. Wie sagte Ilse Hartmann-Tews, Soziologin an der Sporthochschule Köln, bei der Sportkonferenz des Deutschlandfunk 2021 in ihrem Vortrag über die "Männerbastion Sport"?
“Die Marginalisierung von Frauen in der Sportberichterstattung hat Kontinuität in den letzten 30 Jahren. Es sind nicht mehr als zehn Prozente, die etwas über Sportlerinnen sagen oder sie in Szene setzen.”
“Die Marginalisierung von Frauen in der Sportberichterstattung hat Kontinuität in den letzten 30 Jahren. Es sind nicht mehr als zehn Prozente, die etwas über Sportlerinnen sagen oder sie in Szene setzen.”
Forderung an Programmanbieter: Zeigt mehr Frauensport!
Wie lässt sich solch festgefahrenen Verhältnissen entgegentreten? Vielleicht so wie in Portland in Oregon an der amerikanischen Westküste, wo seit ein paar Monaten die erste und bislang einzige Sportkneipe des Landes nur für Frauensport existiert. Das Lokal signalisiert das Projekt bereits im Namen: "The Sports Bra". Ein Wortspiel mit den Begriffen "Bar" und "bra", der im Englischen gebräuchlichen Kurzform für BH.
Die Idee hatte Eigentümerin Jenny Nguyen schon vor einer Weile. Aber die Pandemie sorgte für eine Verzögerung. Sie war es leid, dass in klassischen Sportkneipen – in den USA sind das mehr als 1000 Etablissements – der weibliche Livesport überwiegend einfach ignoriert wird. Und das, obwohl der Anteil der Frauen unter den Kneipenbesuchern und das Interesse an Frauensport deutlich gestiegen ist.
Mit ihrem Konzept will sie öffentlichen Druck auf Programmanbieter ausüben. Denn der Anteil des Frauensports am Gesamtliveangebot im US-Fernsehen und via Stream ist denkbar mager. Kein einfaches Unterfangen, wie sie gegenüber dem Fernsehsender CBS zugab: "Das ist fast so, als ob du dir mit einer Machete einen Weg durch dichtes Dickicht schlagen musst. Das ist hart. Eine richtige Schinderei."
Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit
Die Kneipe versteht sich sowohl als Katalysator als auch als Plattform. Das Getränkeangebot etwa enthält ganz prominent Spirituosen, Biere und Weinsorten, die von Frauen hergestellt werden. Wie etwa den Gin und Bourbon von Freeland Spirits, einer Destillerie in der Region. Das Ziel: ein tragfähiges Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Weshalb auch ausdrücklich Kinder und Jugendliche Zutritt haben. “Wir glauben, dass es einen nachhaltigen Effekt haben kann, ihnen den Gleichheitsgedanken, egal ob im Sport oder im Leben, zu vermitteln”, lautet das Motto. Das Echo auf die Eröffnung im Frühjahr war enorm.
Doch Skepsis bleibt. Dave Berri, Wirtschaftswissenschaftler und Experte in Sachen Frauensport, bestätigte bereits vor einer Weile in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk die Einschätzung von Ilse Hartmann-Tews bezogen auf die USA. Das Land mit seinen mehr als 300 Millionen Einwohnern mag riesig sein. Genauso wie die Umsatzgrößenordnungen des kommerziellen Sports – ein Wirtschaftsfaktor mit mehr als 500 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Männersport operiert auch hier - ganz wie gehabt - mit eingebauter Vorfahrt.
"Wenn man sich anschaut, wie Sport beworben wird, wie über Sport berichtet wird: 90 Prozent der Sportkommentatoren sind Männer: 95 Prozent der Sportberichterstattung konzentriert sich auf Männersportarten. So wird ständig die Botschaft vermittelt, dass Sport etwas für Männer ist, nicht für Frauen. Und wenn Frauen dann doch Sport treiben oder über Sport sprechen, werden sie behandelt, als sei das irgendwie seltsam. In den Vereinigten Staaten sind buchstäblich Millionen von Frauen aktive Sportler. Aber Männer haben immer noch Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass es so ist.”
Es ändert sich allerdings nur dort etwas, wo Frauen selbst aktiv werden. So wie in Portland. Konkrete Hilfestellung seitens der Männer ist nicht zu erwarten. Dazu ist der Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit einfach zu groß.