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Theater als Erfahrungsraum

Mit Frie Leysen hat Bühnenfestival "Theater der Welt" eine internationale Programmmacherin. Sie hat sich vorgenommen, die Optik an der Ruhr mit Gästen aus der ganzen Welt zu erweitern. Das heißt zugleich, dass sich die Produktionen in der und über die Region in der Welt spiegeln.

Von Christiane Enkeler | 05.07.2010
    "Das ist wie: Du bist zum ersten Mal am Atlantik. Oder du siehst zum ersten Mal ein Segelschiff mit vier Masten. Also du bist auf diesem Gelände und sagst: Oh wow! Ist ja unglaublich! Und das liegt hier so rum! Und da macht keiner was draus!"

    Sieben Experten sitzen an einem Tisch: Journalist, Architekt, Designer, der Anbieter dieses "unglaublichen" Geländes für das Land NRW und der Planungsdezernent von Essen. Ein Schauspieler moderiert. Aber alle Interviews sind aufgezeichnet und fügen sich erst in der Installation zusammen. Für jeden Beteiligten steht ein Bildschirm auf dem Stuhl.

    "Stellen Sie sich bitte die Schlagzeile vor: Ein saudi-arabischer Scheich - und dann macht's bei allen wieder "klick" und alle stellen sich wieder 1001 Nacht vor - investiert auf dem Weltkulturerbe Zollverein."

    Der Scheich ist wohl echt. Aber sein Stuhl bleibt leer. Die Geschichte erzählen die anderen: Zum Vertragsabschluss ist es noch nicht gekommen. Dennoch wirken die Beteiligten erfrischend unverdrossen. Deutlich wird: Hinter trockenen Meldungen verbergen sich Menschen, die große Träume haben. Bart Baele und Yves Degryse haben die Dramatik ihres Dokufiktionspanels "Tagfish" weniger konstruiert als gefunden in der Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft, Ideen und Realisierbarkeit, Region und globalisierter Welt.

    Dabei weht eine feine Ironie über das karge Schotterland. Im Zeichentrick erscheinen darin utopische Entwürfe. Manchmal stapft ein Chor übers Feld:

    "Glück auf, Glück auf. Der Steiger kommt."

    Ernst Adolf Steiger ist der Protagonist einer anderen Festivalproduktion.
    In einer St.-Barbara-Klinik wurde er geboren, in einer St.-Barbara-Kirche getauft, und seine Mutter hat ihn jahrelang in Mädchenkleider gesteckt und "Barbara" genannt.

    Hans Peter Litscher: "Ernst Adolf hatte, was wir gemeinhin ein "Barbara-Trauma" nennen. Er hat dann sein Leben lang versucht, dieses Barbara-Trauma in den Griff zu bekommen, und was Sie hier sehen, ist sein Das-Barbara-Trauma-begreifen-Wollen."

    Der Schweizer Hans Peter Litscher führt für seine Produktion "¡Barbara – Rabarbara!" durch das Barbararium des Ernst Adolf Steiger, dessen Vater Steiger war und bei einem Grubenunglück ums Leben gekommen ist. Daraufhin musste der Sohn seine musischen Talente zurückstecken und hat Geld als Versicherungsmathematiker verdient. Erst später beginnt er, Grubenunglücksstatistiken in Musik zu verwandeln. Man kann auch seine erste Platte besichtigen, malerisch zerbrochen in vier ungleich große Teile, unter Glas.

    Die Heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute und Waffenschmiede. Und im Barbararium ist alles voller Barbaras, Starfotos, kleine Kultstatuen diverser kultureller Herkunft, und natürlich Rhabarber. Ernst Adolf Steigers Letzter Wille sind die Barbararien. Ein Stofftier-Bondage-Grubenpony hat er immer wieder morgens die Treppe heruntergelassen, "Martyrium und Pornografie" liegen halt nah beieinander. Jedes Bild, jeder herumliegende Buchtitel, jeder Altar gehört zum System "Ernst Adolf Steiger", der das Titelblatt eines alten Groschenromans eingerahmt hat: "Die mit der Lüge leben." Aber ob Ernst Adolf Steiger überhaupt jemals gelebt hat?

    Alles ist amüsant und klug, aber man verliert in all dem Krimskrams ein bisschen den roten Faden, den Litscher überall auszugsweise gespannt hat.

    Gegenüber dem Festivalzentrum soll das Stadtentwicklungsprojekt "Ruhrbania" die City näher an die Ruhr rücken. Die Performance zum Thema "Ruhrbania", die Kunst-Aktion "A piece of Land" von Anna Rispoli, fällt ein bisschen auseinander, leuchtet dafür aber im Dunkeln: In den Gebäuden sind offenbar Menschen, die konzertiert die Lichtschalter drücken. Davor leuchten aus den Fenstern von zwei Schiffen auf der Ruhr Schrifttafeln, die in Spruch und Widerspruch Optimismus gegen Krise stellen.

    Eine Death-Metal-Band bricht die stille Poesie zur Utopie mit harten Klängen.
    Um Verlebendigung von Architektur soll es gehen. Wer sich aber mit "Ruhrbania" noch nicht auseinandergesetzt hat, kann mit der Aktion nicht so viel anfangen.

    Er mag sich an einem schönen Bild erfreuen. Oder genervt sein, dass man die Details am anderen Ufer kaum erkennt.

    Nach den regionalen Bezügen zur Ruhr-Region wird also nicht immer so sinnfällig und tiefgründig geschürft wie in "Tagfish". Was allerdings positiv auffällt, ist: dass keine der genannten Produktionen ins Klischee fällt. Weil alle wissen, wie man damit spielt.

    Informationen:

    Theater der Welt 2010