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Theater als Politik-PR-Event

Alle sind sie heute nach Karlsruhe gekommen – Bundespräsident, Bundeskanzlerin, Richter – alle zum Festakt 60 Jahre Bundesverfassungsgericht. Und auch die Kunst – Rimini Protokoll hat genau 100 Karlsruher auf die Bühne gebracht, 100 Bürger, die Statistik lebendig werden lassen sollen.

Von Christian Gampert | 28.09.2011
    Wo sind wir hier? In einem Rührstück? Einem Staatsakt? Einer heiligen Messe? Wir jedenfalls sind schwer gerührt, denn wir haben ein tolles Bundesverfassungsgericht. Glaubt man den Festreden des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin, des Verfassungsgerichtspräsidenten Voßkuhle, dann steht alles zum Besten: Hohe Wertschätzung genieße das Gericht im In- und Ausland, und der Karlsruher Intendant Peter Spuhler gratulierte zu einer Jubelfeier, die große Bürgernähe gezeigt habe.

    Es handelt sich freilich um eine inszenierte Bürgernähe: Vor dem Staatstheater standen Rentner und protestierten gegen Altersarmut, drinnen feierte die politische Klasse sich selbst. Wer hier eingeladen ist, der gehört dazu: professorale und journalistische Wasserträger und andere Meinungsführer, die gern am Katzentisch der Macht Platz nehmen, Wirtschaftsbosse, regionale Hautevolee, Berliner Würdenträger.

    Angesichts der desolaten Lage auf den Finanzmärkten ist es erstaunlich, wie gelassen die Berliner Republik ihre angebliche dritte Gewalt feiert. Auf die kann sie sich im Notfall immer verlassen, die hat kürzlich auch den Euro-Rettungsschirm abgesegnet, wenngleich, wie immer, mit Einschränkungen im Kleingedruckten. Die Bundeskanzlerin wird sogar leicht pathetisch im Lobgesang auf 60 Jahre Zusammenarbeit.

    "Uns eint die gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl. In dieser immer bewiesenen Einigkeit liegt der Schlüssel dafür, dass wir stolz zurückblickend und guten Mutes vorausblickend sagen können: Ja, unser Staat ist in guter Verfassung."

    Es ist nicht unwichtig zu wissen, dass die ersten Roben der Bundesverfassungsrichter in den 50er-Jahren aus Stoffen des Karlsruher Theaters gefertigt wurden. Und wenn in einer hochkomplexen, unüberschaubaren Gesellschaft Menschen in roten Hüten sich aufstellen, um Recht zu sprechen, dann hat das in der Tat etwas Theatralisches, etwas Erhaben-Lächerliches, etwas Anachronistisches. Aber es ist Macht damit verbunden. Das Problembewusstsein der politischen Klasse allerdings ist groß: Besonders Bundespräsident Wulff weiß sehr genau um die Schwierigkeiten, die sich aus der europäischen Integration ergeben.

    "Auf europäischer Ebene ist ein Dialog zwischen den Gerichten entstanden, in dem das bessere Argument zählt. Es ist daher auch kein Gesichtsverlust, sondern zeugt von Souveränität, wenn das Bundesverfassungsgericht bereit ist, gegebenenfalls auch unter Änderung der eigenen Rechtsprechung dem besseren Argument zu folgen."

    Das ist eine sehr noble Umschreibung der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht ständig Ohrfeigen aus Straßburg bekommt, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - zuletzt beim Kindschaftsrecht und der Sicherungsverwahrung.

    Bei einer Feierstunde hört sich das natürlich anders an, und nach Musik und schönen Reden durfte auch das Volk selber das Wort ergreifen. Es hat allerdings nicht viel zu sagen – in den netten Soziogrammen und amüsanten Frage-und-Antwort-Spielen, die die Gruppe "Rimini Protokoll" mit Karlsruher Bürgern veranstaltete, erfuhr man wie in einer TED-Umfrage mancherlei Befindlichkeiten – dass die Menschen den Afghanistan-Einsatz nicht lieben und dergleichen.

    Das ist hübsch und hübsch harmlos: das Theater als Kaisergeburtstags-Dichter – was wohl die Stein- und Peymann-Generation dazu sagt? Das wahre Verfassungsgerichts-Drama findet sowieso woanders statt: Wer Bundesverfassungsrichter wird, das knobelt man, wie in einem schlechten Brecht-Stück, in den Hinterzimmern des Bundestags aus. Die politische Klasse wählt sich ihre Richter selber, die dann meist das Gewünschte liefern, bisweilen mit gewissen Abweichungen von der Regierungsmeinung. Und wer sieht, welche altgedienten politischen Schlachtrösser plötzlich Bundesverfassungsrichter wurden oder demnächst werden, der möchte dann doch an Kleists "Zerbrochenen Krug" denken und sich fragen, ob hier nicht der Richter Adam über sich selbst zu Gericht sitzt.