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Theater Altenburg-Gera
Zwei Meilensteine der jüdischen Musikgeschichte

Michail Gnessins "Die Jugend Abrahams" war die erste hebräische Oper der Musikgeschichte. Sie verschwand allerdings kurz nach ihrer Entstehung 1923. Nun wurde sie in Gera uraufgeführt - gemeinsam mit der weitaus moderneren Kammeroper "Saul in Ein Dor" von Josef Tal.

Von Claus Fischer |
    Rote Theaterstühle
    Zwei Meilensteine der jüdischen Musikgeschichte wurden nun im Theater Altenburg-Gera uraufgeführt (picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul)
    Es geschah vor etwa 3.500 Jahren im Nahen Osten. Als König Nimrod seine Entmachtung prophezeit wird, erlässt er den Befehl, jeden erstgeborenen Knaben im Land zu töten. Terach, der Vater des jungen Abram, der später Abraham heißen wird, bringt es nicht übers Herz, seinen Sohn umzubringen. Er versteckt ihn in einer Höhle.
    Der junge Abram philosophiert über den Sinn des Lebens. Bis er draußen Vögel singen hört und Sonnenstrahlen sieht, die in die Höhle hineinfallen, sie aber als solche natürlich nicht erkennt, da er die Sonne ja nie zuvor erblickt hat.
    Einstündige Kammeroper "Der junge Abraham"
    Im Jahr 1923 vollendete der Komponist Michail Gnessin, ein Jude aus Moskau, den Klavierauszug seiner einstündigen Kammeroper "Der junge Abraham", und zwar im damaligen Palästina, in einem Hotel unmittelbar in der Nähe der sagenhaften Abrahamshöhle. Den Stoff hatte er nicht in der Thora, sondern in einer altjüdischen Legendensammlung, der sogenannten Aggada, gefunden. Das Libretto verfasste er auf Russisch, ließ es dann aber ins Neuhebräische übersetzen, erzählt Jascha Nemtsov, Professor für jüdische Musik an der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar.
    "Der Freund von Gnessin, der das Libretto übertragen hat, der gehörte zu den Pionieren der hebräischen Sprache in Palästina!"
    Die Musik von Michail Gnessin steht, so betont, der Generalmusikdirektor des Theaters Altenburg-Gera, der Franzose Laurent Wagner, ganz auf der Höhe ihrer Zeit - Einflüsse unter anderem von Igor Strawinsky sind deutlich hörbar.
    "An der Grenze zwischen der Spätromantik und dem Expressionismus würde ich diese Musik ansiedeln, eine manchmal sehr dichte Tonsprache, sehr ausdrucksvolle Tonsprache, mit sehr deutlich erkennbaren jüdischen Elementen. Man hört die "Farbe der Synagoge" würde ich so sagen. Eine Musik auch die – und das war vielleicht nicht ganz selbstverständlich – auch sehr viel die Stille sucht."
    Erste hebräische Oper der Musikgeschichte
    Michail Gnessins Oper "Der junge Abraham", die erste hebräische Oper der Musikgeschichte, verschwand kurz nach ihrer Entstehung 1923 in der Versenkung. Der Komponist schuf weder eine Orchesterfassung, noch kam es zu einer Uraufführung. Das, so Jascha Nemtsov, hängt damit zusammen, dass Gnessin nach Vollendung des Klavierauszugs in die Sowjetunion zurückgekehrt war.
    "In ein Land, in dem die jüdische Kultur zum Teil geduldet wurde, schließlich aber einige Jahre später komplett unterdrückt und fast vollständig eliminiert wurde. Aber die Motive, die in dieser Oper eine Rolle spielen, Bezüge zu der jüdischen Religion, Bezüge zum Zionismus, die waren schon damals, als Gnessin Anfang der 20er-Jahre nach Moskau zurückkehrte, vollkommen tabu."
    Michail Gnessin sprach bis zu seinem Tod 1957 nie über das Werk, zumal er Mitte der 1920er-Jahre das Komponieren aufgab und sich als Musikpädagoge einen Namen machte. Jascha Nemtsov stieß im Zuge seiner Forschungsarbeit zufällig auf den Klavierauszug.
    "Ich war zum ersten Mal 1998 in Moskau, im russischen Staatsarchiv für Literatur und Kunst und das Manuskript von Gnessin gehörte zu den Werken, die ich dort gesehen habe. Schließlich habe ich 2005 eine Möglichkeit bekommen, eine Kopie von diesem Manuskript tatsächlich zu erhalten."
    Orchestrierte Oper "Saul in Ein Dor"
    So bot Jascha Nemtsov das Werk dem Theater Altenburg-Gera für die Uraufführung an. Doch eine szenische Oper von einer Stunde Dauer, nur mit Klavier, macht noch keinen Opernabend. So schlug Jascha Nemtzov vor, die Uraufführung mit einem zweiten Meilenstein der jüdischen Musikgeschichte zu kontrastieren, der voll orchestrierten Oper "Saul in Ein Dor" vom israelischen Komponisten Josef Tal, entstanden und uraufgeführt 1955.
    Saul, der König der Israeliten, versucht sich mit seinem Heer gegen die feindlichen Philister zu wehren. In seiner Verzweiflung geht er zu einer Wahrsagerin, der Zauberin von Ein Dor. Sie erweckt den Geist des verstorbenen Propheten Samuel. Der macht Saul keine Hoffnung, sagt voraus, dass dessen Heer geschlagen und der junge David den Königsthron besteigen wird.
    Die Musik von Josef Tal, der zu den prägenden Vätern auch des israelischen Konzertlebens gehörte, enthält - im Gegensatz zu der von Michail Gnessin - kaum Elemente der synagogalen Tradition, sagt der Geraer Generalmusikdirektor und musikalische Leiter der Aufführung Laurent Wagner.
    "Eine deutlich modernere Sprache, aber auch mit ganz starken expressionistischen Elementen!"
    Schrecken der Schoah werden verarbeitet
    Michael Dissmeier entschied sich dafür, den Abend mit Josef Tals Oper "Saul in Ein Dor" zu beginnen. Mit wenigen Requisiten ausgestattet, spielt das Ganze auf einer Art Laufsteg, die Zauberin lebt in einer stilisierten Felsgrotte an dessen Ende. Das Ganze bleibt also vordergründig in der Zeit des Alten Testaments. Dem Zuschauer wird aber schnell klar, dass der Regisseur eine Parabel inszeniert, die das Leiden des jüdischen Volkes schildert. Er wird damit dem Komponisten gerecht, der in seiner Oper die Schrecken der Schoah verarbeitet. Die Oper endet mit den Worten "Hinaus in die Nacht!"
    Es ist allzu logisch, dass die wiederentdeckte Oper "Die Jugend Abrahams" von Michail Gnessin als zweites Werk des Abends zu sehen war, geht es doch darin um Aufbruch und Neuanfang. Die Höhle, in der der junge Abraham über das Leben nachdenkt, ist eine Studierstube. Schnell wird klar: Regisseur Michael Dissmeier zeigt hier den jungen Theodor Herzl, wie er den Zionismus gedanklich entwickelt. So endet der Weg Abrahams hinaus in die Sonne mit der nachgestellten Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel 1948. Eine Szene die wortlos, nur vom Klavier illustriert, von Frauen und Männern aus der jüdischen Gemeinde Erfurt nachgestellt wird und regelrecht Gänsehaut auslöste. Michael Dissmeier, ein Schüler von Harry Kupfer übrigens, hat – auch in Bezug auf die Personenführung – hervorragende Arbeit geleistet.
    Die Leistungen der Sänger waren ebenfalls von höchster Qualität. Der ungarische Tenor János Ocsovai bewältige eine Mammutaufgabe, sang er doch in beiden Opern die Hauptpartien, also sowohl den Saul, als auch den jungen Abraham, beide mit großer Gestaltungskraft. Ihm kongenial zur Seite stand als Gast am Haus die israelische Sopranistin Ayala Zimbler-Herz. Heimlicher Star des Abends war allerdings die japanische Pianistin Yuka Beppu, die den bis dato im Archiv schlummernden Klavierauszug von Michail Gnessin höchst virtuos umsetzte. Und last but not least präsentierte sich auch das Philharmonische Orchester des Theaters Altenburg-Gera unter Laurent Wagner in bester Verfassung.