"Die Regierung hat einen Kampf eröffnet, auch gegen das Theater. Viele Schauspieler des Staatstheaters, darunter enge Freunde von uns, wurden entlassen, es waren namhafte Preisträger darunter, auch Regisseure. Es ist ein Kampf gegen alle Denker und Künstler des Landes. Der Idealzustand ist offenbar, dass man keine Fragen mehr stellen soll. Ein totalitäres System wird errichtet. Weil man dadurch eine Aktualität schafft, die von der Politik ablenkt."
Sagt der türkische Schauspieler und Theaterleiter Alican Yücesoy im Nieselregen vor dem Theater an der Ruhr in Mülheim. Yücesoy ist in der Türkei berühmt, er war schon Serienstar, spielte die Rolle des Atatürk und wird auch der "Jude Law" von Istanbul genannt. Seit rund einem Jahr leitet er das Stadttheater in Bakirköy, einem sozialdemokratisch geführten Vorort von Istanbul mit 350.000 Einwohnern. Der 34-jährige wurde vom Ensemble selbst gewählt, das sich unter anderem auch von seiner Berühmtheit Rückendeckung in schweren Zeiten versprach.
"Auch in unserem Theater wurden Leute entlassen, wir können noch nicht einmal mehr Autorenrechte zahlen. Das hat nur indirekt mit dem Putsch zu tun: Schon lange sind wir dem Bürgermeister ein Dorn im Auge. Er hat unser Budget eingefroren. Normalerweise kann man Widerspruch einlegen – aber durch den Ausnahmezustand ist das nicht mehr möglich. Die Situation in der Türkei kommt uns gerade vor wie ein bitterer Scherz."
Und die Schauspielerin Yelda Baskin, fügt hinzu: "Es ist so absurd, einen Schauspieler zu beschuldigen, ein Gülen-Anhänger zu sein. Es ist völlig gegen die Natur des Künstlers, Sektenmitglied zu sein. Alle haben wir Angst, es ist eine sehr schwere Zeit. Sie sind überall. Es ist einfach offensichtlich, dass das eine Hexenjagd ist. Aber jetzt will ich lieber nicht weitersprechen.
Westliche Arroganz, mit der "Entwicklungsländer" ausgebeutet werden
Eigentlich hat Wolfram Lotz in "Lächerliche Finsternis" zynisch und geschickt den Zustand des postkolonialen Europas auf den Punkt gebracht. Das Stück entlarvt die westliche Arroganz, mit der sogenannte Entwicklungsländer immer noch ausgebeutet werden. In der türkischen Inszenierung von Nurkan Erpulat wird das ironisch uminterpretiert: Hier ist es vordergründig der Kemalismus, der seine Botschaft eines weltlichen, bildungsoffenen türkischen Nationalstaates rücksichtslos über die ländlichen Gebiete der Türkei stülpt.
Deshalb kippt in dem klinisch weißen Bühnenbild der somalische Schwarze vom Beginn auch erst einmal eine Schubkarre Matsch aus: Matsch für Muttererde, Matsch für jenen Dreck, der die vermeintlich so weiße patriotische Weste beschmutzt. Der Missionar in Lotz‘ Stück tritt hier als Lehrer auf, der die Dorfbewohner umerzieht. Er stimmt das in der Türkei berühmte patriotische Lied "Mein Dorf" von Ahmet Kusi Tecer an:
"Dort in der Ferne ist ein Dorf… Dieses Dorf ist unser Dorf… Ob wir hingehen oder nicht… dieses Dorf ist unser Dorf”.
Eine Saison lang nicht aufgefallen
Immer schriller und falscher singen sie das Lied, denn die Rückbesinnung auf dörfliche Religiosität und Einfachheit kann wohl kaum die Lösung ein. Dass hier in Wirklichkeit Erdogans sogenannte islamische Säuberungsbestrebungen gemeint sind, schwingt stets als Möglichkeit mit.
Eigentlich ist es nur ein Zufall, dass das Stück in der Türkei überhaupt noch aufgeführt werden kann, meint Yükesoy.
"Es ist irritierend für die Türkei, dass wir dieses Stück spielen. Das Glück in der letzten Saison war, dass wir nicht aufgefallen sind, da wir keine offizielle Pressepremiere hatten. Leise haben wir es eine ganze Spielzeit durchgezogen. Im nächsten Jahr könnte es Probleme geben. Unser Glück ist, dass eine große Masse von Leuten genau solche Stücke sehen will – und nicht diese serienähnlichen Drecks-Boulevardstücke, die es sonst so gibt. Das hat uns selbst überrascht. Wir sind stets ausverkauft, schon Wochen vorher. Vergleichbares machen wohl nur kleinere unbekannte Gruppen. Aber denen wurde die finanzielle Unterstützung vollständig gestrichen."