Archiv


Theater auf dem Trampolin

Herbert Fritsch, Schauspieler und Filmemacher, Regisseur und Workaholic, bemüht sich notorisch um die Wiederbelebung der Lach-Kultur in Deutschland. Das gelang ihm bislang vor allem an den kleineren Theatern im Lande - und jetzt in Berlin an der Volksbühne.

Von Michael Laages | 30.06.2011
    Doch - es macht noch immer ziemlich viel Spaß, die Spur zu verfolgen, die der Komik-Prophet Herbert Fritsch durch die deutsche Theaterlandschaft zieht seit einiger Zeit; auch wenn die Sorge unabweisbar ist, dass sich sein enormes Talent in pausenloser Arbeit viel zu schnell verschleißt. Auch ist ihm der Jubel allzu oft allzu sicher, wie jetzt naheliegender Weise auch im Heimathafen Berlin, wo die Volksbühne zur Premiere ausverkauft ist bis unters Dach und sogar bis in die ersten Parkettreihen über dem Orchestergraben, die normalerweise vorsichtshalber gar nicht erst zur Verfügung stehen, und wo die finale Begeisterung eher der bei einem Pop-Konzert gleicht.

    Zumal Fritsch selber, als "Spanische Fliege” höchstpersönlich sozusagen, durch den Schlussbeifall über die Köpfe des Ensembles surrt. Im Jubelsturm hat er das Haus zurück erobert, dem er im Streit mit dem kreativ-zerstörerischen Hausgeist Castorf den Rücken kehrte.

    Zur Premiere nach Berlin reiste übrigens eine ordentliche Menge Mitstreiter aus früheren Produktionen an, aus Oberhausen etwa oder aus Schwerin, wohin Fritsch ja niemals Gäste mitnimmt, sondern sich ganz auf die - oft in Routine erstarrten - Talente vor Ort verlässt. Im Marathon der Fritsch-Premieren ist so - und das ist womöglich die schönste Nebenwirkung dieses ungewöhnlichen Siegeszuges - eine Art "virtuelles Ensemble” entstanden, besetzt mit lauter hoch animierten "Fritschianern”, die mit ihm etwas Neues entdecken im und am Theater. Etwas Neues an sich und in sich. Teile der Berliner Volksbühnen-Truppe zählen ab jetzt sicher auch dazu.

    Wobei sich um die Protagonisten des Abends niemand zu sorgen brauchte, um die bewährt schrille und schräge Sophie Rois (deren zutiefst dreckiges, dekorativ verkommenes Lachen repräsentiv für den ganzen Abend steht) und um den unerhört virilen, hochvirtuosen und sehr komischen Wolfram Koch, der tänzelnd und stolpernd, bullenstark und machoblöd den Kern der Missverständnisse markiert, aus denen der Schwank der Herren Arnold und Bach ursprünglich und im Wesentlichen besteht.

    Es geht -so viel Inhalt muss dann ja doch sein- um einen braven Biedermann und Mostrich-, also Senf-Fabrikanten, der vor 25 Jahren mal fremd ging mit einer Tänzerin aus fahrendem Volk, die sich "Die Spanische Fliege” nannte, und nun die Ankunft des Kindes befürchten muss, dass diesem kleinen Seitensprung entspross. Die Paranoia des Senf-Manns wuchert mächtig, unablässig verwechselt er nun das virtuelle Kind mit echten jungen Leuten, auch mit der eigenen Tochter und einem von der Gatton besorgten Heiratsbewerber; dessen Mutter - immerhin Frau Stadträtin, aber mit Tanz-Talent - hält er kurz vor Schluss gar für "Die Spanische Fliege” selber. Frau Senf-Fabrikantin gehörte dem lokalen Moralverein an, was die Sache sehr verkompliziert - aber letztlich findet sie den Gatten ja doch viel schärfer, als sie um seine geheime Geschichte von früher weiß.

    So viel zum Plot. Fritsch, meist auch sein eigener Bühnenbildner, hat eine grandiose Szenerie dafür gefunden: einen bühnenfüllenden Riesenteppich, der sich hinten zur Bühnenrückwand mächtig aufwölbt. Unter diesen Teppich kann viel gekehrt und auf ihm kann viel gestolpert werden. Und in eines der Stolperteppichtäler ist obendrein ein Trampolin hinein gebaut, das sehr bald exzessiv und von allen ein bisschen zu fleißig benutzt wird. Zu Beginn darf sich auch jeder eine ganz spezielle Lauf-Masche zulegen - stelzen wie ein Storch zum Beispiel. Einfälle dieser Art gehen Fritsch sehr lange nicht aus.

    Der Regisseur muss dann mit der Zeit allerdings auch die durchaus etwas holprige Dramaturgie des Stückes bedienen, und da holpert dann auch die Aufführung munter mit. Sie ist auch spürbar länger als etwa Goldonis "Diener zweier Herren”, den Fritsch neulich in Schwerin entfesselte. Treudeutscher Humor à la Arnold & Bach will und muss halt lachen auf Pointe komm raus, italienischer lächelt sowieso schon immer. Und wenn gerade mal gar nichts hilft in Berlin, dann hilft immer das Trampolin; unterlegt von Ingo Günthers wirklich ulkiger Maschinen- und Quietsch-Musik auf der Basis des Hummel- und Fliegenflugs von Rimsky-Korssakow.

    Wolfram Koch tobt sich aus, Sophie Rois nölt und mäkelt und lacht wie Blech; aber auch an Bastian Reiber als geschundenem Ehe-Bewerber sowie den kreischenden Töchtern Inka Löwendorf und Mandy Rudski hat das Publikum seine helle Freude. Alle ziehen aufs Verrückteste mit, und das ist dann eben auch an der Volksbühne das größte Verdienst des magischen Grimassenschneiders Herbert Fritsch: Dass er sie alle in Wallung bringt, dass er mit und in ihnen allen eine Art Feuer entfacht, das sonst nicht immer leuchtet in und an und mit ihnen. Nicht so viel nachdenken, rät Fritsch immer, mehr spielen - und wusste nicht der olle Schiller schon, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt? Auch eine gute Quelle für den Ulk-Apostel Herbert Fritsch.