Elmar Goerden ist der Mann der leisen Anfänge, das muss man nach diesen drei Abenden vor allem feststellen; das Bochumer Publikum, das Matthias Hartmanns technische Spielereien kennt, wird sich umgewöhnen müssen. Hier ist Theater Hand gemacht, mit Schauspielern und manchmal auch mit Worten, aber ohne doppelten Boden und ohne mediale dritte oder vierte Ebene, selbst die Tonspur wird überaus zurückhaltend bestückt. In dem Handke-Stück wird gar nicht gesprochen. Und Miss Sara Sampson steht im zerknautschten Cocktailkleid und mit weißblonder Perücke minutenlang rauchend da, bevor sie mit dem Rücken zum Publikum ihren Lover Mellefont anspricht.
Der junge Regisseur Benjamin Walther hat den oft gemiedenen, weil nicht mehr zeitgemäßen Empfindsamkeits-Schocker in eine Art gehobenes Zuhälter-Milieu verlegt. Dort herrschen zwar auch die "Do’s and Don’ts" einer geschlossenen Gesellschaft: Vater William Sampson im weißen Nerz über weißem Zweireiher ist schockiert, in welches Etablissement es seine Kleine verschlagen hat. Mehr lässt die Modernisierung von Lessing dann aber auch nicht übrig. Die Marwood klagt im Daunen-Anorak über bloßen Beinen nur ihre "älteren Rechte" ein; und die Sara der Claude de Demo könnte eine späte Ausgabe jener 'Kinder vom Bahnhof Zoo’ sein, die sich aus Naivität einem Beschützer an den Hals werfen, der sie allerdings nur kurz als bestes Pferd im Stall bestätigen wird. Dass sich diese Milieu-Studie mit dem Text auf ungute Weise reiben muss, ist klar.
Der Regisseur will vom beschädigten Leben erzählen und von der pubertären Schwierigkeit, sich für langweilige Liebe statt aufregenden Sex zu entscheiden. Statt dessen präsentiert er epigonale Castorf-Mätzchen und psychologischen Overkill: sobald wichtige Briefe auftauchen, fangen alle an zu stottern. Und der arme Christoph Pütthoff muss als Waitwell minutenlang mit heruntergelassenen Hosen spielen. Walther kann handwerklich genau arbeiten, er hat aber zu viele Szenen mit Signal-Charakter aneinander geklopft. Zurück auf Los, signalisierte das Bochumer Publikum.
Zur Eröffnungspremiere, Peter Handkes "Stunde, da wir nichts voneinander wussten", hatte es noch wärmstens applaudiert und dem Intendanten ein begeistertes Willkommen bereitet. Und das, obwohl Elmar Goerden sich als Meister von Luftnummern erwies. Das Stück, das nur aus Regieanweisungen besteht und ohne Worte funktioniert, ist ja eine Art Wunschpunsch für Regisseure. Es taugt nicht nur für die Vorstellung des ganzen Ensembles und jeder Menge Kostüme. Man kann auch ein paar Extras aus Fundus und Requisite einbauen, zum Beispiel das Fell eines Löwen samt ausgestopftem Kopf oder eine alte Sänfte aus Holz. –zig Figuren - der Angler, der Liebhaber, die Behinderten-Gruppe, die Verrückte - kommen und gehen, treffen unabsichtlich aufeinander, oder ihnen passieren alltägliche oder auch merkwürdige Dinge, deren Merkwürdigkeit vor allem daran liegt, dass alles auf einmal passiert.
1994 bemerkte der Kritiker Benjamin Henrichs über das 1992 uraufgeführte Stück: "Das Theater – befreit vom Gewicht der Wörter und ihrer ewigen Drohung. Das Theater, der alte, ächzende Kunstelefant, plötzlich auf federnden Füßen." Elmar Goerden setzt vollständig auf diese Leichtigkeit, er liefert Bilder für eine Schau-Bühne, für ganz kindliches Staunen ohne jeden Tiefgang. Der riesige Sockel eines Obelisken ragt hoch auf, bewegt sich von rechts nach links und erdet diese schöne, schnelle, aber etwas überladene Inszenierung.
Am dritten Abend präsentierte sich Goerden dann als der sorgfältige Wortarbeiter, als der er angekündigt war: mit einer handwerklich perfekten Arbeit lieferte er in Bochum die lang geforderte Klassiker-Inszenierung ab, und mit seiner "Iphigenie" den Beweis, wie man Goethe und den Göttern gleichermaßen gerecht wird, ohne den psychologischen Fortschritt der Jahrhunderte zu negieren. Das Bühnenbild atmet 60er Jahre und strahlt doch überzeitliche Strenge und Reinheit aus. Rainer Bock als Thoas ist ein Politiker-König mit ganz menschlichen Zügen. Ein bisschen Macho, ein bisschen Manipulator, ein bisschen müde. Er ist auf eine Kevin Spacey-Art lakonisch, gestresst allerdings von der Aussicht, wegen Kinderlosigkeit nicht wieder gewählt zu werden und am Ende fassungslos, mit Iphigenie auch seine große Liebeshoffnung zu verlieren.
Christine Schönfeld hat als Iphigenie Anlaufschwierigkeiten, versteht es aber ansonsten glänzend, die Forderungen der Götter, Thoas’ weltliche Wünsche und ihr eigenes Emanzipations-Projekt irgendwie auszutarieren.
Oliver Möller ist als Orest ein schmächtiger, überspannter Jüngling, den das schreckliche Vermächtnis fast in die Psychose treibt und der Todesangst wie Todessehnsucht glaubhaft ausagiert. Eine geschlossene Ensembleleistung überhaupt, an deren Ende nicht der glückliche göttliche Ratschluss im Mittelpunkt steht, sondern ein starkes Plädoyer gegen faule Kompromisse unter den Menschen. Falls das auch ein Versprechen für kompromissloses Theater war: weiter so!
Der junge Regisseur Benjamin Walther hat den oft gemiedenen, weil nicht mehr zeitgemäßen Empfindsamkeits-Schocker in eine Art gehobenes Zuhälter-Milieu verlegt. Dort herrschen zwar auch die "Do’s and Don’ts" einer geschlossenen Gesellschaft: Vater William Sampson im weißen Nerz über weißem Zweireiher ist schockiert, in welches Etablissement es seine Kleine verschlagen hat. Mehr lässt die Modernisierung von Lessing dann aber auch nicht übrig. Die Marwood klagt im Daunen-Anorak über bloßen Beinen nur ihre "älteren Rechte" ein; und die Sara der Claude de Demo könnte eine späte Ausgabe jener 'Kinder vom Bahnhof Zoo’ sein, die sich aus Naivität einem Beschützer an den Hals werfen, der sie allerdings nur kurz als bestes Pferd im Stall bestätigen wird. Dass sich diese Milieu-Studie mit dem Text auf ungute Weise reiben muss, ist klar.
Der Regisseur will vom beschädigten Leben erzählen und von der pubertären Schwierigkeit, sich für langweilige Liebe statt aufregenden Sex zu entscheiden. Statt dessen präsentiert er epigonale Castorf-Mätzchen und psychologischen Overkill: sobald wichtige Briefe auftauchen, fangen alle an zu stottern. Und der arme Christoph Pütthoff muss als Waitwell minutenlang mit heruntergelassenen Hosen spielen. Walther kann handwerklich genau arbeiten, er hat aber zu viele Szenen mit Signal-Charakter aneinander geklopft. Zurück auf Los, signalisierte das Bochumer Publikum.
Zur Eröffnungspremiere, Peter Handkes "Stunde, da wir nichts voneinander wussten", hatte es noch wärmstens applaudiert und dem Intendanten ein begeistertes Willkommen bereitet. Und das, obwohl Elmar Goerden sich als Meister von Luftnummern erwies. Das Stück, das nur aus Regieanweisungen besteht und ohne Worte funktioniert, ist ja eine Art Wunschpunsch für Regisseure. Es taugt nicht nur für die Vorstellung des ganzen Ensembles und jeder Menge Kostüme. Man kann auch ein paar Extras aus Fundus und Requisite einbauen, zum Beispiel das Fell eines Löwen samt ausgestopftem Kopf oder eine alte Sänfte aus Holz. –zig Figuren - der Angler, der Liebhaber, die Behinderten-Gruppe, die Verrückte - kommen und gehen, treffen unabsichtlich aufeinander, oder ihnen passieren alltägliche oder auch merkwürdige Dinge, deren Merkwürdigkeit vor allem daran liegt, dass alles auf einmal passiert.
1994 bemerkte der Kritiker Benjamin Henrichs über das 1992 uraufgeführte Stück: "Das Theater – befreit vom Gewicht der Wörter und ihrer ewigen Drohung. Das Theater, der alte, ächzende Kunstelefant, plötzlich auf federnden Füßen." Elmar Goerden setzt vollständig auf diese Leichtigkeit, er liefert Bilder für eine Schau-Bühne, für ganz kindliches Staunen ohne jeden Tiefgang. Der riesige Sockel eines Obelisken ragt hoch auf, bewegt sich von rechts nach links und erdet diese schöne, schnelle, aber etwas überladene Inszenierung.
Am dritten Abend präsentierte sich Goerden dann als der sorgfältige Wortarbeiter, als der er angekündigt war: mit einer handwerklich perfekten Arbeit lieferte er in Bochum die lang geforderte Klassiker-Inszenierung ab, und mit seiner "Iphigenie" den Beweis, wie man Goethe und den Göttern gleichermaßen gerecht wird, ohne den psychologischen Fortschritt der Jahrhunderte zu negieren. Das Bühnenbild atmet 60er Jahre und strahlt doch überzeitliche Strenge und Reinheit aus. Rainer Bock als Thoas ist ein Politiker-König mit ganz menschlichen Zügen. Ein bisschen Macho, ein bisschen Manipulator, ein bisschen müde. Er ist auf eine Kevin Spacey-Art lakonisch, gestresst allerdings von der Aussicht, wegen Kinderlosigkeit nicht wieder gewählt zu werden und am Ende fassungslos, mit Iphigenie auch seine große Liebeshoffnung zu verlieren.
Christine Schönfeld hat als Iphigenie Anlaufschwierigkeiten, versteht es aber ansonsten glänzend, die Forderungen der Götter, Thoas’ weltliche Wünsche und ihr eigenes Emanzipations-Projekt irgendwie auszutarieren.
Oliver Möller ist als Orest ein schmächtiger, überspannter Jüngling, den das schreckliche Vermächtnis fast in die Psychose treibt und der Todesangst wie Todessehnsucht glaubhaft ausagiert. Eine geschlossene Ensembleleistung überhaupt, an deren Ende nicht der glückliche göttliche Ratschluss im Mittelpunkt steht, sondern ein starkes Plädoyer gegen faule Kompromisse unter den Menschen. Falls das auch ein Versprechen für kompromissloses Theater war: weiter so!