Musik: "Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist..."
Ein Bierkastenpodest als Bühne. Hinter einem Bierkastensofa zertrümmert Häuptlingstochter Atala ein Transistorradio - in rosa Glitzerkleid, mit Krönchen und reichlich wirrem Haar. Ihr Vater, Häuptling Abendwind, erwartet einen Menschenfresser-Gast.
Musik: "Ich rieche, rieche Menschenfleisch..."
"Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl" ist ein Stück von Johann Nestroy auf der Grundlage des Librettos einer Offenbach-Operette. Rund 150 Jahre alt. Die Witze ziehen noch immer und lassen sich auch noch weiterdrehen.
Besuch: Es ist eine Ehre für mich.
Abendwind: Nein, es ist eine Ehre für mich.
Besuch: Nein, es ist eine größere Ehre für mich.
Abendwind: Nein, es ist eine größere Ehre für mich.
Besuch: Nein, es ist eine noch größere Ehre für mich.
Abendwind: Ich gebe mich geschlagen. Es ist eine größere Ehre für euch.
Besuch: Ihr müsst Atala sein, Abendwinds Tochter.
Atala: Nein, ihr müsst Atala sein, Abendwinds Tochter.
Abendwind: Nein, es ist eine Ehre für mich.
Besuch: Nein, es ist eine größere Ehre für mich.
Abendwind: Nein, es ist eine größere Ehre für mich.
Besuch: Nein, es ist eine noch größere Ehre für mich.
Abendwind: Ich gebe mich geschlagen. Es ist eine größere Ehre für euch.
Besuch: Ihr müsst Atala sein, Abendwinds Tochter.
Atala: Nein, ihr müsst Atala sein, Abendwinds Tochter.
Nestroy hat damals viele Umkehrungen in die kolonialistische Folie seiner Zeit eingebaut und letztendlich eine Satire auf die sogenannten "Zivilisierten" geschrieben.
Angst vor dem Zeitgeist
In Dortmund steht die Insel nun überhaupt nicht in einer Wildnis, sondern vor der Projektion einer Zeche mit Wasserbecken.
"Es geht um den Punk", sagt Regisseur Andreas Beck. "Und es geht darum, dass Leute, die etwas anders sind, die eben nicht diesen ganzen Mainstream oder dem Zeitgeist folgen, Angst haben davor, dass sie entdeckt werden und vielleicht von diesem Zeitgeist dann verschlungen werden."
Wolfgang Wendland: "Ja. Kann ja passieren. Wenn jetzt diese Radiosendung gesendet wird, dann werden wir vielleicht noch vom Zeitgeist entdeckt, dann gehören wir hinterher auch zu den Bösen..."
Wie die Operette mit den Punks zusammenkam? Wolfgang Wendland:
"Die haben halt bei uns offene Türen eingerannt, weil ich in meiner frühen Jugend Operettenfan war. Ich habe sehr viel Operetten gehört, kenne so die meisten, und bin dann eigentlich relativ übergangslos zum Punk gewechselt. Und ich glaube auch, dass beides - jetzt über die Arbeit, wo ich darüber nachgedacht habe, dass eigentlich die Sachen mehr so was Liedhaftes haben - also sowohl Punk als auch Operette - wo der Text genauso wichtig ist wie die Melodie."
Musik: "Eins – zwei – drei: Komm, mach die Titten frei, denn ich will wichsen..."
Sexismus-Verdächtigungen kommentiert Julia Schubert als einzige Frau auf der Bühne:
"Meine Aufgabe hier, jederzeit begehrenswert zu sein, ohne eine Schlampe zu sein - da scheiß ich drauf! - Hast du mir grad auf die Muschi geglotzt? Ne, is klar..."
"Sind wir nicht alle irgendwo ein bisschen Punk?"
Während die Punk-Fans erwarten, dass die Kassierer-Hosen fallen, ist die Schauspielerin die erste, die dem Publikum den blanken Hintern zeigt. Das Theater Dortmund zeigt hier wirklich eine "Faschingsburleske" (so Nestroys Untertitel): mit derben Späßen und viel Karneval. In einer blutigen Orgie stürzen sich die beiden Darsteller Uwe Schmieder und Uwe Rohbeck auf zwei Kästen voll Knochen und "Gedärm". In einer Unmenge schmierigen Zeugs wird nach einer unverdauten Uhr gewühlt. Und Publikum und Darsteller werfen sich aufblasbare Sex-Puppen zu. Klingt alles furchtbar, macht aber Spaß - auch, weil sie auf der Bühne Spaß haben. Im Dunkeln steht Nikolaj Sonnenscheiße an der Gitarre und lächelt versonnen. Der Saal geht mit, Kassierer-Fans und Theatergänger generationsübergreifend vereint. Wenn sie geblieben sind. Manche gehen, manche kommen wieder. Vielleicht kommen demnächst ja auch Karnevalisten.
"Sind wir nicht alle irgendwo ein bisschen Punk?" fragt Regisseur Andreas Beck. Tatsächlich bekommt der Zuschauer hier etwa das, was er wohl erwartet hat. Und Blut und Kot, das kennt der geübte Theaterzuschauer ja nun auch schon länger. Und nackte Menschen.
Atala: "Ich habe noch nie so was traumhaft Schönes gesehen..."
Am Ende lupft Wolfgang Wendland als Koch die Schürze und zeigt, wie der Fremde ihn untenrum frisiert hat: zwei lange Zöpfchen mit in allen Farben blinkenden LED-Kugeln.