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Theater-Festival „Spielart“ in München
Humor trotz schwerer Themen

Ganz persönliche Geschichten erzählen die internationalen Künstlerinnen und Künstler in ihren Performances beim Münchner "Spielart"-Festival. Damit stellen sie unter Beweis, dass auch das Private politisch ist. Das Publikum darf sich nicht zurücklehnen: Interaktion ist erwünscht.

Von Tobias Krone | 05.11.2019
Die Aufnahme zeigt Theatergäste bei der Performance von Tania El Khoury. Sie schließen Türen in einer raumgroßen Tresorwand auf, zwei Theatergäste stecken die Köpfe in die Schließfächer. Die Szenerie wird von einem prächtigen Kronleuchter in der Mitte des Raumes beleuchtet.
Hinter jeder Tür verbirgt sich ein Schicksal: Tania El Khourys Performance "Cultural Exchange Rate" (Judith Buss)
Für einen Einblick ins Familienarchiv von Tania El Khoury braucht es je einen Schlüsselbund für alle im Publikum. Sie schließen nacheinander Türen in einer Tresorwand auf, stecken die Köpfe in die Schließfächer und erpuzzeln sich so die Geschichte von El Khourys Vorfahren. Auch die Künstlerin hat ihre Familienhistorie nach und nach zusammengetragen:
"Ich habe mich durch Tausende von Immigrations-Dokumenten durchgearbeitet. Sie waren faszinierende historische Objekte. Ich weiß nicht, ob sich die Migranten extra für diese offiziellen Fotos so fein angezogen hatten, ob sie überhaupt wussten, dass die Bilder später im Nationalarchiv gelagert würden – oder haben sich Menschen damals allgemein für die Reise so schick gemacht?"
Über Videoinstallationen auf kleinen Monitoren in den Schließfächern nimmt uns die libanesischstämmige Künstlerin Tania El Khoury in ihrer neuesten Arbeit "Cultural Exchange Rate" mit bei der Ergründung der komplexen Migrationsgeschichte ihrer Vorfahren. Diese waren vor Generationen nach Mexiko emigriert, dann aber rätselhafterweise wieder zurückgekommen in das Dorf Akkar an der libanesisch-syrischen Grenze. Tania El Khoury lässt ihre Großmutter vom Krieg erzählen und am Ende dieser intimen Einblicke jeden Zuschauer einzeln darüber entscheiden, wie viel dieser kulturelle Austausch wert war. Und zwar im wörtlichen Sinne: Indem El Khoury das wertlos gewordene libanesische Geld ihres Vaters zum Umtausch gegen Euros anbietet. Eine intelligente, sensible und humorvolle Arbeit.
Neue Wege einschlagen in Afrika
Schwerpunkt des diesjährigen Münchner "Spielart"-Festivals ist Afrika: Eine Reihe von Veranstaltungen widmet sich den spirituellen Ritualen. "Totem" heißt die Performance des Kameruners Christian Etongo. Er bewegt sich tänzelnd im roten, weiten Zeremoniengewand um einen Kreis aus Kerzen, auf dem Gesicht eine Totemmaske aus Plastikschläuchen. Der Ritus entstammt dem Senegal. Ja, ihm gehe es um die Rückführung von Raubkunst aus europäischen Museen. Aber auch darum, in Afrika neue Wege einzuschlagen, erläutert Christian Etongo:
"Das hier ist die Neuerfindung der afrikanischen Spiritualität. Ich gehöre zu den Künstlern, die fordern, dass sich Afrika neu erfinden muss, aufräumen muss mit einer Vergangenheit, die wir gar nicht mehr kennen, weil die ganze Geschichte von anderen geschrieben worden ist. Wenn wir uns aber nicht mehr in dieser Geschichte wiederfinden, müssen wir unsere eigene Geschichte schreiben. Das nennt man Futurismus, Afrofuturismus - die Neuerfindung Afrikas."
Chancen der interkulturellen Verständigung
Das Ritual geht zumeist über die reine Performance hinaus, weil es das Publikum mit einbezieht. Der Ritual-Performer und -Forscher Nashilongweshipwe Mushaandja aus Namibia stellt in einer Diskussion die Chancen für die interkulturelle Verständigung heraus:
"Das Problem ist, wenn es eine Show ist, wird es als exotisch wahrgenommen werden. Und das ist es hier ja auch. Aber wenn es funktionaler ist, inklusiver, und wenn die Leute mehr mitmachen, dann kann es – nicht immer – aber es kann diese Zweiteilung zwischen Uns und Euch, zwischen Performer und den Zuschauern, aufheben."
Laut singen sie an gegen das Leid, das Frauen wie sie in den Ländern Ostafrikas immer noch massenhaft erfahren: Eine Gruppe geflüchteter Frauen aus Sudan und aus Eritrea, die in Niedersachsen leben, engagiert sich gegen die Genitalverstümmelung. Die Regisseurinnen Laila Soliman und Ruud Gielens entwickelten aus ihren eigenen Erfahrungen einen energiegeladenen Theaterabend. "My body belongs to me" heißt er und erzählt nicht nur von grausamen Beschneidungszeremonien, sondern auch vom Mut und der Lebensfreude der Neu-Angekommenen. Es steht für die Leichtigkeit des diesjährigen "Spielart"-Festivals, dem trotz der Schwere mancher Themen weder die Selbstironie noch die Zuversicht ausgehen, eine gesellschaftliche Zukunft mitzugestalten.