Im deutschen Stadttheater kommen Tiere vor allem im Weihnachtsmärchen vor, ergo: im Kindertheater. Auf finnischen Bühnen aber scheint die Existenz von Tieren auch für Erwachsene etwas völlig Normales zu sein. Bei dem Dramatiker Lauri Maijala, der auch sein eigener Regisseur ist, treten sie als "Höhlentiere" in Aktion, als geschundene, bisweilen blutige Kreaturen, die sich gegen die Zumutungen des Kapitalismus zu wehren beginnen; im "Jahr des Hasen", einem fürs Theater adaptierten Roman von Arto Paasilinna, springt das von einer Frau gespielte Häslein einem frustrierten Büromenschen auf die Kühlerhaube und entführt ihn in ein ziemlich alternatives Dasein.
Die Inszenierung von Esa Leskinen setzt ein mit allerlei hasenartigen, lustigen Lockerungsübungen für Schauspieler und absolut beherzigenswerten Aufforderungen ans Publikum wie "Nieder mit den Einkaufszentren", "sei kein Sklave" oder "singe jeden Tag ein Lied". Dann begleiten wir Herrn Vatanen, den wir zunächst als großen Schlafenden kennenlernen, quer durch Finnland, das aber nicht nur aus weiter Natur, sondern vor allem aus Supermarkt-Tempeln und Disco-Bars zu bestehen scheint. Das wird zum Teil auch als Film erzählt, mal statisch, mal mit Wackelkamera. Nach einem Karaoke-Crashkurs quer durch die Rockgeschichte landen Vatanen und seine Häsin hinter einem Bullerofen im kalten Lappland, in der Einsamkeit, und es stellt sich heraus, dass das Häslein auch schöne Balladen singen kann.
Das alles ist also eine wilde Mischung aus Popmusical und kabarettistischem Theater, aus Videoübertragung und modernem Märchen. Ein bisschen schräger Kaurismäki, ein bisschen Castorf plus gute Laune, hysterischer Trash und brave Fernseh-Soap, etwas lang geraten.
Das alles ist also eine wilde Mischung aus Popmusical und kabarettistischem Theater, aus Videoübertragung und modernem Märchen. Ein bisschen schräger Kaurismäki, ein bisschen Castorf plus gute Laune, hysterischer Trash und brave Fernseh-Soap, etwas lang geraten.
Seltsam altmodisch der konsumkritische Ansatz – aber im nicht gerade dicht besiedelten Finnland scheinen alle Künstler noch richtig links zu sein, man kennt sich; auch der "Höhlentier"-Regisseur Lauri Maijala, der beim Publikumsgespräch eine extrovertierte One-Man-Show ablieferte, berief sich auf Brecht.
Auf der anderen Seite steht dann das experimentelle, personenbezogene Theater, stilles, improvisiertes, verhaltenes Entertainment in einem Zelt, wo das Publikum auch bekocht wird – "Ten Journeys to a Place where nothing happens" heißt die Aufführung, und das ist wörtlich zu nehmen. Hier Tempo, Musik und Video, dort stillstehende Zeit – das finnische Theater hat etwas sehr Eigenes und Dickköpfiges, hier behauptet jeder seine eigene Ästhetik, meint auch der gastgebende Heidelberger Intendant Holger Schultze.
"Wenn man die Tage hier Revue passieren lässt, dann finde ich, dass es eine ganz eigene Theater-Ästhetik ist, die uns sehr fremd ist. Das ist ein Land mit fünf Millionen Einwohnern ... Die Finnen selbst reden ja immer vom Wald und von der Hütte am See. Also es ist sehr naturbezogen."
Aber all die Naturbezogenheit, das Bewusstsein, am Rande Europas in einem klimatisch extremen Gebiet zu leben, hindert offenbar nicht an Vitalität, Humor und Selbstironie.
Die Finnen wollen raus aus der Einsamkeit: Die Berliner Szene ist ein wichtiger Bezugspunkt, hier schaut man sich postmoderne Theatersprachen an, um sie für die eigenen Verhältnisse umzuformulieren. Oder ganz was anderes zu machen. "Oblivia", die vielleicht Avancierteste Gruppe des Festivals, überzeugte mit purem, ernstem und dann wieder selbstironischem Körpertheater. Auch da rollen anfangs Tiere übereinander, verbinden sich zu seltsamen Posen, Standbildern und Tanzparodien, zu Hebefiguren und Körperverrenkungen. "Hände hoch! Ihr seid die Sonne!" Solche Publikums-Übungen habe ich zuletzt bei Yoko Ono gesehen. Dieses Spiel mit dem Dilettantismus, das Warten auf Godot, der hier ironisch Jean-Luc heißt, Jodler, Schenkelklopfer, Körperbefragungen jenseits aller Schönheitsideale – das zeugt von einem großen Selbstbewusstsein.