Lückert: Das heißt, wer bezahlt den Rest?
Fiedler: Der Staat Thüringen.
Lückert: Nun haben Sie allerdings auch andere Publikumskreise zu bedienen als ein gewöhnliches Stadttheater. Wie hoch ist denn der Anteil an Touristen, die Übernachtungen und Theatervorstellungen quasi als Pauschalangebot buchen?
Fiedler: Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele pauschal eine Theaterkarte und eine Hotelübernachtung buchen. Das sind in den Augen der Hoteliers sicher zu wenig. Es ist aber so, dass insgesamt die Zahl der Nichtmeininger am Theater bei über 80 Prozent liegt.
Lückert: Was bedeutet das für Ihr Theaterangebot, erwarten die Menschen etwas Bestimmtes, etwas anderes in Meiningen?
Fiedler: Meiningen will ja so ein Leuchtturm sein in Thüringen und tut sich noch ein bisschen schwer damit, diese verschiedenen Anforderungen unter einen Hut zukriegen. Auf der einen Seite will es künstlerisch herausragende Sachen bieten, also ein großes zeitgenössisches Theater sein, mit Leuten wie Baumgarten, mit dem ich ja da hingegangen bin. Auf der anderen Seite gibt es natürlich ein Publikumsstamm von Leuten aus dem Fränkischen, aus dem Hessischen, die nach der Wende dieses Theater entdeckt haben, sehr lustvoll und natürlich gerade das museale an diesem Theater genossen haben. Und mit diesen Leuten gibt es natürlich einen Kampf, zum Teil gehen sie mit, viele lehnen das rundweg ab. Problem ist auch, dass man sie sehr schwer erreichen kann. In einer Stadt ist es ja meistens noch so, dass es da ein, zwei Zeitungen gibt, über die eine Auseinandersetzung auch mit dem Publikum geführt wird. Mit diesem Publikum ist es eben sehr schwierig, weil es sich eben so zerstreut in diese drei Bundesländer. Also, man hat irgendwie keine Ansprechpartner, die eigentlichen Ansprechpartner sind dann oft wirklich die Busfahrer, bei denen sich das Publikum über die neuen Inszenierungen informiert. Das macht es natürlich sehr diffus, irgendeine gezielte Art von Leitung, sozusagen Einführung oder so was da zu machen, in eine andere Form von Theater als die das gewohnt sind. Also die Leute, die brechen uns zum Teil weg. Die buchen einfach das heitere Musiktheater oder so, eine Operette wie sie sich halt vorstellen. Und selbst eine Inszenierung wie wir sie dieses Jahr hatten von Christian Sedelmayer "Die lustige Witwe", die in meinen Augen ein sehr geglückter Balanceakt ist, so ein Stück zu machen, er ist von denen zum Teil nicht angenommen worden. Das war für uns eine große Überraschung.
Lückert: Wenn Sie sagen nicht angenommen, wie äußert sich der Protest?
Fiedler: Der Protest äußert sich vor allen Dingen im nicht mehr kommen. Also betroffen sind da vor allen Dingen Reisegruppen, die jetzt nicht Abonnenten sind, sondern so von Fall zu Fall sich das halt überlegen, ein bisschen abwarten, wie ist eine Inszenierung und dann hingehen. Und das ist schon einfach ein Batzen Publikum, das muss man wirklich eingestehen, eine Anerkennung die wir da bekommen haben im überregionalen Feuilleton, das schmerzt.
Lückert: Meiningerei, ist das heute noch ein Stichwort in Meiningen? Es war ja eigentlich mal ein Schimpfwort für verstaubtes Regietheater. Das nun machen Sie ja gerade nicht, könnten die Meininger froh sein.
Fiedler: Ganz ursprünglich war das Meininger Theater ein extrem innovatives Theater. Also ein Theater hin auf dem Weg zu einer naturalistischen Schaubühne. Tschechow hat das gesehen auf einem Gastspiel in Moskau, das hat ihn sehr beeindruckt. Man darf nicht vergessen, es gibt wirklich Stücke von Ibsen, die sind in Meiningen uraufgeführt worden. Das kam erst nachträglich, als sich diese Form von illusionistischen Mitteln so verschlissen hat, ist es irgend so ein Schimpfwort geworden, und in diesem schlechten Sinne machen wir kein Meininger Theater. Wir versuchen, zeitgenössisches Theater zu machen. Also durchaus Realität auf die Bühne zu kriegen, wie die meisten Theatermacher heute das für sich beanspruchen würden. Wir machen uns natürlich Überlegungen, was kann man in Meiningen machen. Also eine Arbeit, die jetzt mit Baumgarten entstanden ist in Berlin Epidemic, hätten wir in Meiningen auch nicht gemacht. Es ist nicht so, dass wir das einfach blindwütig als Theater von der Großstadt dahin übertragen. Wir haben uns schon so einen Spielplan ausgedacht, der einen Bezug hat. Trotzdem gibt es ganz grundsätzlich eine Schwierigkeit, dass wir natürlich ein Theater machen wollen, an dem die Leute teilnehmen. Also in erster Linie an einem Prozess, an einer Erfahrung, die man mit einem Stoff, mit einem Stück macht. Und in Meiningen war natürlich sehr stark das Theater als eine bestimmte Ware verkauft worden. Also ich sehe eine Operette so, wie ich sie erwarte mit vielen bunten Kostümen, nicht augenzwinkernd, sondern so, dass ich mir denke, das ist wirklich eingefühlter Gesang, den ich da höre, ich sehe ein heiteres Musiktheater, ich sehe Comedian Harmonists ohne die Geschichte der Verhaftung und beziehungsweise der Zerschlagung dieser Gruppe am Ende, nur schöne Lieder. Das gab es eben sehr viel und da steht eben das Teilnehmen entgegen, und ich will da ein bestimmtes Produkt mir abholen.
Lückert: Aber Sie haben sich von den Klassikern nicht abgewandt, wenn man jetzt den Brief des Intendanten liest auf der Webseite, es habe immer verletzende Leserbriefe gegeben, man sei des Verrats und immer wieder der Obszönität bezichtigt worden. Ist das jetzt etwas Besonderes oder ist das eigentlich bei vielen deutschen Theatern so im Moment?
Fiedler: Es gibt zum Teil in Meiningen sehr verletzende Äußerungen, das muss man wirklich mal sagen. Das habe ich so in der Härte selten erlebt. Ich war vorher Chefdramaturg in Kassel, ja da gab es auch mit dem Schauspieldirektor einigen Stress, sage ich mal, am Anfang, das ist, finde ich, nicht vergleichbar von der Tonart. Das sind natürlich einzelne, die sich da so hervortun. Zum Teil Leute, die auch früher am Theater gearbeitet haben, alte SED-Dramaturgen, die eine frustrierte Alkoholikerexistenz führen und ab und zu zu rundum Schlägen ausholen, wo man überhaupt nicht weiß, wo sie Informationen her kriegen, oder weil sie zum Teil auch wirklich erfunden sind, wo man einfach sich als Objekt eines Hasses wiederfindet, den man nicht erklären kann. Man muss natürlich auch sagen, dass viele Leute natürlich auch sehr differenziert Theater gucken und wie überall, wenn man gutes Theater macht, man auch da seine Fans hat, die genau Sachen beschreiben, die auch sagen, das hat mir gut gefallen. Aber wie gesagt, es gibt so eine Volksfront von Leuten, die da wirklich ein bisschen hasspredigermässig aufmischen und für viele Leute stellvertretend Meinungsbildner sind, die eigentlich selber gar nicht mehr ins Theater gehen, aber sie haben ja gehört, dass sei ja alles so schlimm geworden. Das ist ein Satz, den man sehr oft hört.
Lückert: Es steht aber die Volksstimme völlig gegen die Kritikerstimme.
Fiedler: Wir sind ja auch im Deutschlandfunk zum Beispiel zweimal sehr schön besprochen worden, was einen natürlich außerordentlich freut, wenn man so eine Kritik bekommt. Aber es gibt natürlich da auch eine lokale Kritik, die da zwiespältiger ist. Es gibt Redakteure die sehr gut besprechen, aber es gibt zum Teil auch Schreiber, sehr viele freie Mitarbeiter, die Kritiken schreiben, die man eigentlich kaum so nennen kann, die dann plötzlich in einer Tirade über die Hose von Herrn Baumgarten oder so münden. Damit haben wir eben auch zu kämpfen, und das ist gerade in diesem Bereich, eben diesem zersplitterten Einzugsgebiet, Fulda Tagblatt und Coburger Tageszeitung, die sind natürlich da extrem wichtig, was jetzt den unmittelbaren Publikumskontakt angeht und da haben wir auch einige schlechte Kritiken eingefahren.
Lückert: Erwarten Sie nicht, dass das, was Sie sehen immer schon da war, schreibt der Intendant Res Bosshart. Wie ist es jetzt in Ihrer nächsten Spielzeit, die unter dem Motto "In die Ferne will man schweifen" steht? Was haben Sie vor, wie wollen Sie Publikum gewinnen oder wieder auch ein bisschen überzeugen?
Fiedler: Wir wollen natürlich die auch verführen, wir haben da keine so eine Hardcore-Linie, die uns da vorgeworfen wird von einigen. Das ist ein sehr geschmeidiger Spielplan. Es ist halt so, wenn man einen Künstler engagiert, wie zum Beispiel letztes Jahr im Musiktheater die Eröffnung Barbara Beyer, dann kriegt man halt eine ans Hirn wie Barbara Beyer wegen ihrer Kompromisslosigkeit. Es kann doch nicht Aufgabe eines Intendanten oder eines Chefdramaturgen sein, da einzugreifen und zu sagen, jetzt gibt es aber bitte eine Meininger Version. Und insofern wirkt es vielleicht kantiger als es gedacht war. Eigentlich war das Motto, Stadt im Theater, also diese Nähegeschichte, es ist nicht so, dass wir euch nur irgendwie mit dem Kopf auf irgendwas hinstoßen wollen, wir wollen euch durchaus großes Theater zeigen. Diese Ferne ist ja halt gemeint, natürlich so eine zeitliche, räumliche Ferne, aber auch eigentlich so eine romantische Ferne also im Sinne von Novalis, der gesagt hat, Heimat ist da, wo noch niemand war. Dass man sucht, die Punkte, wo einen wirklich etwas berührt, die liegen ja nicht überall und das ist auch die Größe von Theater. Das ist einfach ein Verführungskonzept und keine politische Programmatik, was wir da verfolgen.
Lückert: Das war Ralf Fiedler, der Chefdramaturg des Theater Meiningen.