Karin Fischer: Das Theater hat sich in den vergangenen Jahren politisiert und mit Formen der Eigenrecherche mutig die großen Themen der Welt auf die Bühne gebracht: den NSA, den NSU, die Kolonialkriege, den Klimawandel, den Schönheitszwang oder das Dark Net. Mutig auch deshalb, weil das dokumentarische Theater am Ende ja doch eine Geschichte erzählen will, die auch an Gefühle appelliert.
In unserer Reihe "Kopf oder Bauch" ist deshalb heute die Regisseurin Angela Richter zu Gast, Hausregisseurin am Schauspiel Köln. Ein Stück von ihr dort hieß interessanterweise "Brain and Beauty", also Gehirn und Schönheit. Da haben wir, Angela Richter, ja auch einen Gegensatz, der mit dem Rationalen und dem Emotionalen spielt, wie auch die Theaterarbeit ganz allgemein ja immer auf beides zielt, den Zuschauer bei seinen Gefühlen zu packen und dabei sein Gehirn zu beschäftigen. Oder?
Angela Richter: Ja, das stimmt, wobei ich sagen muss, dass das Gehirn sich sehr schnell reinlegen lässt vom Bauch. Das muss ich leider sagen. Sie haben "Brain and Beauty" genannt und da haben mir zum Beispiel die Schönheitschirurgen, die ich weltweit im Grunde interviewt habe zu dem Thema, alle bestätigt, dass zum sich Beispiel das Gehirn bereits nach 24 Stunden an das neue Gesicht gewöhnt hat, oder an die neuen Brüste, und gaukelt einem bereits vor, dass es gar keine Veränderung gegeben hat. Das führt dazu, dass sehr viele Leute dann einfach noch mal nachspritzen lassen und so weiter - gut für die Ärzte, weil die verdienen ja daran, zumindest die skrupellosen. Gleichzeitig entstehen dann diese grotesken Gesichter, die die Menschen aber selbst nicht mehr erkennen. Das heißt, das Gehirn lässt sich sehr schnell irgendwie von den Bedürfnissen und Träumen oder was auch immer der Leute reinlegen.
"Emotion ist die Trägersubstanz des Theaters"
Fischer: Was bedeuten für Sie und für Ihre Theaterarbeit die Recherche, die Fakten und was die Emotion und das Drama?
Richter: Vor der Recherche steht bei mir persönlich erst mal auch eine Emotion. Meistens habe ich einen unbezwingbaren Drang, der im Grunde auch eine ganz natürliche Neugierde ist, zu einem Thema, dem ich wahnsinnig gerne auf den Grund gehen möchte, und mir reicht es dann nicht mehr, Sachen anzulesen - das bleibt dann auch für mich persönlich im Abstrakten -, sondern ich rede am liebsten mit den betroffenen Menschen direkt und davor steht auch eine Emotion. Gleichzeitig unterstelle ich dann, das was mich interessiert wird vielleicht auch den einen oder anderen Zuschauer interessieren. Dann die eigentliche Recherche ist eher etwas Disziplinierteres oder so, wobei man da natürlich auch, da es sich ja um Menschen handelt, instinktiv schauen muss, wie man das Gespräch führt und so weiter.
Journalisten kennen das wahrscheinlich auch von ihrer Arbeit. Man möchte ja möglichst die interessanten Sachen erfahren und das passiert auch nicht in den ersten zehn Minuten. Man muss sich viel Zeit nehmen. Ich habe zum Beispiel den Daniel Elsberg, den Whistleblower, der damals in den 60ern die Pentagon Papers enthüllt hat, die zum Ende des Vietnamkriegs geführt haben, drei Tage lang interviewt bei ihm zuhause in San Francisco, und so was braucht Zeit, das ist ein großer Aufwand. Am Ende natürlich, wenn man das für die Bühne dann aufbereitet und die Proben, da müssen dann letztendlich die Schauspieler und meine Hilfe natürlich auch versuchen, da irgendwie eine Emotionalität reinzubringen. Vielleicht spitzen wir das sogar darstellerisch noch mehr zu, weil Emotionen natürlich die Trägersubstanz des Theaters ist. Ohne geht es nicht, will ich mal behaupten.
Fischer: Sie haben den Whistleblower erwähnt. Zwei Namen müssen an dieser Stelle deshalb gleich fallen: die von Julian Assange und von Edward Snowden. Denn die haben Sie auch in einem Stück zusammengebracht, in dem es um den gläsernen Menschen und dessen Spuren im Netz ging. Das war ein Theaterexperiment, in dem plötzlich während der Aufführung auch die Handys der Zuschauer klingelten, also eine Versuchsanordnung, die ganz direkt zeigen sollte, hallo, ihr seid auch betroffen, früher oder später. War das der Sinn des Ganzen, die Emotionen dadurch, die Betroffenheit dadurch noch zu verstärken oder überhaupt erstmals fühlbar zu machen?
Richter: Ja, stimmt, erst mal fühlbar, weil natürlich wissen das alle Leute. Auf einer abstrakten Ebene weiß man es. Aber es ist doch tatsächlich anders, wenn man es wirklich erlebt. Natürlich war das auch sehr amüsant für die Zuschauer. Es wurde während der Aufführung viel gelacht. Wir haben zum Beispiel gedroht, dass wir jetzt alle klingeln lassen, die in den letzten 48 Stunden Pornos geschaut haben im Internet. Wir hätten das theoretisch auch gekonnt, haben wir aber nicht gemacht, da wollten wir die Leute nicht bloßstellen. Aber andere Dinge haben wir gemacht und es ist natürlich so: Das amüsiert natürlich alle und so. Aber am Ende war das Feedback des Publikums schon sehr stark.
Neulich war ich auf einem Podium in Düsseldorf und dann sagte eine Frau aus dem Publikum zu mir, dass diese Aufführung komplett ihr Leben verändert hätte - vielleicht nicht unbedingt zum Guten, meinte sie noch lachend, weil sie mittlerweile großes Misstrauen gegen ihr Handy hegt, aber man muss am Ende sagen zurecht.
"Es ist im Moment die Eskalation einer Entwicklung, die schon länger läuft"
Fischer: Das war - vielleicht tragen wir das noch nach - die Aufführung "Super Nerds". - Wie nehmen Sie, Angela Richter, die Entwicklungen in dieser Hinsicht denn gerade wahr? Wir haben diese Informationsblasen, über die jetzt viel gesprochen wird, in denen jeder im Netz nur noch das wahrnimmt, was seiner eigenen Ideologie entspricht, weil er immer mehr vom selben geliefert bekommt, und wir hören von einem künftigen amerikanischen Präsidenten, der einen CNN-Reporter anblafft, er sei Fake News.
Richter: Na ja, ich finde, es ist im Moment die Eskalation einer Entwicklung, die schon länger läuft. Ich finde eigentlich, dass wir schon lange zunehmend in einer Gesellschaft leben, die als eine fiktive agiert. "Fiktive Zeiten" würde ich das nennen. Das Ganze hat sich natürlich durch das Internet und die sozialen Medien noch zugespitzt. Speziell jetzt in diesen kritischen Zeiten, wo politisch wahnsinnig viel passiert, seien das jetzt die Flüchtlinge, die Enthüllungen verschiedener Leaking-Seiten wie Wikileaks oder auch Edward Snowden, und jetzt auch noch Trump zu allem Überfluss, hat sich das Ganze wahnsinnig erhitzt und ist geradezu hysterisch. Dieser Begriff Fake News, man kann es schon nicht mehr hören, wird ja mittlerweile für alles Mögliche verwendet.
Ich habe das Gefühl, dass dieses von mir sogenannte fiktive Zeitalter geradezu explodiert, und vielleicht ist das auch nötig, um dann am Ende irgendwie wieder so eine Bereinigung zu schaffen, dass man erst mal eine komplette Überforderung erfährt. Und Trump, das ist so eine Sache.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich gestehen, ich bin natürlich kein Fan von ihm und ich bin auch entsetzt, dass er jetzt Präsident wird. Aber ich fand zum Beispiel die Berichterstattung der meisten Medien so tendenziös und so verzerrt zu seinen Ungunsten, dass man eigentlich schon als Gegner von Trump irgendwann ein bisschen sauer wurde und dachte, Leute, ihr helft doch den anderen und gebt denen noch mehr Gründe, weil es so offensichtlich war. Es waren alle so offiziell für Hillary und haben auch auf ihrer Seite zum Beispiel unangenehme Wahrheiten eher verschwiegen oder kleingespielt, und na ja, das Publikum oder in dem Fall die Leser oder auch die Zuhörer sind auch nicht doof.
Das fällt natürlich auf und man denkt, man möchte einfach eine Presse, die wenigstens neutral berichtet oder wenn schon tendenziös, dann soll das doch auch bitte als Kommentar und nicht als Bericht dastehen und so weiter. Ich finde, im Moment ist es ganz schwierig.
"Das ist irgendwie eine Art Schatz, der verloren geht"
Fischer: Zurück zur Bühnenkunst, denn Sie sind als Regisseurin ja tatsächlich eine Expertin fürs Fiktive. Ich erinnere mich gut an Ihre Arbeit über Martin Kippenberger, der als Künstler ja vielleicht schon so was war wie ein schwarzes Loch. Er hat alle um ihn herum bis zu einem gefährlichen Maße angezogen, auch ausgenutzt natürlich. Nun gießen Sie dieses exzessive Leben in eine dokumentarische Form. Verkleinert das nicht etwas von dieser Großemotion?
Richter: Das müssen natürlich die Zuschauer beurteilen können. Aber ich glaube nicht. Ich habe bewusst zum Beispiel nicht versucht, kunsthistorisch heranzugehen, seine Kunst entweder nachzustellen, oder erklären zu wollen oder so. Ich habe bewusst nur die Erinnerungen, die es über ihn gibt, weil es ist sehr auffällig gewesen, ich kenne ja fast die meisten Leute, die ich auch interviewt habe zu Kippenberger, die ihn auch kannten, persönlich und mir ist immer schon aufgefallen, schon vor langer Zeit, als er noch am Leben war, dass alle wahnsinnig viel über ihn erzählt und dass er den Leuten immer so im Kopf herumgeht, und ich dachte, das ist irgendwie so eine Art Schatz, der verloren geht, diese Erinnerungen an diesen Mann, wenn dann diese Leute auch eines Tages sterben und nicht mehr da sind.
Dann dachte ich, vorher muss man die alle noch einsammeln, und eigentlich habe ich mir gar nicht angemaßt, wirklich selber irgendetwas zu interpretieren oder über ihn zu sagen, sondern alles mir erzählen zu lassen von den Leuten, die ihn kannten, und daraus ergibt sich dann automatisch ein Bild. Natürlich konnte ich nicht alle, die ihn kannten, interviewen und natürlich ist auch das immer selektiv und so weiter. Dennoch glaube ich, dass ich da mit einer relativen Bescheidenheit herangegangen bin oder so, und ich hoffe, dass es ihm einigermaßen entsprochen hat.
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