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Theater und die Coronakrise
Öffnung der Bühnen

Nicht jede Theateraufführung ist eine Großveranstaltung. Darum drängen viele Theater und Festspielorte jetzt darauf, schon früher als Ende August vor Publikum auftreten zu dürfen. Außerdem haben die Theaterleute viele kreative Ideen, wie das auch in Coronazeiten sicher gelingen könnte.

Von Barbara Behrendt |
Innenansicht aus der Jahrhunderthalle in Bochum. Das denkmalgeschützte Bauwerk ist aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg ist eines der Hauptspielorte der Ruhrtriennale.
In der Jahrhunderthalle in Bochum wäre "Abstand halten" auch während der Ruhrtriennale möglich. (imago stock&people)
In wenigen Tagen feiert am Deutschen Theater in Göttingen ein ungewöhnliches Projekt Premiere - und zwar nicht im Internet, sondern im Parkhaus. In diesem "Drive-in"-Theater folgen die Zuschauer in ihrem Auto einem Parcour mit vier Stationen, an denen sie auf jeweils eine Figur treffen. Um Isolation und Freiheitsverlust soll es dabei mit einem Text von Juli Zeh gehen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Im Süden der Republik drängt es die Theaterleute dagegen nach draußen, doch anders als in Göttingen ist das Freilufttheater-Konzept in Konstanz noch nicht genehmigt. Im Juli wollte man ohnehin auf dem Münsterplatz ein Stück über den Mönch, Erfinder und Spastiker Hermann von Altshausen uraufführen. Nun sollen statt knapp 700 Zuschauer eben nur 230 Platz finden, auf drei Tribühnen statt einer. Und da das Stück unter anderem die Berührungsängste gegenüber einem körperlich Behinderten verhandle, erklärt der Schauspieldirektor Mark Zurmühle, sei es geradezu passend, auf der Bühne Corona-Abstand zu halten.
Den Bühnenverein habe man hinter sich und ein Virologe habe das Hygienekonzept geprüft, so Zurmühle. Wie genussvoll ein solcher Abend mit Mundschutz und ohne Gastronomie sein mag, sei einmal dahingestellt – doch das Theater Konstanz scheint vor allem Zeichen setzen zu wollen. Mark Zurmühle glaubt:
"Lieber so als gar nicht! Wir werden weiter kämpfen, wir wollen einfach, dass die Kultur in der Diskussion bleibt, dass wir nicht einfach gelöscht werden. Fußball ist auch toll, aber die Kultur ist auch wichtig."
Oliver Reese vor dem Berliner Ensemble.
Theaterintendant zu Corona-Einschränkungen - "Wir wollen sichtbar bleiben"
Für das anhaltende Verbot von Großveranstaltungen zeigt der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, Verständnis. Doch Premieren abzusagen, das gehe gegen seine Natur, so Reese.
Das Theater wartet nun täglich darauf, entweder die Zusage zu bekommen oder von der Stadt in Kurzarbeit geschickt zu werden.
Ruhrtriennale schon früh abgesagt
In Nordrhein-Westfalen spricht man in vielen Bereichen über Lockerungen, nur die Ruhrtriennale, die Mitte August begonnen hätte, wurde bereits vier Monate vorher abgesagt. Dabei war die Festivalleiterin Stefanie Carp mittendrin, ein Corona-taugliches Konzept auszuarbeiten, das sie, so sagt sie, nicht einmal in Gänze vorstellen konnte.

"Dann hatte ich fünf Minuten Zeit, das eben zu umreißen. Wurde dann aber sofort mit den Worten, dass man kein Ruhrtriennälchen haben wolle, abgelehnt. Entweder ganz oder gar nicht sozusagen. Und ich hätte mir doch da mehr Offenheit gewünscht und auch mehr Vertrauen in die Künstler. Wer, wenn nicht die Ruhrtriennale, könnte denn ein Labor sein für andere Aufführungspraktiken, die uns vielleicht in der Zukunft noch öfter beschäftigen werden."
Es wirkt, als sei die Corona-Krise für die Politik der Anlass gewesen, einer häufig kritisierten Festivalleiterin das Wasser abzudrehen. Die Jahrhunderthalle, so Carp, hätte der Regisseur Christoph Marthaler etwa mit vereinzelten Stühlen versehen und so auch ästhetisch auf die Pandemie reagiert.
"Ich hatte auch den Eindruck, dass all diese Künstlerinnen und Künstler so angefüllt waren mit neuen Entwürfen für eine andere Präsentation, mit all den Erfahrungen, die man jetzt macht, mit all dem, was einem durch den Kopf geht, was diese Pandemie für uns und für unser zukünftiges Leben bedeutet."
Systemrelevante Kunst
Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, drängt auf klare Perspektiven für die Theater. Gerade in diesen Zeiten, sei es "fatal, die Künste nicht als systemrelevant zu erachten". Der Intendant der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, kann da nur den Kopf schütteln:
"Wir sind, es tut mir leid das zu sagen, nicht systemrelevant. Wir sind das Surplus einer Zivilisation, das sich die Zivilisation als Ausweis seiner Zivilisiertheit leistet. Weil es nichts bringt, weil niemand davon profitiert und es keinerlei Nutzen hat. Das ist der Sinn und die Essenz von Kunst. Sonst wäre sie nicht frei."
Ein Privattheater wie die Schaubühne kann es sich gar nicht leisten, aufgrund von Mindestabständen nur 20 Prozent der Tickets zu verkaufen. Das Haus hat sich in die Kurzarbeit gerettet. Von Pandemie-Theater hält Ostermeier aber ohnehin nichts:
"Ich weiß nicht, wie erquickend das sein soll, in einem Saal zu sitzen mit Schutzmasken, keine Pausenversorgung, kein Café. Dann guckt man sich die Vorstellung an, die unter Hygienemaßstäben uminszeniert wurde und dann tröpfeln am Schluss 50 Zuschauer den Applaus. Für mich ist das Theater zum Abgewöhnen. Aber wenn die Politik uns zwingt – wir sind vorbereitet."
Womöglich hat das Theater einfach zu viel Angst, in dieser Krise vergessen zu werden? So kreativ manche Öffnungsstrategien erscheinen – aus Legitimationsdruck sollte das Theater nicht in einen blinden Aktionszwang verfallen. So viel Selbstvertrauen muss sein.