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Theater
Wenig Ibsen, viel Castorf

Bei Theaterinszenierungen von Frank Castorf steht vor allem der Regisseur im Mittelpunkt, Text und Autor spielen eher eine untergeordnete Rolle. Und so hat Henrik Ibsens "Baumeister Solness" an der Volksbühne Berlin wenig mit Ibsen, dafür aber viel mit Castrof zu tun.

Von Eberhard Spreng |
    Die Schauspieler Marc Hosemann (als Harvard Solness, l), Jeana Paraschiva (als Kaja Fosli, M) und Daniel Zillmann (als Aline Solness) spielen eine Szene des Stücks «Baumeister Solness» nach Henrik Ibsen.
    Frank Castorf inszeniert an der Volksbühne Berlin Ibsens "Baumeister Solness" (dpa picture alliance/ Britta Pedersen)
    Wenn man Architekten den Bau von Bühnenbildern überlassen würde, könnte möglicherweise so etwas Kurioses entstehen, wie dieses Neurotikon von Bert Neumann: In eine holzgetäfelte Wand ist ein Alkoven eingelassen, das mit dem Bild eines ermatteten Liebespaares einlädt zu erotischen Pausen im ehrgeizigen Büroalltag. Ein drehbarer Schrein enthält je nach Stellung Bauzeichnungen oder alkoholische Getränke, ein Raumteiler und ein kleiner Arbeitstisch kreuzen sich zu einer Drehtür. Daneben eine Küche aus der Zeit der Reformarchitektur: So aufdringlich-funktional, so praktisch-unpraktisch kann nur einer leben, der in seine Inneneinrichtung unbewusst seine ungelösten psychischen Probleme implementiert hat.
    So purzelt denn auch eine Armada aus kleinen roten Bällchen über die ganze Bühne, als Hilde Wangel aus Versehen einen Wandschrank öffnet. Hausarzt Doktor Herdal hat derzeit ein Faible für Bälle bei seiner Behandlung der Probleme im Hause Solness und von denen gibt es viele.
    Natürlich, wir sind in Castorfs Version des Dramas um einen alternden skrupellosen Baukünstler und da geht es zu wie in der burlesken Farce. Mit Marc Hosemann gar nicht alt ist dieser Solness, der mit einer albernen Riesenbrille mit wegklappbaren Sonnenblenden über die Bühne krakeelt, mal die Diktion eines Adolf Hitler imitiert, von Pointe zu Pointe hetzt und in die Fußstapfen tritt von Volksbühnenknallchargen wie Herbert Fritsch, Matthias Matschke und vor allem Henry Hübchen. Der sitzt gleich vielfach als lebensgroße Puppe in der ersten Reihe, wird dann ins derbe Geschehen gezerrt, zu Leichenbergen aufgeschichtet und einer nach dem anderen in die Luft geworfen, um zu sehen, ob er sich nicht doch an der Gerüstkonstruktion festhalten kann, die das Dekor trägt. Die Castorfiade in schönster Penetranz: Jede Puppe fliegt hoch und fällt wieder herunter, aber jedes Mal ergibt sich dabei ein anderes Bild des Himmelssturzes.
    Solness scheitert an der Vertikalen, scheitert an der permanenten Selbstüberschätzung und an seiner Angst vor der Jugend.
    Die Wende kommt. Die Jugend wird hierher kommen und sagen: "Raus! Baumeister Solness. Aus dem Weg! Baumeister Solness. Weg da! Baumeister Solness". Sie werden an die Tür klopfen und sagen: Weg! Baumeister Solness. Raus! Baumeister Solness".
    Mit Solness ist der alternde Intendant Castorf gemeint
    Natürlich ist mit diesem Solness der alternde Intendant Frank Castorf gemeint, an dessen Theaterpforten wohl auch die jugendliche Konkurrenz klopft und natürlich ist auch immer wieder in den Repliken der Akteure von 'Frank' die Rede. Natürlich kokettiert der Regisseur kurz auch mit der Selbstzerstörung in der Selbstzerstörung des Baumeisters. Aber er tut dies zu keinem Zeitpunkt mit dem melancholischen Unterton früherer Arbeiten und auf so diversen Ebenen, dass jedem Zuschauer klar werden muss, dass Castorf hier, übrigens ziemlich meisterhaft, mit der Erwartungshaltung des Publikums seine Spielchen spielt.
    Denn nicht seine Puppe wird da auf die Bühne gezerrt, auch nicht die des Autors Ibsen, der den "Baumeister Solness" in eben jenem Alter schrieb, das der Volksbühnenintendant jetzt auch hat. Es ist die Puppe des Alter Ego Henry Hübchen, also die des Schauspielers oder anders gesagt, die des Theaters selbst. Was uns Castorf hier vermutlich erzählt: Na klar, mein Theater ist in die Jahre gekommen, aber ätsch ich nicht, ich bleibe: Forever young. Das einzige wirklich erschütternde Bild des Alters bietet der pflegebedürftige Knut Brovik, den zu Beginn der langen Aufführung Volker Spengler mit irrem Blick und derangierten Gesichtszügen darstellt.
    Die Jugend gibt es hier im Gegensatz dazu übrigens nur als verlängerte Kindheit und in harmloser Niedlichkeit. Kathrin Angerer, wie immer herrlich schmollend und quengelnd kommt als Hilde Wangel, die der Baumeister einmal bedrängt hat und ihr das Blaue vom Himmel versprochen hat, mit Bommelmütze und ziemlich lustigem T-Shirt hereingeschneit und treibt den irrlichternden Architektenclown in eine letzte erotische Verwirrung. Nachdem die Architekten-Muster-Neurosen-Wohnung in die Versenkung gefahren wurde, wird sein Sturz vom Gerüst ziemlich unspektakulär exekutiert. Aber dann lässt sich Marc Hosemann an ein Stahlseil binden, um hoch über der nun weiten Bühne eine angeranzte Fahne mit dem Schriftzug "Krise" anzubringen. Anschließend kommt das Dekor wieder hoch wie für die "Rückkehr der Untoten" und das Castorf-Stück "Ich finde wieder mal kein Ende" beginnt: Noch einmal bestaunen wir dabei auch die wunderbar elegische Tristesse der Architektengattin Aline, die hier der opulente Sänger Daniel Zillmann mit Dragqueen-Charme spielt.
    Aus dem Spielfluss wird Stop-and-go
    Musste die Souffleuse im ersten Teil des öfteren sagen, was zu sagen ist, muss sie nun auch sagen, was zu tun ist. Aus dem Spielfluss wird jetzt ein Stop-and-go mit eingeschränktem Showwert. Aber zum Beispiel einem Marc Hosemann, der sich die letzten Kräfte aus dem Leib gespielt hat, wird das in der mittlerweile vierten Stunde seiner komischen Dauerperformance natürlich keiner vorwerfen wollen.
    Wir sahen also Aufbau und Abbruch einer unterhaltenden Burleske über einen verrückten Vernunftmenschen, Glanz und Elend einer kitschverliebten Jugend und Selbstzitat des Selbstzitates eines Theatermannes, der wie kein anderer vor sich selbst davonlaufen kann.