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Theater
Wolfsburg in China

Die Gruppe Rimini Protokoll ist berühmt und berüchtigt dafür, sogenannte Experten des Alltags, also Laien aus der Bevölkerung, auf die Bühne zu stellen. Deren Kopf Stefan Kaege hat nun mit seinem szenischen China-Projekt "Volksrepublik Volkswagen“ einen spannenden Wirtschaftskrimi auf die Bühne des Staatstheaters Hannover gebracht.

Von Alexander Kohlmann |
    Der Regisseur Stefan Kaegi, Aufnahme vom Juli 2006
    Der Kopf der Gruppe Rimini Protokoll inszeniert "Volksrepublik Volkswagen" in Hannover. (AFP / Boris Horvat)
    Die Experten des Alltags: Sie sind diesmal zu Hause geblieben. Regisseur Stefan Kaegis Text liegt zwar eine umfassende, journalistische Recherche zugrunde. Aber auf der Bühne stehen Schauspieler. Schauspieler, die Figuren spielen, eine Öffentlichkeitsarbeiterin im Business-Kostüm zum Beispiel, eine Ingenieurin im Öko-Look oder einen Werksmitarbeiter im weißen Drogerie-Kittel. Hunderte Briefe und Mails, geschrieben von VW-Mitarbeitern in China in die Heimat - sie sind das Material dieses Abends, das Kaegi geschickt den einzelnen Charakteren zugeschrieben hat.
    "20. Februar, ich bin jetzt ja schon acht Jahre hier im Land. In Changchun. Changchun ist eine Sieben-Millionen-Stadt, also manche sagen auch drei Millionen, das ist immer je nachdem wo man den Radius zieht, aber egal ob sieben Millionen oder drei Millionen - hier gibt es fast nichts."
    Aus dem dokumentarischen Material ist ein fiktiver Abend geworden, in dem wir erleben, wie es den deutschen Ingenieuren in China ergangen ist. In einer riesigen, detailliert nachgebauten VW-Werkshalle, beobachten wir deutsche Manager, wie sie vor fast drei Jahrzehnten voller Überheblichkeit im Reich der Mitte ihre Arbeit begannen.
    "Als VW hier angefangen hat, 1985, VW war ja das erste ausländische Unternehmen von Dimension hier in China. 85 - da schliefen die Arbeiter in den Fabrikhallen und zwischen den Hallen waren Wäscheleinen aufgespannt."
    Lustig machten sich die deutschen Ingenieure anfangs - über die chinesischen Autos, die schon bei leichten Aufprallen wie Tomaten zerplatzen. Immer neue Unfallfotos postet einer von ihnen an den Spind am Bühnenportal. Die smarte Öffentlichkeitsarbeiterin freut sich währenddessen an ihrem Schreibtisch, dass man sich in China als Frau alleine auf die Straße wagen kann. Ganz anders sei das, als bei den anderen VW-Standorten überall auf der Welt.
    Ein Getto vor den Toren der Stadt
    Während das Gros der Manager ziemlich beeindruckt entdeckt, dass man in China so schön effizient arbeiten könne, dämmert anderen, dass das Leben in der Diktatur auch seine Schattenseiten hat. In geheimer Mission verfolgt eine Mitarbeiterin die Busse, mit denen Tausende von Leiharbeitern täglich in das chinesische Werk kommen. Vor den Toren der Stadt entdeckt sie eine Art Getto.
    Auf die Rückwand der Bühne werden Hochhäuser projiziert. Sie zeigen Balkone, auf denen Tausende von VW-Overalls zum Trocknen in der Sonne hängen. Und Menschen ohne Rechte, die in Acht-Bett-Zimmern schlafen. Menschen, deren Ausbeutung entscheidend mitverantwortlich ist für das chinesische Wirtschaftswachstum.
    Als die Ingenieurin mit den Gewissensbissen einen Vorgesetzten anspricht, kommt die Antwort des smarten Jung-Managers prompt. Das sind nur Zulieferer, mit denen haben wir nichts zu tun. Derselbe VW-Boss richtet den Blick viel lieber auf den Parteitag der chinesischen Staatspartei.
    "Die Partei kommt mir immer vertrauter vor - die genaue Hierarchie des Apparates."
    Während das riesige blaue VW-Logo gegen das Parteiwappen ausgetauscht wird und auf der Leinwand Bilder von jubelnden Parteisoldaten laufen, überlegt er neidisch: Sind wir bei VW nicht auch eine Art Volksrepublik, mit riesigen Werken, eigenen Schwimmbädern und Millionen Arbeitern?
    Kein ganz abwegiger Vergleich
    Kein ganz abwegiger Vergleich ist das, wenn man sich den politischen und gesellschaftlichen Einfluss des Konzerns alleine in Niedersachsen ansieht. Nur: Wenn Wolfsburg die Kommunistische Partei ist, wo bleiben dann Deutschland und unser westliches Wertesystem, das Recht auf Streik, Gewerkschaften und Bewegungsfreiheit - und nicht zuletzt die Demokratie? Und was werden die europäischen Demokratien tun, wenn ganze Konzerne künftig einfach auswandern und in China weiterproduzieren - können wir uns unsere Werte im wirtschaftlichen Wettstreit mit einer Diktatur ohne jede moralische Grenze überhaupt noch leisten?
    Komplexe Fragen, die dieser Abend in immer neuen szenischen Konstellationen verhandelt. Und das, ohne auf einfache Antworten und ideologische Scheinlösungen zu setzen. Mit seinen Schauspielern gelingt es Kaegi, die verschiedenen Positionen in der China-Politik des VW-Konzerns mit rudimentär-charakterisierten Figuren zu verknüpfen.
    Scripted Reality als Stilmittel der Kunst
    Es bleibt natürlich Spekulation: Aber mit echten "Helden des Alltags" wäre diese inhaltliche Verdichtung kaum möglich gewesen, sondern die bereits aus dem Fernsehen bekannte Scripted Reality eröffnet Möglichkeiten, die das rein dokumentarische Ausstellen nicht hat.
    Aus dem dokumentarischen Ansatz wird so ein spannender Wirtschaftskrimi und ein Theaterabend, der nachdenken lässt, über unseren Umgang mit der Wirtschaftsmacht China - und die Verteidigung unser eigenen Werte. Und das Label Rimini-Protokoll? Das hat sich mit dieser Verbindung von klassischem Schauspiel und Dokumentartheater wieder einmal neu erfunden.