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Theaterinszenierung
Die absurde Welt der Reichsbürger

Sie gründen Scheinstaaten, verweigern Steuern und erklären der BRD den Krieg: Die Szene der sogenannten Reichsbürger, gegen die die Polizei mittlerweile verstärkt vorgeht. Eine Berliner Theatergruppe gibt nun Einblick in die teils absurde Welt der Staatsverweigerer, in dem sie deren Propaganda-Videos auf der Bühne nachspielt.

Von Jutta Schwengsbier |
    Ein "Reichsbürger" posiert mit seinem blauen "Deutsches Reich Reisepass".
    Sogenannte "Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. In ihrem Theaterstück "Staatenlos" zeigt die Gruppe internil die Welt der Staatsverweigerer mit ihren virtuellen Propagandablasen. (picture alliance / Patrick Seeger)
    "Dann gehen sie. Dann gehen Sie von meinem Staatsterritorium. Ganz schnell. Dann gehen Sie von meinem Staatsterritorium ganz schnell. Sind Sie hier im Grundgesetz in der genehmigten Fassung für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1949, ja oder nein."
    Bei der Vorstellung im Theaterdiscounter Berlin werden Videos an die Wände projiziert. Darunter auch der Fall Adrian U. Der Reichsbürger, der sein eigenes Grundstück zum neuen Staatsgebiet erklärt hatte, ist inzwischen wegen Mordversuchs angeklagt.
    Grundlage ist Propagandamaterial der Reichsbürgerszene
    Regisseur Arne Vogelgesang hat im Internet mehrere Videos von ihm gefunden. Mal zeigen sie Bildungsveranstaltungen zu Staatsgründungen. Mal ist zu sehen, wie er die Polizei bei einem Räumungsversuch vertreibt.
    "Adrian (...), dessen Prozess jetzt begonnen hat, ist im letzten Jahr im Frühjahr in der Szene bekannt geworden, weil er klassisch für die meisten dokumentierwütigen Selbstverwalter und Staatsleugner ein Konfrontationsvideo mit Polizei und Gerichtsvollziehern aufgezeichnet hat, mit einer Handykamera. Das haben wir in dieser Szene auch drin, wo er so eine Art SEK in die Flucht schlägt, in dem er sie einfach auf eine sehr aggressive pausenlose Art und Weise totredet."
    Vogelgesang hat in jahrelanger Recherche Propagandamaterial der Reichsbürgerszene im Internet gesammelt. Gefunden hat er unzählige Blogtexte, aber auch Eingaben an den Bundestag. Oder Konfrontationsvideos wie das von Adrian U.
    Bürgerversammlungen werden gezeigt und nachgespielt
    Einige Videos zeigen zudem Bürgerversammlungen, bei denen Fantasieverfassungen verlesen werden, vom "Staatenbund Österreich", vom "Bundesstaat Bayern", vom "Bundesstaat Baden".
    "Alle Gefängnisse werden in Therapiezentren umgewandelt. Die Zeit des Kopfgeldes ist vorbei. Alle Tätigkeiten dienen ab sofort nur mehr der Einheit der Menschen, der Tiere, der Pflanzen, der Umwelt, der Mutter Erde insgesamt."
    Teils erinnern die gezeigten Bürgerversammlungen an esoterische Sektenveranstaltungen. Die Schauspieler entschieden sich dazu, sagt Marina Dessau vom Ensemble, die Videos nicht nur zu zeigen, sondern sie auf der Bühne nachzuspielen.
    "Wie holen wir dieses Material in den Raum? Stellt man Körper in den Raum, dann hilft der Körper dem Publikum doch dabei, den Text noch einmal ganz anders aufzunehmen und so an sich ran zu lassen, dass man sich da nicht so ganz einfach davon distanzieren kann. Und es nicht nur ein Gedankenspiel bleibt."
    Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit
    Das Konzept der Staatsneugründungen hatten ursprünglich Neonazis entwickelt. Gewürzt ist es mit einer wilden Mischung gesellschaftskritischer Theorien. Abschaffung aller Banken und Schulden? Bio-Landwirtschaft und kostenlose Energie für alle? Mainstream oder rechter Rand? Für Vogelgesang sind ideologische Grenzen bei den verschiedenen Reichsbürgergruppen nur noch ganz verschwommen wahrnehmbar.
    "Es sind so Collagen eigentlich. Ideologische Collagen. Und man sucht sich das heraus, was passt. Und fügt das zu so einem schönen Humunkulus-Staat zusammen. Und überlegt sich, da würde ich doch gerne leben. Toll. Letztlich kommt man dann doch immer irgendwie drauf, dass die Juden an allem Schuld sind.
    Oder dass wir total überfremdet sind. Das findet man bei fast allen Initiativen in irgendeiner Form. Aber natürlich auch deshalb, weil es weit normaler ist, als man denkt. Und nur in der reinen Form wird es dann der Neonazismus. Aber so Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit ist ja kein Minoritätsphänomen in Deutschland."
    Absurdes Theater - und bitterer Ernst
    Wie die Anführer des Islamischen Staates fühlen sich auch viele Reichsbürger als Geächtete. Sie versuchen, sich ihren Platz in der Welt durch Staatsneugründungen zu sichern. Während sie anfangs als krude Spinner belächelt wurden, geht die Polizei inzwischen rigoros gegen die Staatsverweigerer vor. Teils wurden bei Hausdurchsuchungen große Waffenlager gefunden.
    Die Inszenierung ist vor allem ein Lehrstück darüber, wie mit massiv eingesetzter Internet-Propaganda Widerstand mobilisiert werden kann - und seien die Forderungen auch noch so utopisch. Internil gelingt das Kunststück, die Welt der Staatsverweigerer mit ihren virtuellen Propagandablasen als das zu zeigen, was sie ist: absurdes Theater. Und dennoch bitterer Ernst.