Auf der Bühne gibt es eine riesige Blutlache. Das Licht ist düster. Tannenbäume, die an Schnüren von der Decke herabbaumeln, werfen gruselige Schatten. Doch bevor man sich fürchtet, kommt ein kleiner rotblonder Junge und wischt die Lache weg.
"Dieser Blutfleck kommt eigentlich noch aus einer anderen Version des Stücks, wo es Menstruationsblut war, wo die Phädra am Anfang in einer Art Bild, was sich orientiert an einer berühmten Installation von Marcel Duchamp. Da liegt eine nackte Frau mit offenen Beinen in der Landschaft und wir sehen auf ihren Schritt. Und das Blut kommt aus einer Version, wo dieser offene Schritt anfängt zu bluten," erklärt Sahar Rahimi vom Regieteam.
Eine andere Version der Performance begann mit einer Vergewaltigungsszene, bei der der Sohn über die Mutter herfiel – doch all das hat die Gruppe verworfen. Das Konzept der Inszenierung steht kurz vor der Premiere noch nicht fest. Klar sind nur einige Eckpunkte: "Wir beschäftigen uns in unserer Arbeit eigentlich immer mit Machtkonstellationen. Es geht nicht nur um Sexualität, sondern es geht um Macht, es geht um sexuelle Macht. Dieser Moment hat mich interessiert, also die Familie als ein Raum, der eben nicht unschuldig ist und nicht machtfrei ist."
Verweis auf die #MeToo-Debatte
Die Geschichte von Phaedra, die sich in ihren Sohn verliebt, geht auf einen antiken Mythos zurück. Der klassische französische Dichter Racine hat eine Tragödie geschrieben, in der es vor allem um Phaedras Schuldgefühle geht. Sahar Rahimi will jedoch auf die #MeToo-Debatte verweisen:
"Als ich die #MeToo-Debatte verfolgte, als sie aufkam, war ich erst mal erleichtert und war auch froh, dass endlich die sprechen können, die einfach geschwiegen haben, aus Scham oder aus vielen Beweggründen. Und gleichzeitig hatte ich eine Art von Zerrissenheit und habe mir gewünscht, dass wir nicht nur anklagen, sondern eine gewalttätige Souveränität in dieser Debatte bekommen - also ich habe mir irgendwie auf eine Art einen weiblichen Weinstein gewünscht."
Sahar Rahimi will eine Frau als Machtmenschen zeigen, als Bad Girl, das männlichen Bösewichten in nichts nachsteht. Dafür ist Racines Phaedra natürlich ungeeignet, weil sie zwischen Begierde und Schuldgefühlen hin und her schwankt, doch psychologische Feinheiten haben die Gruppe Monster Truck nie sonderlich interessiert. In der Stückversion, die bei der Generalprobe gespielt wurde, befiehlt Phaedra ihrem Sohn einfach, sich auf sie zu legen und in sie einzudringen. Technomusik gibt den Rhythmus vor. Der Sexualakt wird mechanisch vorgeführt, was die Beteiligten fühlen, ist nicht zu erkennen. Spannend ist, dass die Mutter von einer Frau im Rollstuhl gespielt wird. Lucy Wilke kann weder Arme noch Beine bewegen.
Souverän und schwah zugleich
"Auf der einen Seite gibt es eine Frau, die, wenn sie aus ihrem Rollstuhl raus ist, tatsächlich erst mal hilflos oder ausgeliefert ist, vermeintlich. Wir hatten einfach Lust, die Herausforderung anzunehmen, wie kann man trotzdem eine souveräne Position aus dieser vermeintlichen Schwäche positionieren?"
Das Bild der zerbrechlichen Frau, die sich von ihrem Sohn aus dem Rollstuhl heben lässt, will jedoch nicht so recht zum dem der bösen Mutter passen, die ihr Kind missbraucht. Die Botschaft der Inszenierung bleibt unklar.
"Ich glaube, es ist ein Abwägen, das ständig stattfindet: Ist es der Sohn, der einem Leid tut, ist es die Mutter, die dann auch wieder schwach wird in Momenten? Es geht immer hin und her und hin und her. Und wahrscheinlich kommt man raus und hat gar keine klare Positionierung gefunden, glaube ich."
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Performer von Monster Truck selbst keine klare Position gefunden haben. Die Gruppe wird heute bei der Premiere keine fertige Inszenierung präsentieren, sondern nur ein vorläufiges Arbeitsergebnis.