"Welcome to the lottery. For the next two hours, until I announce the end of the lottery, I will be the highest authority in the room. You are kindly requested to obey all my orders...."
Darauf also hat man sich eingelassen, zusammen mit etwa 20 anderen Menschen: Auf "The Lottery", bei der wir in eine Büroetage geschlossen sind und uns ein Computer mal Gruppenanweisungen mal diskrete Einzelbefehle erteilt. Mit über 500 Befehlen haben die israelischen Performancekünstler Keren Sheffi und Saar Székely ihren Zufallsgenerator gefüttert, und so muss der eine jeden küssen, der ihn berührt, der nächste muss eine Rede halten, der dritte sich nackt ausziehen oder gemeinsam mit anderen ein Manifest für einen utopischen Staat entwerfen.
Allerdings ist jedem freigestellt, den Befehl zu ignorieren oder sich einen eigenen Befehl auszudenken, eine Überwachungsinstanz gibt es nicht. Die zwischen Sozialexperiment und Partyspiel, Performance und Mitmach-Theater changierende Lottery ist typisch für dieses Radikal jung 2014, das als 10te Jubiläumsausgabe des Festivals einen besonderen Schwerpunkt setzt auf Produktionen, die nicht auf der klassischen Repräsentationsbühne stattfinden, sondern auf unmittelbarere Weise über uns und unsere Welt erzählen.
"Das Wichtigste für uns bei dieser Lotterie war die Möglichkeit - sagt Saar Székely - eine Umgebung für die Leute zu schaffen, um neue Formen von Interaktionen auszuprobieren, die im Alltag nicht möglich sind. Zugleich glaube ich, dass es uns unangenehm ist, wenn die sonst unsichtbaren Regeln, die eigentlich ja sowieso unser ganzes soziales Leben bestimmen, plötzlich ans Licht kommen. Eigentlich kann man sich während der Lotterie genauso verhalten, wie sonst auch, da liegt nicht die Veränderung, die Veränderung liegt darin, dass man sich der Befehle, der Regeln plötzlich ständig bewusst ist."
Wer sich nach diesen durchaus Bewusstseins verstärkenden 3 oder 4 Stunden im Schutzraum einer Performance noch nicht ausagiert hatte, konnte sich in diesen Tagen auch in einem weiteren Projekt als Zuschauer und Darsteller zugleich erleben.
"What are we doing here today, we would like you to enter today one of the most expansive apartments in the moment in Munich. It's a specific penthouse in the Schwabing district."
Mit "Life and Strive" von Anat Eisenberg und Mirko Winkel betrat man - ausstaffiert mit einer neuen Biografie und kostümiert als vermögender Interessent - in einer kleinen Gruppe eine zum Verkauf stehende Luxusimmobilie, was auf dem inzwischen in Phantasiepreisen explodierten Münchner Wohnungsmarkt sonst nur einer ausgesuchten Klientel überhaupt ermöglicht wird. Und so konnte man sich mit einer gefakten Portokasse von 3 Millionen Euro auf ein Spiel einlassen, was Mirko Winkel eine Überaffirmation nennt, auf eine Lifestyle-Inszenierung, die man naturgemäß linken Herzens ablehnt, deren Verführung man aber insgeheim vielleicht doch gern erliegen würde:
"Es ist in diesem Spiel ganz schwer, zu sagen, wer in diesem Spiel Zuschauer ist und wer Darsteller ist, weil das trifft natürlich zusammen. Man ist in dieser Doppelrolle da.. Ich glaube das Interessante ist dann tatsächlich wenn diese Irritation mittendrin auf einmal stattfindet und man auf einem Dach steht mit einem Immobilienmakler, von dem man denkt, warte mal: Ist der jetzt echt? Bin ich echt? Wer macht jetzt eigentlich die Show für wen: Ist nicht eine Verkaufssituation eine ständige Show füreinander, wer lügt wen eigentlich an, und das Handeln ist ja auch ein total spielerischer Akt von Lüge und Behauptung auf beiden Seiten."
"Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, es sind Millionen die leiden, aber Ulli macht hier was anders......"
Und auch dies ein Spiel von Lüge und Behauptung, die Wiener Gruppe "Unkoordinierte Bewegung", eingeladen zum Festival "Radikal jung" mit ihren Irritationen, veranstaltete in diesen Tagen ganz in der Tradition eines Christoph Schlingensief eine Pilgerfahrt zum Tegernsee, um Ulli Hoeneß dafür zu danken, dass er sein Haus während seiner Haft Flüchtlingen zur Verfügung stellt. Radikal jung also mit politischer Verve am Rande der Geschmacksgrenze.
"Ulli. Danke.... Danke... Danke..."