In der Aula der Leonore-Goldschmidt-Schule in Hannover drängen sich die Jugendlichen auf der Bühne wie in den Reihen davor. Sie sind an diesem Morgen beides: Glänzende Darsteller und jubelndes Publikum der gut zweistündigen Aufführung. Ein krönender Abschluss auch für die Studierenden des Fachbereichs "Darstellendes Spiel" an der Leibniz Universität Hannover: Ein Schuljahr lang haben sie sich überlegt, wie man aus dem Oberthema "Weg" eine Choreographie baut, die sich packend präsentieren lässt.
Sichtbar werden, mit allem was dazu gehört: Sorgen und Nöte, aber auch Stolz und Zuversicht. Das soll für die Jugendlichen auf der Bühne möglich sein. Aysam, 15, Gymnasium Lehrte, sagt:
"Wir wollten, dass die anderen wissen, was in der Klasse passiert. Die Deutschen müssen auch wissen, was Ausländer sind. Viele denken, dass die gar nichts können und zurückgehen – aber die können auch Theater machen, die können ja alles machen!"
Theaterprobe als Schutzraum
Julian Mende unterrichtet Deutsch und Darstellendes Spiel an der Leonore-Goldschmidt-Schule. Er hat das preisgekrönte Projekt für kreatives Sprachenlernen vor vier Jahren auf den Weg gebracht. Geldgeber wie die TUI-Stiftung und die Klosterkammer hat Mende gewonnen und ein Netzwerk begeisterter Partner geknüpft.
Julian Mende: "Mir ist aufgefallen, dass seit 2015 viele Schüler an die Schule kamen, die kein Wort Deutsch gesprochen haben und in den Sprachlernklassen wirklich gut Deutsch lernen konnten – aber mir ist doch aufgefallen, dass das alles sehr kopflastig ist. Wenn man dann vor anderen sprechen soll, ist das mit Scham verbunden - und ich glaube, da bietet einfach die Theaterprobe einen Schutzraum, in dem man frei agieren kann."
Theaterpädagogische Methoden haben längst Einzug in den Regelunterricht gehalten - doch das Darstellende Spiel versteht sich explizit als künstlerisches Fach, betont Ole Hruschka. Er leitet das Studienfach an der Leibniz Universität Hannover. Der Theaterunterricht an der Schule ist nicht einfach nur Mittel zum Zweck, sagt Hruschka. Er befähigt Menschen zur Teilhabe, und könnte die gängige Vorstellung von Unterricht radikal verändern.
"Das Ziel ist nicht allein, dass hinterher alle besser Vokabeln und Grammatik können, sondern das Ziel muss auch sein, dass man eine Vorstellung davon gewinnt, was kann Theater leisten und bedeuten in so einer Gruppe, also, was kann man von sich erzählen und veröffentlichen."
Vom Bühnenfieber gepackt
Erfahrene und weniger erfahrene Studierende arbeiten jeweils als Tandem in der Sprachlernklasse, werden auf diese Weise früh mit den Herausforderungen an der Schule konfrontiert und lernen voneinander.
Die 15-Jährigen in ihrer Sprachanfängergruppe nur auf deren Fluchterfahrung zu reduzieren, wäre der angehenden Theaterlehrerin Katharina Nuding nie in den Sinn gekommen. Sie stieß auf unterschiedlichste Bildungsbiographien der Schüler: einige haben in ihren Herkunftsländern Elite-Gymnasien besucht, andere noch nie eine Schule von innen gesehen.
Wo Wörter fehlen, da helfen Gesten weiter, Musik, Tanz, Visualisierung. Von der Wirksamkeit der Theaterpädagogik beim Spracherwerb ist Nuding überzeugt, die ihre Bachelorarbeit zum Thema geschrieben hat.
"Bei einigen, die waren zwei Wochen in Deutschland und die waren völlig überfordert von dieser freien Unterrichtssituation, in der man nicht hinter Tischen sitzt, sondern sich im Raum bewegt. Und inzwischen sind das diejenigen, die den andern die Struktur geben, die neu in die Gruppe kommen, die ganz viel an Selbstbewusstsein gewonnen haben und auch an körperlicher Ausdrucksweise, das ist wirklich toll zu sehen!"
Der 15-jährige Asyam berichtet am Ende der Darbietung, ihn habe das Bühnenfieber gepackt: "Die haben geklatscht - und dann hatte ich mich sehr gefreut. Wenn wir Theater weiter machen, werde ich immer dabei sein. Ich werde immer weitermachen, wenn das geht."