Theaterstück "Spielerfrauen"
Eine fiktive Untersuchung von Machtstrukturen im Fußball

In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Berichte über Profi-Fußballer gegeben, die ihre Freundinnen geschlagen haben sollen. Die Opfer dürfen oft nicht frei sprechen. Das Berliner Ensemble versucht, diese Lücke mit Fiktion zu schließen.

Von Tamara Keller | 08.06.2024
Sina Martens und Gabriel Schneider während der Fotoprobe für das Stück Spielerfrauen im Berliner Ensemble.
Sina Martens (l.) und Gabriel Schneider setzen im Theaterstück "Spielerfrauen" am Berliner Ensemble die Machtstrukturen im Fußball in den Kontext zu anderen gesellschaftlichen Problemen. (IMAGO / Martin Müller / IMAGO / Martin Müller)
Was haben Fußball und der Physiker Robert Oppenheimer gemeinsam?
Studentin: "Hä?"
Professor Oppenheimer: "Sehen sie. Funktioniert. Fühl mich gleich wie ein Experte. Ich habe gleich Lust bekommen, die Abseitsregel noch weiteren Menschen zu erklären. Heute Abend zum Beispiel da habe ich ein Date, vielleicht könnte ich da einfach die Abseitsregel erklären. Nach so ein paar Bier ein bisschen zu laut."
Studentin: "Niemand kann einem Mann widerstehen, der etwas zu laut die Abseitsregel erklärt."

Essenz des Stücks: Fußball, Fußball, Fußball

Im Bühnenstück "Spielerfrauen" ist Professor Oppenheimer besessen von Fußball und erklärt seiner Studentin die Abseitsregel so, wie sie schon vielen Frauen von einem Mann erklärt wurde: Er mansplained. Das beschreibt die Essenz des Stücks sehr gut. Es geht im Kern um, "Fußball, Fußball, Fußball", aber eben nicht nur.
"Die Idee kam im Prinzip von Sina Martens und mir, die auch mit auf der Bühne steht, mit der ich das zusammen entwickelt habe", erklärt Regisseurin Lena Brasch.
"Und wir haben 2022 ein Stück über Britney Spears gemacht und da ist uns bewusst geworden, dass es Figuren in der Popkultur gibt, deren Schicksal eigentlich fast griechischen Tragödien ähneln. Und wir gedacht haben, dass man gar nicht unbedingt immer Goethe und Schiller und Kleist auf die Bühne bringen muss, um diese Tragödien zu erzählen, sondern dass wir auch in der Jetztzeit genug Geschichten haben, die es wert sind, erzählt zu werden. Und dass es da Figuren und Personen gibt, die normalerweise keine Stimme haben.“

Von Profispieler zu Rubiales' Mutter zu Victoria Beckham

In der Länge von „Eineinhalb Stunden? - Ja, zwei Mal 45 Minuten“ wechseln Szene und Rollen, verkörpert von Sina Martens und Gabriel Schneider, sehr oft: Vom Profispieler zum angeblichen Vorbild jeder Spielerfrau, "den Kardashians", über Luis Rubiales' Mutter im Hungerstreik, hin zur Mini-Hommage an Taylor Swift, nur um kurz darauf die erfolgreichste Spielerfrau jemals zu bewundern: Victoria Beckham.
"Wenn man nicht ausgerechnet David Beckham geheiratet hat, hat man vermutlich nichts davon. Außer eine Welt natürlich, in der wir alle daran leiden, nicht David Beckham geheiratet zu haben."
Die häufigen Wechsel erinnern an den Zitate-Klangteppich aus den sozialen Netzwerken vom Anfang des Stücks und erzeugen auch ein bisschen den Effekt, als würde man dort über seine eigene Timeline von Video zu Video springen: In einem Moment schmettert Gabriel Schneider als Mats-Hummels-Fan eine Ballade, im Anderen steht Sina Martens mit dem Ball am Fuß da, bereit zum Torschuss.

Stück als fiktive Annäherung an den Fußball-Kosmos

Das Stück ist eine fiktive Annäherung an den Fußballkosmos und trotzdem werden in den Nebensätzen gekonnt Fakten vermittelt: "Jeder Skandal um einen knutschenden Funktionär ist interessanter als die sportliche Weltklasseleistung einer weiblichen FussballMANNschaft. Wer hat nochmal gewonnen?" Fehlende sportliche Anerkennung für Spielerinnen wird ebenso behandelt, wie der Schiedsrichterinnenmangel in der Bundesliga der Frauen.
Und das Fiktive schließt die Lücken dort, wo in der Realität den Frauen das Sprechen verboten wurde: "Genau diese Schweigeverträge sind eben auch ein großes Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben. Sie sind im Prinzip auch vielleicht so ein bisschen der Ausgang, auf dem diese ganze Geschichte basiert und wie mit Macht umgegangen wird. Und wir versuchen nicht unbedingt immer alles auszusprechen, was man meint, sondern vielleicht die Geschichten drumherum zu erzählen, oder das mit Bildern zu erzählen."

Machtstruktur im Fußballs im Kontext zu anderen gesellschaftlichen Problemen

Das gelingt Regisseurin Lena Brasch insbesondere in einer Szene, in der es sich ein Spieler mit seiner Spielerfrau gemütlich macht - im heimischen Whirlpool, verkörpert auf der Bühne durch ein schön ausgeleuchtetes Bällebad. Die Unterhaltung beginnt auf Augenhöhe, mit zärtlichen Gesten und Liebesgeständnissen, untermalt von Klavierinterpretationen der Stadionlieder „Steh auf…!“ und „We are the Champions“.
Aber Satz für Satz wird die Problematik in der Beziehung der Beiden sichtbarer, bis der Profispieler seine Frau mit den Plastikbällen beschmeißt, nur damit sie wenige Minuten später entgegnet: "Ich bin kein Ball. Ich bin kein Ball. Ich kriege blaue Flecken, wenn man mich trifft. Ich fange an zu bluten."
Es ist eine gelungene Inszenierung, die die Machtstruktur im Fußball fiktiv untersucht und in den Kontext zu anderen gesellschaftlichen Problemen setzt. Damit kommen die, die den Fußball lieben, genauso auf ihre Kosten, wie diejenigen, die gar nichts damit am Hut haben.