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Theaterstück "Stadium"
Fußballfans entern die Bühne

Kreative Schiedsrichterbeleidigungen, Hooliganbeichten und Lebensgeschichten aus der Arbeiterklasse: Der französische Regisseur Mohamed El Khatib macht Fußballfans zu Protagonisten eines Theaterstücks. Mit Laiendarstellern, einem tanzenden Maskottchen und einer originalen Imbissbude ist er auf Tournee.

Von Eric Leimann |
    Fußballfans stehen gemeinsam mit Fahne und Bierfalsche auf der Bühne
    Hier sind soziale Unterschiede unwichig: Fußballfans im Theaterstück "Stadium" (Nurith Wagner Strauss)
    Die Fans des Racing Club de Lens singen, auch wenn es weh tut. Die letzte Saison beendete der französische Traditionsclub auf einem wenig ruhmreichen 14. Platz - in der zweiten Liga wohlgemerkt. Das konnte Regisseur Mohamed El Khatib nicht davon abhalten, eben diese Fans zu Protagonisten seines dokumentarischen Theaterprojekts "Stadium" zu machen: "Ich bin nicht nur ein Fan, ich bin ein Fanatiker. Ich schaue einfach jede Fußballsendung, ich liebe Vereine, die ein Spektakel bieten. Lens habe ich mir ausgesucht, weil man sagt, dass dieser Club die beste Fankultur in Frankreich hat."
    El Khatib kommt selbst nicht aus Lens. Der Franzose mit marokkanischen Wurzeln stammt aus der Nähe von Orleans - und musste sich das Vertrauen der Fanszene im ehemaligen nordfranzösischen Bergarbeiterstädtchen erarbeiten.
    Fans erzählen ihre Geschichte auf der Bühne
    Wie ein Dokumentarfilmer näherte er sich seinem Studienobjekt. Er filmte Interviews mit Menschen, die ihr Leben mit Haut und Haaren dem RC Lens widmen. Diese Interviews erscheinen auf einer Leinwand über der dann dunklen Theaterbühne. Plötzlich jedoch treten die Protagonisten in Fleisch und Blut auf die Bühne und erzählen ihre Story weiter.
    "Mein Interesse ist ein politisches. Die Klasse, die mich interessiert, geht nicht unbedingt ins Theater. Das Stadion ist ein hochinteressanterer Ort, denn dort vermischen sich noch Menschen unterschiedlicher Schichten. Man redet ja immer über die Arbeiterklasse und fängt sie dann in Dokumentarproduktionen ein. Das sehe ich kritisch. Ich will das sogenannte Proletariat selbst auf der Bühne sprechen lassen, das Dokumentarische mit dem Fiktionalen verbinden und das mit den Menschen gemeinsam. Letztendlich möchte ich die Leute dazu bringen, sich von ihrem sozialen Schicksal zu befreien, indem sie sich selbst reflektieren, sich über sich selbst lustig machen können."
    Mit 53 Fans, Cheerleadern, einem tanzenden Maskottchen sowie der original Fritten- und Bierbude "Momo" ist Mohamed El Khatib auf Theatertournee. Nach einem Auftritt bei den Wiener Festwochen kommt nun Hamburg. Der Regisseur selbst steht auch auf der Bühne, als eine Art Conférencier. Für erfahrene Fußball-"Kulturisten" sind die Geschichten über Fankultur nicht ganz neu. Spätestens seit Nick Hornbys Buch "Ballfieber" ist Fußball auch für Kulturschaffende ein Thema.
    Pointensichere Laiendarsteller
    In "Stadium" geht es ebenfalls um Lebenshöhepunkte und Täler, die mit Meisterschaften und Abstiegen verbunden sind. Es geht um kreative Schiedsrichterbeleidigungen, sensible Freizeithooligans und das mythenreiche Lokalderby gegen die Bourgeoisen aus dem benachbarten Lille. Erfrischend an diesem Stück: Mohamed El Khatibs Laiendarsteller sind erstaunlich bühnen- und pointensicher beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte. Damit nicht nur geredet wird, kommen immer wieder mal Blechbläser und Trommler aus dem Fanblock oder Cheerleader auf die Bühne, um Folklore aus Lens vorzuführen.
    Die morgen beginnende Fußballweltmeisterschaft in Russland erscheint allein wegen ihres Gigantismus als größtmöglicher Gegensatz zum klassischen Fan-Biotop in Lens, einem vom Fortschritt vergessenen Städtchen mit 30.000 Einwohnern. Ist Mohamend El Khatib also ein Nostalgiker, der auf der Bühne konserviert, was es vielleicht bald nicht mehr geben wird?
    "Heute existieren nur noch Fußball-Analytiker"
    "Ich habe gerade einen Artikel für die Zeitung 'Líberation' über genau dieses Thema geschrieben. Darin sage ich, dass es früher Fußballromantiker gab, aber heute existieren nur noch Fußball-Analytiker. Natürlich bin ich ein bisschen romantisch. Und die Fußballweltmeisterschaft? Natürlich schaue ich mir die an. Am liebsten wäre mir, Marokko würde gewinnen, aber das wird nicht passieren. Also bin ich für Brasilien, da mir die französische Mannschaft zu arrogant ist."
    Mohamend El Khatib - der Mann, der Fußball ebenso liebt wie das Theater - hat mit seinem romantischen, aber durchaus auch ironischen Fußballtheater beide seiner Leidenschaften unter einen Hut gebracht. Dass er subjektiv für "seine Proletarier" Partei ergreift, mag den ein oder anderen stören. Andererseits ist es ja auch im Stadion viel langweilig, wenn man neutral ist.
    Mohamed El Khatib: "Stadium"
    13. und 14.6.18 auf Kampnagel in Hamburg im Rahmen des Live Art Festivals #8.