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Theaterstück über jüdischen Nationalspieler
Der Leidensweg des Julius Hirsch

In der fast 120 Jahre alten Geschichte des DFB hat es nur zwei jüdische Nationalspieler gegeben. Julius Hirsch war einer von ihnen und wurde in Auschwitz ermordet. Lange wurde seine Geschichte verdrängt. Ein Theaterstück will zeigen, dass es auch heute noch möglich ist, dass Antisemitismus nach und nach die ganze Gesellschaft erfasst.

Von Ronny Blaschke |
    Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft von 1912 mit (h.v.l.) Julius Hirsch, Hermann Bosch, Karl Wegele, Willi Worpitzky, Ernst Hollstein, Adolf Jäger, Albert Weber, Georg Krogmann, Helmut Röpnack sowie vorn von links Eugen Kipp und Max Breunig bei den Olympischen Spielen in Stockholm, Schweden
    Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft von 1912 mit (h.v.l.) Julius Hirsch. (picture-alliance / dpa / Schirner Sportfoto)
    Das Theater der Jungen Welt in Leipzig ist ausverkauft. Schulklassen und Vereinsmitglieder, Jugendgruppen und Eltern mit ihren Kindern: Ein junges Publikum verfolgt den Leidensweg von Julius Hirsch, genannt Juller. Der einst gefeierte jüdische Nationalspieler verließ 1933 freiwillig den Karlsruher FV, so kam er dem Rauswurf der Nazis zuvor.
    Wie der Antisemitismus im Dritten Reich nach und nach die ganze Gesellschaft erfasste – das möchten der Autor Jörg Menke-Peitzmeyer und der Regisseur Jürgen Zielinski mit ihrem neunzigminütigen Stück deutlich machen. Und sie versuchen zu zeigen, dass so etwas auch heute noch möglich ist. Jürgen Zielinski, Intendant des Theaters der Jungen Welt.
    "Erkenntnis, glaube ich, reift immer dann am besten, wenn man auch emotional etwas verarbeitet. Und das ist, denke ich, der große Vorteil von Theater. Vor allem wollen wir nicht belehrend sein. Theater darf nicht die Fortsetzung des Lehrplans mit anderen Mitteln sein. Also wir müssen unser professionelles Theaterhandwerk einsetzen und auch Fragen stellen, wie in einer Zeit der Sprachverkürzung Theater überhaupt noch einen Reiz hat."
    Jugendliche an politischen Prozessen beteiligen
    Das Stück Juller wird immer wieder auf Reisen gehen. Auftakt der Gastspielreihe war das Fußballmuseum in Dortmund. Zudem gibt das Theater ein Begleitbuch heraus. Und eine Aktions-Sporttasche: darin finden sich Hefte, Fotos und Spielideen, mit denen Lehrer oder Trainer einen Workshop gestalten können. Entwickelt wurde die Tasche von der Berliner Theaterpädagogin Bettina Frank.
    "Es gibt zum Beispiel eine Übung, da geht es um Kevin-Prince Boateng, der einmal das Spielfeld verlassen hat nach rassistischen Anfeindungen. Dann gibt es eine Spielübung dazu, wo man versucht zu erfassen, was die Gedankengänge der verschiedenen Akteure sind. Dann ist ein Vorschlag aus der Tasche: Lest doch mal, wie Julius Hirsch zum Beispiel reagiert hat auf die Mitteilung im Radio, jüdische Sportler werden ausgeschlossen aus den Vereinen. Ich schreibe auch immer wieder in der Tasche: Man kann das nicht vergleichen, das sind unterschiedliche Zeitkontexte. Aber man kann mal dieses Gedankenspiel wagen und sagen: aha, wie gehen Menschen mit solchen Situationen um."
    Die Schauspieler Martin Klemm (von links nach rechts), Sven Reese und Philipp Oehme lesen während des Probenauftaktes am 20.02.2017 im Theater der Jungen Welt in Leipzig (Sachsen) aus dem Theaterstück "Juller".
    Das Leipziger Theater der Jungen Welt erinnert an jüdischen Fußballer "Juller" (Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)
    Auch in Sachsen suchen Politik und Bildung seit langem nach Strategien, um Jugendliche an politischen Prozessen zu beteiligen. Für eine offene Gesellschaft. So entstehen nun Allianzen, die unterschiedliche Milieus ansprechen sollen. Das Theater der Jungen Welt lud zu einem Debattenabend, gemeinsam mit den Rasenballisten, einem Fannetzwerk von RB Leipzig. Zu den Organisatoren zählte auch der politisch interessierte RB-Anhänger Niko, seinen vollständigen Namen möchte er nicht nennen.
    "Antisemitismus ist ein greifbares Thema für viele Personen. Wenn man aber Antiziganismus hört, ist es, glaube ich, abstrakter für viele Menschen, darunter klar was zu verorten. Und wenn man dann Leute im Stadion damit konfrontiert, nachdem sie irgendwie ,XYZ, du Zigeuner’ gesungen haben, ist es schwierig, für viele im Stadion, zu verstehen, warum das eben nicht in Ordnung ist."
    DFB-Kulturstiftung fördert Projekte
    Der Fußball dringt immer mehr in die so genannte Hochkultur vor, in Literatur und klassische Musik, in Galerien und Theater. Weil der Sport Jugendlichen einen Zugang ermöglicht, die sie mit ihrem Hobby verbinden. Der Leipziger Intendant Jürgen Zielinski hatte schon 2011 ein Stück über Depressionen im Fußball entwickelt. In Göttingen beschäftigte sich das Theater vor Ort mit Homophobie, in Osnabrück mit Leistungsdruck, in Hannover mit Hooligans. Eine wichtige Förderin solcher Projekte ist die 2007 gegründete DFB-Kulturstiftung. Deren Geschäftsführer Olliver Tietz sagt, dass auch kleine Vereine jenseits der Theaterbühnen aktiv werden können.
    "Und da kann ich immer nur empfehlen, sich zu vernetzen: Es gibt in jeder mittelgroßen Kommune Kulturämter, es gibt entsprechende Kulturvereine, Institutionen, die alle tolle Ideen haben, ein Theater, einen Musikverein und so weiter. Wenn man da ein bisschen offen ist und mit seinem Verein in der Nachbarschaft spricht oder mit seinem Kulturamt spricht, dann findet man sicher gute Lösungen."
    Die Gastspielreihe Juller war bereits in Dortmund und Gelsenkirchen. Mindestens zehn weitere Stationen sollen folgen, unter anderem Karlsruhe, Berlin und Dresden.