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Theatertreffen in Berlin
Ein Blog für alle Meinungen

Derzeit läuft in Berlin das Theatertreffen, das wohl wichtigste Festival der deutschsprachigen Szene. Da kann man nicht nur Bühnentrends beobachten, sondern auch Tendenzen der medialen Berichterstattung. Das Theatertreffen-Blog lässt Politaktivisten ebenso zu Wort kommen wie Theaterleute und Kritiker.

Von Oliver Kranz |
    Samstagnachmittag vor dem Haus der Berliner Festspiele. Demonstranten mit Warnwesten schleppen einen riesigen Stempel heran, mit dem sie die Worte "Name It Racism" auf den Bürgersteig stempeln - "Nennt es Rassismus!". Einen Tag zuvor hatte das Theatertreffen mit der Produktion "Die Schutzbefohlenen" begonnen, einem Stück über die Situation von Flüchtlingen in Europa.
    "Wir sagen: Es ist wichtig, Rassismus beim Namen nennen", sagt Nils Erhard von der Initiative "KulTür auf!", die dagegen protestiert, dass die Jury des Theatertreffens nur mit weißen Kritikern besetzt ist. Rassismus und Flüchtlingspolitik waren an den ersten drei Festivaltagen die Reizworte. Das Blog des Theatertreffens spiegelt die Diskussion. Die Redaktion besteht aus sieben theaterbegeisterten jungen Leuten, die Tag und Nacht das Festivalgeschehen beobachten.
    "Wir bekommen Ressourcen zur Verfügung gestellt. Aber wir sind halt trotzdem kritisch", sagt Annegret Märten, die zu den Bloggern gehört. Sie ist Deutsche, lebt aber in London. Daher kommt ihr die deutsche Theaterszene ziemlich exotisch vor. Das Theatertreffen-Blog ist nicht als Sprachrohr der Festivalleitung gedacht, sagt Bianca Praetorius, die das Redaktionsteam zusammengestellt hat. Ihr schwebt eine Diskussionsplattform vor, zu der auch Außenstehende Zugang haben.
    "Dadurch wird ein neues Fenster aufgemacht für junge Theaterwissenschaftler, Theaterschaffende, die sich zu dem, was sie sehen, verhalten wollen und plötzlich auch können."
    Alles ist kommentierbar
    Denn alle Beiträge des Theatertreffen-Blogs können kommentiert werden. Es gibt klassische Theaterkritiken, aber auch Reportagen und Interviews - Textbeiträge, Videos und Audiodateien. All das findet man den Webseiten von Zeitungen, Radio- oder Fernsehsendern natürlich auch - aber nicht in diesem Umfang. Zudem gibt es beim Theatertreffen ein besonders diskussionsfreudiges Publikum. Besucher können an einem Computerterminal im Haus der Berliner Festspiele ihre Meinung direkt eintippen.
    "Die kommen ganz zögerlich und gucken erst und dann machen sie es aber. Wenn man sie dann anspricht, dann gibt es eine kleine Scheu. Wenn man die überwindet, dann sind die richtig interessiert."
    Bianca Praetorius spricht von den älteren Festivalbesuchern, die noch nicht mit dem Internet aufgewachsen sind. Sie sind momentan noch in der Mehrheit. Doch beim Theatertreffen ist ein Generationswechsel im Gang.
    "Durch die neue Leitung des Theatertreffens, durch die ganze Umstrukturierung wird es sehr viel jünger und einfach offener. Es wird internationaler. Es gibt viele englischsprachige Untertitel. Das bedeutet, ich kann auch an diesem Festival teilnehmen, wenn ich kein Theaterhase bin, der schon alles von Peymann gesehen hat."
    Bianca Praetorius will das Theatertreffen-Blog zu einem Treffpunkt der Generationen machen. Es wurde 2009 eingerichtet und hat inzwischen die auf Papier gedruckte Festivalzeitung ersetzt. Viele Texte sind wie Zeitungsartikel geschrieben, doch es gibt auch neue Formen.
    "Letztes Jahr haben wir zu Castorfs ‚Reise ans Ende der Nacht' eine sogenannte Twitter-Kritik gemacht. Wo 15 Leute da waren - professionelle Theaterkritiker von der Deutschen Bühne und ganz junge Blogger. Und die haben sich in die letzte Reihe gesetzt und haben währenddessen versucht zu sagen: was sehe ich? Was frage ich mich gerade? Wie finde ich das alles?"
    Die erste WhatsApp-Kritik
    Natürlich können Kurznachrichten, die während der Vorstellung im dunklen Zuschauerraum ins Handy getippt werden, keine Theaterkritik ersetzen. Doch sie vermitteln spontane Eindrücke. In diesem Jahr wird es die erste WhatsApp-Kritik geben. Die einzelnen Beiträge werden nicht sofort veröffentlicht und sind auch nicht auf 140 Zeichen begrenzt, wie die Twitter-Nachrichten.
    "Als Rezeptionslogbuch kann das sehr spannend sein. Eine WhatsApp-Kritik ist ein geschlossener Raum, denn ist eine Gruppe mit fünf Leuten, die sich wie ein Flüstergespräch, was man mit Freunden auf der Couch während einem Fernsehfilm zu Hause hätte, während man nicht flüstern kann im Theater, das versuchen wir, in eine digitale Gruppe zu bekommen."
    Veröffentlicht wird der Text dann im Nachhinein. Das Theatertreffen-Blog ist interessant, weil es neue Formen der Berichterstattung ausprobiert. Die meisten Beiträge sind nicht so brillant formuliert wie die Kritiken, die in den traditionellen Medien erscheinen, doch brauchbare Informationen liefern sie allemal.
    "Ich bin für eine Koexistenz von verschiedenen Meinungen. Genau da liegt der Mehrwert. Wenn ich 15 Leute mit einem Hashtag in ein Stück setze und sage: Unterhaltet euch mal während des Stückes über das Stück, dann finde ich es interessant, was passiert wenn ich eine Schlachtplatte an Dingen habe und an Meinungen. Das heißt, was dazwischen passiert ist spannend und nicht, dass einer die lauteste Meinung hat."
    Das Theatertreffen-Blog lässt Politaktivisten ebenso zu Wort kommen wie Theaterleute und Kritiker. Nicht alle Beiträge sind wirklich gut gemacht, doch die Fülle des Materials überzeugt. Umfassender können die Debatten des Festivals kaum abgebildet werden.