Archiv

Themenreihe Mittelpunkt Mensch
Kriegschirurg im Friedenseinsatz

In seiner Praxis in Düren operiert Stefan Krieger vor allem Hände: gebrochene Finger, eingeklemmte Nerven, auch Sehnenverletzungen. Doch immer, wenn es seine Zeit erlaubt, wechselt der Handchirurg das Fach. Als Kriegschirurg ist er seit über 20 Jahren für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" an Orten im Einsatz, in denen Menschen Not leiden.

Von Thomas Liesen |
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Für Chirurg Stefan Krieger aus Düren ist der Lohn, den er in der humanitären Hilfe von seinen Patienten erhält, so groß, dass es ihn immer wieder in Krisengebiete zieht (Deutschlandradio / Thomas Liesen)
    Die Audio-Datei des Beitrags zum Nachhören
    Stefan Krieger operiert in seiner Praxis vor allem Hände: beim Skifahren gebrochene Finger, eingeklemmte Nerven, auch Sehnenverletzungen. Und dann, immer wenn es seine Zeit erlaubt, wechselt der Handchirurg das Fach. Er wird Kriegschirurg.
    Seit über 20 Jahren opfert er seine Freizeit für die humanitäre Hilfe in Krisengebieten, als Mitglied von Ärzte ohne Grenzen. 1995 ging es los – in Ruanda, Schauplatz eines Völkermordes.
    "Das war ein Einsatz, den ich nie mehr im Leben vergessen werde, weil die Notwendigkeit medizinischer Hilfe war so stark ausgeprägt, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen hatte.
    Ich war der einzige Chirurg in einem Krankenhaus, das für 400.000-500.000 Leute zuständig war und wir hatten jeden Tag Minenverletzungen, wir hatten alte Schussverletzungen, wir hatten Gewaltverletzungen jeder Art und die medizinische Hilfe war so erforderlich, das werde ich nie vergessen."
    Operieren mit Taschenlampe und Basisinstrumentar
    Seine Einsätze in Sri Lanka, im Kongo oder im Tschad – sie haben immer eines gemeinsam: heikle Arbeitsbedingungen.
    "Das heißt, wir müssen immer improvisieren, wir haben häufig Stromausfall, das heißt, dann müssen sie mit einer Taschenlampe operieren, sie haben natürlich nur Basisinstrumente, mit denen sie arbeiten, aber mit denen man hervorragende Ergebnisse erzielen kann im Team. Man muss immer im Team improvisieren. Allein, alleine kann man das nicht."
    Das Ziel seiner kriegschirurgischen Arbeit sieht Stefan Krieger in der sozialen Lebensrettung, wie er es nennt. Menschen sollen befähigt werden, ihren Alltag wieder selbständig zu bewältigen. Ein Fall aus seinem jüngsten Einsatz:
    "Ein Junge aus dem Gazastreifen mit einer ausgeprägten Verbrennungskontaktur der Hände, wie wir das nennen, das heißt, die Hände sind durch die Narben zusammengeschrumpft, der Junge kann die Hände nicht mehr bewegen. Der könnte niemals arbeiten, wäre völlig sozial abhängig von seiner gesamten sozialen Struktur im Gazastreifen, wo ohnehin alles schwierig ist.
    Und wir haben dann diesen Jungen in mehreren Operationsschritten behandelt, so dass der dann seine Finger wieder öffnen konnte und die Hand wieder bewegen konnte, natürlich mit Physiotherapie und erforderlichen Nachbehandlungen, aber die Eltern dieses Jungen sind uns weinend um den Hals gefallen, weil er die Hand wieder bewegen konnte."
    Hilfseinsätze werden immer gefährlicher
    Wegen solcher großen und kleinen Erfolge wurden die Einsätze der Ärzte ohne Grenzen von allen Kriegsparteien vor Ort immer als neutrale, humanitäre Hilfe respektiert. Doch diese Zeiten scheinen nun vorbei.
    "Wenn man die Konflikte sieht in der Elfenbeinküste oder in Sri Lanka, im Kongo oder im Tschad – da war es immer so: Es gab hauptsächlich zwei kriegsführende Parteien und wir waren von beiden geachtet. Das hat sich heutzutage vollständig geändert. Es gibt so viele kriegsführende Parteien innerhalb eines Konfliktes, so dass es für uns gar nicht mehr zu übersehen ist, wer steht wo?
    Und wir werden nicht mehr akzeptiert als medizinische Hilfsorganisation, die für alle eben gleich erforderliche Hilfe bietet, für alle Zivilisten, egal aus welcher Ethnie. Das führt unter anderem weitergehend dazu, dass unsere Krankenhäuser bombardiert werden und dass man uns unsere Arbeit nicht mehr machen lässt."
    Und für Kriegschirurgen wie ihn heißt das auch: Die Arbeit wird gefährlicher.
    "Ich habe, bis ich Vater wurde, jedes Krisengebiet akzeptiert als Kriegschirurg, ob das die westafrikanischen Kriege waren, die ostafrikanischen Kriege oder der Gazastreifen. Aber seit ich Vater bin, versuche ich doch ein bisschen mehr Einfluss zu nehmen, dass so die akuten Kriege, wie zur Zeit in Syrien oder Afghanistan, die versuche ich zu meiden, um auch mit meiner Familie einfach sagen zu können: Der Papa kommt wieder nach Hause."
    Seine Motivation: Schicksale positiv beeinflussen
    Dennoch ist für Stefan Krieger eines klar, dass er sich weiter für Ärzte ohne Grenzen engagieren wird, auch in Krisengebieten. Und das hat vor allem einen Grund:
    "Die Dankbarkeit ist enorm und immer dann, wenn es uns als Ärzte ohne Grenzen gelingt oder mir als Chirurg, jemandem wieder dahin zu verhelfen, dass er sein eigenes Leben wieder in die eigenen Hände nehmen kann und er wieder würdevoll durch sein eigenes Leben gehen kann, dann ist mein Mission erfüllt und unsere Mission erfüllt und dann mache ich das gerne und ich werde es immer wieder tun."