"Unser jüngster Sohn ist 2003 gestorben, sehr plötzlich. Und ich hab festgestellt, dass seine Freunde keine Anlaufstelle hatten. Wir wohnen jetzt auch im ländlichen Bereich, da war es schwierig Trauergruppen zu finden, aber die Freunde von Lars haben mir auch gesagt, dass sie nicht bereit wären, sich irgendwo in den Kreis zu setzen und über ihre Gefühle zu sprechen."
Romy Kohler wollte diese Lücke schließen. Sie suchte nach einem geeigneten Angebot, mit dem sie nicht nur den Freunden ihres verstorbenen Sohnes eine Unterstützungsmöglichkeit anbieten konnte, sondern auch anderen trauernden Jugendlichen.
Anonymität hilft, sich zu öffnen
Sie selbst arbeitet seit 1995 hauptberuflich im Hospizbereich, weshalb der Tod und das Sterben schon lange zu ihrem Alltag gehören. Nach aufwendigen Recherchen entwickelte sie während einer Fortbildung die Idee einen Chat zu gründen.
"Also für Jugendliche ist es vor allem deshalb gut, weil es anonym ist. Für Jugendliche ist es oft schwierig in der Situation, die sind ja oft so im Weg begriffen, in der Ablösung vom Elternhaus, im Selbstständig werden. Und durch so ein Ereignis wie den Todesfall, werden sie emotional wieder so zurück geworfen und so bedürftig und kommen in einen riesen Konflikt.
Eigentlich brauchen sie jetzt ganz viel Unterstützung, aber auf der anderen Seite wollen sie es ja gerade nicht. Und sie wollen natürlich auch nicht ihre Eltern zusätzlich belasten. Und es fällt ihnen in dem Alter schon schwer sich irgendwo hinzusetzen und diese Gefühle so anzusprechen."
Ehrenamtliche moderieren die Chats
"Es wird zum Beispiel oft erwähnt, dass viele sich gar nicht trauen, mit den Freunden darüber zu reden, weil sie Angst haben zurückgewiesen zu werden. Weil die Freunde sie halt nicht verstehen können in ihrer Trauer."
Beobachtet die 26-jährige Tanja Wiechert, eine der vier Chatbegleiterinnen, die ebenfalls ehrenamtlich montags abends zu Hause am Computer sitzen und mit Trost suchenden Jugendlichen chatten.
Jonas schreibt im Chat: "Es nervt, wenn man jeden Tag von derselben Person gefragt wird: Wie geht’s dir?"
Kim schreibt im Chat: "Es nervt, wenn man mit Seidenhandschuhen angefasst wird, als wenn man an der Realität jederzeit zerbricht."
"Ich bin einfach davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass auch junge Menschen Anlaufpunkte haben, weil ich finde, wir müssen diese Themen wieder näher an uns ranholen. Also es ist nicht so, dass uns nichts passieren kann. Es kann uns jeden Tag was passieren. Und ich finde wichtig, dass auch junge Menschen lernen auf andere zuzugehen, die dieses Schicksal haben.
Klare Kommunikationsregeln
Eine Grundregel im Chat lautet: Sich gegenseitig akzeptieren und nicht im Ton vergreifen. Tanja Wiechert:
"Der Großteil geht natürlich respektvoll miteinander um. Es gibt natürlich immer mal wieder schwarze Schafe, die dann sehr viel Raum einnehmen und sich tatsächlich nicht an die Regeln halten, in dem sie dann vielleicht auch unfreundlich gegenüber anderen Usern werden und dann haben wir aber auch klare Regeln, dass wir diese Leute dann ansprechen und wenn das dann so weiter geht, müssen diese dann auch den Chat verlassen."
Das gilt auch für diejenigen, die Zuspruch suchen, aber vielleicht gar keinen Menschen verloren haben. Romy Kohler.
"Da werden an verschiedenen Abenden verschiedene Geschichten erzählt. Und wir versuchen dann schon es auch ganz offen anzusprechen und aufzudecken: Hör mal, Du hast diese Woche das erzählt und letzte Woche was anderes, wie stehst du dazu?
Und es ist schon passiert, dass User sich darauf bekannt haben und weiter gekommen sind in einer anderen Art dann aber, aber viele sind einfach auch weggeblieben. Und daraus schließen wir, ja da hatten wir das richtige Gefühl."
Bislang engagieren sich ausschließlich junge Frauen als Chatbegleiterinnen. Sie bekommen eine eigene kleine Ausbildung, bevor sie mit der ehrenamtlichen Arbeit beginnen können.
Trauerarbeit mit kreativen Mitteln
"Es ist wirklich sehr hilfreich, wenn jemand so kreative Möglichkeiten hat. Die also malen, die schreiben, die Lieder verfassen sogar und deshalb fordern wir die User auf, wenn es was gibt, was Euch hilft, dann teilt es uns mit und möglicherweise ist es für andere auch ein Weg."
Laura schreibt: "Es weht der Wind ein Blatt vom Baum, von vielen Blättern eines. Das eine Blatt, man merkt es kaum, denn eines ist ja keines. Doch dieses eine Blatt allein war Teil von unserem Leben. Darum wird dieses Blatt allein uns immer wieder fehlen."
"Also manche haben wirklich eine Art, sich auszudrücken in Texten oder auch sie finden sich wieder in Texten. Und die dann zu teilen, das ist einfach sehr wertvoll, weil nicht jedem so dieser Zugang gegeben ist.
Es wird gesagt, jeder Mensch schreibt so sein Lebensbuch und wenn ein Mensch stirbt, dann wird dieses Buch nicht automatisch zu gemacht. Sondern alle, die ihn kannten und die sich an ihn erinnern, schreiben weiter an diesem Buch. Und das Buch wird eigentlich erst geschlossen, wenn niemand mehr lebt, der ihn kannte."