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Theologe Karl-Josef Kuschel
"Franziskus teilt Küngs Verständnis vom Papstamt“

Unter dem heutigen Papst wäre es nicht zu einem Bruch zwischen dem Theologen Hans Küng und der katholischen Kirche gekommen, sagte der Theologe Karl-Josef Kuschel im Dlf. Heute sei "ein anderer Umgang an der Tagesordnung“. Küng war 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen worden.

Karl-Josef Kuschel im Gespräch mit Andreas Main |
    Der Theologe Karl-Josef Kuschel war bis 2013 Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tübingen und Ko-Direktor des Instituts für ökumenische und interreligiöse Forschung.
    Der Theologe Karl-Josef Kuschel (Hajo Schumerus)
    Andreas Main: Herr Kuschel, Sie sind ein Freund und Schüler von Hans Küng. Ohne zu privat werden zu können oder zu wollen: Wie geht es Hans Küng heute? Was können Sie sagen?
    Karl-Josef Kuschel: Nun, er ist sehr dankbar, dass er seinen 90. Geburtstag noch bei einigermaßen stabilen Geisteskräften erleben kann. Denn er – das ist ja kein Geheimnis – leidet seit drei Jahren unter Parkinson, was natürlich seine Motorik sehr, sehr stark einschränkt und auch öffentliche Auftritte nicht mehr möglich macht. Aber er kann geistig noch sich betätigen.
    Er arbeitet an seiner Gesamtausgabe, die ja auf 24 Bände berechnet ist. Die kann er noch betreuen, und er kann auch noch kommunizieren und bekommt vor allen Dingen jetzt die Ehrungen zu seinem 90. Geburtstag noch voll bewusst mit. Und da ist er natürlich sehr, sehr dankbar.
    Küng contra Ratzinger
    Main: Schauen wir mal zurück. Was Hans Küng wohl bis heute prägt: Er hat teilgenommen an jenem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren, das die katholische Kirche für die Welt geöffnet hat. Er war damals Mitte 30, genau wie ein anderer berühmter Konzilstheologen, nämlich Joseph Ratzinger. Die beiden wurden damals als die "Teenager-Theologen" des Konzils bezeichnet. Ließe sich behaupten, dass sich dieses Konzil wie ein Leitfaden durch die ganze Arbeit von Hans Küng zieht?
    Kuschel: Ja, das lässt sich ohne weiteres behaupten. Und gerade der Vergleich mit Ratzinger ist höchst aufschlussreich. Denn beide haben in der Tat teilgenommen an diesem Aufbruch, haben ihn auch theologisch begleitet, durchdacht, programmatisch entwickelt. Auch die Schriften von Joseph Ratzinger aus Mitte der 60er-Jahre sind auf Reform hin orientiert. Was sie trennt sind die Konsequenzen daraus.
    Hans Küng ist der Meinung gewesen – eben seit Ende des Konzils 1965 –, dass das Konzil ein Anfang war, ein Durchbruch, ein Anfang, und dass die Reformagenda weitergehen müsse, konsequent zu Ende geführt werden müsse, etwa was Amtsfragen angeht oder die Ausstattung des Amtes, sprich Zölibat, Frauenordination, in Sachen Ökumene et cetera.
    Während Joseph Ratzinger der Meinung war und bis heute ist: Das Konzil ist sozusagen das Äußerste an Reform, was die katholische Kirche sich gestatten kann, wenn sie nicht ihre Identität verlieren will. Also muss man gegensteuern, also muss man sozusagen den Geist, der gewissermaßen ausgebrochen war, wieder domestizieren, wieder einschränken.
    Also, diese beiden Figuren – Ratzinger und Küng –, die ja beide hochqualifizierte Theologen sind, in denen spiegelt sich die Weise, wie man mit dem Zweiten Vatikanum nach dessen Ende sozusagen politisch und theologisch umgeht.
    "Symbolfiguren für ein jeweils anderes Kirchen-Verständnis"
    Main: Wie sich die beiden auseinanderentwickelt haben, das kann man als eine Tragödie betrachten. Man könnte aber auch sagen: Das ist ein Beleg für die Lebendigkeit katholischer Theologie.
    Kuschel: Ja. Und das Dilemma ist, wenn Sie so wollen: Wie weit darf Reform gehen, ohne dass eben eine Institution wie die katholische Kirche ihre Identität verliert? Oder muss man Identität ganz neu begründen? Hans Küng ist der Meinung: Das muss man aus biblischen Quellen ganz neu begründen. Man kann Vieles sozusagen preisgeben, was eben nur sozusagen zur Kultur gehört, zur Geschichte gehört, aber nicht zum Kern, nicht zum Wesen des Christlichen et cetera.
    Für mich war das immer ein ganz, ganz spannender Diskurs. Für einen selber war ja die entscheidende Frage: Was ist das Wesen des Katholischen, was der Kern des Christlichen et cetera? Darum ringen wir ja in den geistigen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und da sind die beiden Symbolfiguren für ein jeweils neues und anderes Verständnis von Kirche.
    "Küng wollte das Papsttum nicht abschaffen"
    Main: Dann kam es zum Bruch, weil Küng die Unfehlbarkeit des Papstes in Frage stellte. Das hat – zur Erklärung für die Nachgeborenen – damals Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre die Republik geradezu erschüttert und elektrisiert. Es ist spekulativ, aber ich frage Sie trotzdem: Würde Hans Küng für das, was er damals sagte, heute noch die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen?
    Kuschel: Unter dem jetzigen Papst vermutlich nicht. Denn Franziskus ist ja angetreten unter der klaren Maßgabe: Die Kirche ist offen für Reform; auch das Lehramt administriert nicht nur, sondern soll die Botschaft auch positiv verkünden. Ich glaube, heute wäre ein anderer Umgang mit jemandem wie Küng und seinen Thesen, die er damals vertreten hat, an der Tagesordnung.
    Denn Küng wollte ja nicht von vornherein einfach die katholische Kirche sozusagen schädigen. Er wollte auch das Papsttum nicht abschaffen, wie man ihm ja unterstellt hat, dem "Dogmenzertrümmerer" und "Papstamtzertrümmerer", all die ganzen Klischees, die im Umlauf waren. Sondern: Er wollte den "Petrusdienst", wie er das Papstamt nennt, auch für die Ökumene öffnen, also zu einem gesamtchristlichen Amt machen.
    Und ich glaube, dass Franziskus dieses Selbstverständnis teilt. Nein, wir leben, glaube ich, heute in einer anderen Zeit. Aber man sieht auch, dass ja selbst Franziskus auf Widerstand trifft von den Hardlinern. Die haben ihn ja sogar – eine Gruppe von Kardinälen, Bischöfen und Intellektuellen – der Häresie angeklagt, aufgrund seiner Einstellung zur Geschiedenen-Pastoral et cetera. Sie sehen: Diese Auseinandersetzung, also zwischen den Katholiken, die sozusagen das Dogma verteidigen und denjenigen, die eben einen anderen Reformansatz versuchen, die geht ja nach wie vor weiter.
    Der katholische Theologe Hans Küng (l) bedankt sich für die Laudatio seines Freundes Walter Jens zu seiner Verabschiedung von der Universität Tübingen im Jahr 1996.
    Der katholische Theologe Hans Küng (l) bedankt sich für die Laudatio seines Freundes Walter Jens zu seiner Verabschiedung von der Universität Tübingen im Jahr 1996. (picture alliance / dpa / Bernd Weisbrod)
    Main: Der Theologieprofessor Karl-Joseph Kuschel im Deutschlandfunk, in der Sendung "Tag für Tag – Aus Religion und Gesellschaft", zum 90. Geburtstag von Hans Küng, diesem theologischen Urgestein der katholischen Kirche. Herr Kuschel, viele unserer Hörer sind mit Küng groß geworden. Ich habe aber mal einen Test gemacht: Es gibt 20- bis 30-Jährige, durchaus gebildete junge Menschen, die haben den Namen Hans Küng noch nicht gehört. Erklären Sie denen mal, warum jener alte Mann, der 90 Jahre alt wird an diesem 19. März, warum der heute noch wichtig ist.
    Kuschel: Entscheidend ist ja nicht, ob man den Namen Hans Küng gehört hat oder ein Buch von ihm gelesen hat, sondern entscheidend ist, was dieser Mann durchdacht hat und welche Fragen er aufgeworfen hat, die auch für heutiges Christsein von entscheidender Bedeutung sind. Und da hat er zwei Fragen oder lassen Sie mich sagen, drei Fragen aufgenommen, bearbeitet, theologische Lösungsmodelle vorgestellt.
    Das ist erstens die Frage der Ökumene. Hans Küng gehört zu denjenigen katholischen Theologen, die theologisches Konzept dafür erarbeitet haben, das die Kirchenspaltung zwischen Katholiken und Protestanten endlich überwunden wird, dass wir zu einer gemeinsamen, eucharistischen, ökumenischen Kirche werden.
    Zweitens hat er Grundfragen des Christseins in einer säkularen Gesellschaft aufgeworfen. Immer wieder diese bohrende Frage: Was ist das spezifisch Christliche? Wenn ich Nachfolge Christi ernst nehme, was bedeutet das konkret von der biblischen Botschaft her und für die heutige Zeit?
    Und drittens die Auseinandersetzung mit den großen Weltreligionen: Christsein in der heutigen Weltgesellschaft kann man eigentlich nur glaubwürdig leben, wenn man auch religiöse Alternativen kennt und das Christsein klar profilieren kann im Ensemble eben der anderen Religionen. Und das setzt natürlich ein großes Know-how voraus, das setzt ein Studium, Vergleichbarkeit voraus et cetera.
    Und dafür diese drei Grundfragen – Ökumene, Christ sein in der säkularen Zeit und Auseinandersetzung mit den Weltreligionen –, das ist eine Agenda, die Hans Küng bearbeitet hat.
    "Eine andere Theologie"
    Main: Gab es Punkte, wo Sie sagen würden, da lag Küng falsch?
    Kuschel: So platt würde ich es nicht sagen – "falsch" –, sondern er hat eine andere Theologie, eine andere theologische Begründungsstruktur vorgetragen, von der er der Überzeugung ist, das ist innerhalb des Spektrums des akzeptabel Katholischen durchaus möglich. Er hat ja nie von sich behauptet, dass nur seine Positionen sozusagen die richtigen seien. Das haben ja nur die anderen behauptet, die gesagt haben, Küngs Theologie ist nicht mehr katholisch. Und insofern kann man diese Position ablehnen – Sie ist ja auch abgelehnt worden, in bestimmten Punkten, nicht in allen, aber in bestimmten Punkten – und insofern muss man sich dieser Auseinandersetzung stellen.
    "Theologen können von Küng Zeitsensibilität lernen"
    Main: Kürzlich ist Kardinal Lehmann gestorben. Joseph Ratzinger und Hans Küng sind sehr alt. Über kurz oder lang geht also eine Generation von uns, die theologisch und politisch sehr speziell war. Losgelöst von den Schlachten der Vergangenheit: Was können, sollten, müssten Theologengenerationen nach Hans Küng von ihm lernen?
    Kuschel: Sie können Zeitsensibilität lernen. Ich würde Zeitsensibilität abgrenzen von Zeitgeistreiterei. Was Hans Küng geleistet hat, war ein untrügliches Gespür für die Herausforderungen, die die jeweilige Zeit stellt. Eben Stichworte "Ökumene", Stichwort "Christsein in der säkularen Welt", "religiöser Pluralismus und die Weltreligionen". Also, er hat ein Gespür dafür, dass diese Fragen an der Zeit sind, dass das Menschen umtreibt, dass Menschen solche Fragen stellen und dass man sie theologisch konstruktiv beantworten muss. Das ist das Gegenteil von Zeitgeistreiterei, wo man Modeströmungen nachläuft, mal so, mal so. Und insofern ist das eine zeitsensible Theologie, die aber jeweils in einer neuen Zeit, die eben jetzt im dritten Jahrtausend sich wieder neu stellt. Aber modellhaft hat Hans Küng das für seine Epoche vorbildlich gemacht.
    Main: Und wir interessierten Normalmenschen, egal ob Jude, Christ, Muslim oder konfessionsfrei, was können wir von Küng lernen?
    Kuschel: Dass Religion und Ethos sich nicht ausschließen muss. Dass man Religion nicht auf Ethos reduzieren darf und dass Ethos nicht von der Religion abkoppeln darf. Gerade sein Projekt "Weltethos", das ja in den letzten 20 Jahren sein Profil weitgehend bestimmte, ist ja ein Plädoyer dafür, dass Glaubende und Nichtglaubende in ganz bestimmten ethischen Werten zusammengehen können.
    Die Theologie von Hans Küng reißt eben keine neuen Fronten auf, sondern ist eine Theologie, die möglichst Menschen mitnimmt und sagt: 'Wenn wir für die eine Welt Verantwortung tragen, dann kann man das aus religiösen Quellen begründen. Das kann man als Jude, als Muslim, als Hindu begründen, aber man kann es auch als Humanist begründen.'
    Also, die Theologie von Hans Küng ist eben sozusagen eine Brücken-Theologie, die möglichst viele Menschen mitnimmt, die guten Willens sind, und wenige ausgrenzt.
    Main: Karl-Josef Kuschel, Theologieprofessor und ein Freund und Schüler von Hans Küng. Herr Kuschel, danke Ihnen für Ihre Eindrücke und Ihre Einschätzung zu dieser Brücken-Theologie.
    Kuschel: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.