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Theologe über Ernährung als Religion
Essen gegen die Apokalypse

„Das was ich esse, bestimmt ganz stark, wie ich mich wahrnehme", sagte Theologe Kai Funkschmidt im Dlf. Manche Essenserscheinungen hätten sinnstiftende und damit religiöse Bezüge. Dazu gehörten auch apokalyptische Ängste und das Versprechen, Katastrophen durch das Essverhalten abwenden zu können.

Kai Funkschmidt im Gespräch mit Änne Seidel |
Eine Schale mit Quinoa
Schale mit Quinoa - Essen als Ersatz-Religion (VICUSCHKA | photocase.de)
Auf der Anuga in Köln, der großen Messe für Ernährung und Lebensmittel, werden die neuesten Essens-Trends vorgestellt - die traditionsreiche Messe trifft damit auf eins der großen Themen des Zeitgeists. Der Umgang mit Essen habe religiöse Züge angenommen, sagte Theologe Kai Funkschmidt im Deutschlandfunk. Essen sei im Vergleich zu früher zu einem Riesen-Thema geworden, jeder könne etwas dazu sagen und etwas damit verbinden. Bei manchen Essens-Erscheinungen habe es sinnstiftende Bezüge gewonnen, dies sei eine klassische Funktion von Religiösität: "Das was ich esse, bestimmt ganz stark, wie ich mich wahrnehme."
Religiöse Funktion des Essens
Essen habe deshalb in Teilen eine religiöse Funktion übernommen. Es würden Dinge versprochen, die eigentlich der Religion vorbehalten sind, so Funkschmidt. Von manchen Essenslehren, zum Beispiel Veganismus, werde behauptet, sie könnten Krankheiten heilen. Dazu gehöre auch die Vorstellung, man könnte durch eine bestimmte Ernährung die Probleme der Welt lösen: "Das Klima, oder etwa Kriege, indem man die Nahrungsmittelproduktion umstellt und damit der Grund für kriegerische Auseinandersetzungen wegfällt."
Eine Frau fotografiert ihre vegane Lunch bowl mit ihrem Smartphone.
Das neue Abendmahl
Kochen mit Freunden ist ein Event, die Küche ist das Herz der Wohnung. Gemeinsam eine Mahlzeit einzunehmen, ist im Alltag selten. Gerade deshalb wird das Tafeln in der Designer-Wohnküche wie ein Gottesdienst zelebriert.
Es gebe nichts, was so umfassend das erreichen will, was Religion erreichen will, wie das Essen, sagte Funkschmidt. Das Essen sei uns viel intimer und näher. "Es gibt in der Kulturgeschichte zwei Bereiche, die jede Kultur und jede Religion regele: Das Essen und die Sexualität. Dies sind die Bereiche, die unser körperliches Überleben und unser kulturelles Selbstverständnis am stärksten bestimmen." Das Essen habe deshalb eine stärkere sinnstiftende Funktion als andere identitätsstiftende Bereiche, etwa Mode.
Essenslehren und apokalyptische Ängste
Dennoch spricht Funkschmidt vom Essen als "Ersatz-Religion" oder "Schein-Religion", denn die in der Religion enthaltenen transzendentalen Züge fehlten in der Regel. Allerdings seien bestimmte Essenslehren mit apokalyptischen Ängsten verbunden: "Wenn wir uns nicht in dieser Weise verhalten, dann passiert die große Katastrophe. Hungerkatastrophe, Klimakatastrophe, Kriege um Nahrungsmittel und Wasser brechen aus und dann geht alles zu Ende."
Das Versprechen, dies durch eigenes Wohlverhalten abwenden zu können, habe wiederum einen religiösen Bezug. Dies gehe zum Teil so weit, dass etwa in der veganen Szene darüber spekuliert wird, dass veganes Essen, weil es gesund sei, Alterungsprozesse nicht nur aufhalten, sondern sogar umkehren könnte.