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Theologie im Netz
Vom Hörsaal aufs Handy

Der Verein "Worthaus" schlägt eine Brücke zwischen Universitäts-Theologie und Alltag. Die Vorträge über Gottesbilder, Jesus und das Jenseits gibt es als Podcast. Einmal im Jahr trifft man sich ganz analog zu einer Tagung. Dazu kommen auch viele, die sich von den Kirchen verabschiedet haben.

Von Eckhard Reimann |
Ein Paar Kopfhöhrer liegt auf einer Bibel
Die Auseinandersetzung mit der Bibel ist ein wichtiges Thema im "Worthaus". (imago / fotoimedia)
Einer der Hauptredner und die Stimme von "Worthaus" ist Siegfried Zimmer. Der emeritierte Theologie-Professor ist von Beginn an dabei. Viele lieben seine väterliche, schwäbische Stimme. Ein Anziehungspunkt auf jeder Tagung.
Zimmer erzählt: "Ein großer Teil ist hier, weil er sich in den Gemeinden chronisch unterfordert fühlt. Frischer Wind, ich möchte auch mal denken dürfen. Wir haben aber auch ganz säkulare Leute. Ein Atheist schreibt mir: Diese Vorträge sind spannend. Ich bleib auch Atheist, aber ich lerne viel dazu. Also, wir versuchen eine Mischung zu finden aus anspruchsvoller Qualität und Kurzweiligkeit und aber Allgemeinverständlichkeit. Das gibt´s nicht so oft."
Zwischen den Vorträgen gibt es literweise Kaffee, nach dem Koffein gibt wieder das Wort den Kick. Man schaut manchmal in müde, aber zufriedene Gesichter.
Verschiedene Stimmen aus dem Publikum: "Weil es meinen Alltag und mein Glaubensleben stark bereichert und ganz viel neue Ideen kommen, die Denkanstöße geben für Glaubensthemen." - "Es ist ne Bildungsveranstaltung und ich finde es ganz nett, dass hier Theologie populär aufbereitet wird." - "Mich zerreißt es innerlich fast, wenn ich das Althergebrachte von den Kirchen immer höre und jetzt diese neue Sichtweise auf die Bibel. Ja, das macht ziemliche Konflikte, mit dem Alltag, mit der Familie."
Streitthema Homosexualität
Konflikte gibt es auch mit evangelikal-fundamentalen Gruppen. Manche Worthaus-Beiträge führen zu heftigen Debatten im Internet, besonders ein Vortrag Siegfried Zimmers über Homosexualität:
"Es gibt Menschen, die ängstlich sind und unheimlich an einer Leine langgehen müssen. Wir überfordern die Hardliner und die Ängstlichen. Die kriegen vor uns Angst und wettern zum Teil ungeheuerlich. Sie können aber nichts daran ändern, dass mindestens die Hälfte ihrer Klientel uns gut findet."
"Worthaus" wurde vor neun Jahren gegründet. Inzwischen stehen rund 130 Vorträge im Internet und finden ihr Publikum. Manche werden mehrere zehntausendmal geklickt. Auch Dr. Heidrun Mader, Theologin an der Uni Heidelberg, wird dort bald zu finden sein. Sie möchte ihren Zuhörern bei der Suche nach Wahrheit und Spiritualität helfen.
"Ich glaube, dass man das für sich selber immer mal sortieren muss. Ich wünsche allen, dass dieser Sortierungsprozess eine Entdeckungsreise ist, die sehr konstruktiv ist, wo man sich selber auch noch besser kennenlernt und wo man natürlich auch merkt, dass Wissen und Glauben sich absolut nicht widersprechen."
Faszination für die Bibel
Eine feste Größe bei "Worthaus" ist Professor Thorsten Dietz, Theologe in Marburg. Er erntet in seinen Vorträgen viele Lacher, wenn er von Spaghetti-Monstern erzählt oder Vergleiche zum Krieg der Sterne zieht. Aber die Zuhörerinnen und Zuhörer spüren bei ihm die Faszination für die Bibel.
"Die Erfahrung von Verrat, von Untreue, von tiefster Enttäuschung, vom Schwachwerden, vom Aufhören des Glaubens. Das steht in den neutestamentlichen Texten zutiefst drin. Das heißt, die Bibel beschreibt die Menschen sehr realistisch. Fähig zu höchster Begeisterung und Erleuchtung und auch fähig zu niedrigstem Verrat. Ich glaube, Menschen müssen damit leben können, weil sie so sind. Und sie kriegen im christlichen Glauben ein Angebot, ihre Größe und ihr Elend gespiegelt zu bekommen im Licht der Barmherzigkeit."
Zehntausende Klicks im Internet, hunderte Menschen auf Tagungen. "Worthaus" gelingt es offenbar, Menschen neu für Theologie zu interessieren. Bleibt die Frage, ob die Kirchen etwas davon lernen können?
"Ich glaube, Kirche hat manchmal das Problem, dass sie zu liberal und zu konservativ gleichzeitig ist. Auf der einen Seite versucht man eine große Weite, die dann aber manchmal auch ins Beliebige kippt. Auf der anderen Seite sind die Strukturen oft sehr starr und sehr unflexibel. "Worthaus" – wir glauben, Kirche kann nicht mehr von oben nach unten geführt und geleitet werden. Es muss viel mehr Freiraum da sein, dass gute Ideen, dass kreative Ansätze Raum finden. Wir alle müssen Kirche heute neu erfinden. Das lässt sich nicht mehr führen wie eine Volkspartei, ansonsten geht das einen ähnlichen Weg."
Die "Worthäusler" wollen fleißig weitere Vorträge ins Netz stellen. Dahinter steht die Überzeugung, dass viele Menschen für Glaubensfragen grundsätzlich offen sind.