Immer weniger junge Menschen in Großbritannien schreiben sich für die Fächer Theologie und Religionswissenschaft ein. Seit dem Jahr 2012 ist die Zahl Jahr für Jahr zurückgegangen. In nur sieben Jahren reduzierte sie sich um ein Drittel. Bildungseinrichtungen mit langer Tradition, wie etwa das Heythrop College für Theologie konnten sich nicht mehr halten. Das College musste im vergangenen Jahr schließen - nach 400 Jahren Lehrtätigkeit.
Auch an anderen Instituten wurde wegen fehlender Bewerbungen der Rotstift angesetzt: Es wird zusammengelegt, gestrichen und geschlossen.
Die British Academy, die Gelehrtengesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften mit Sitz in London, hat die Entwicklungen in einem Bericht zusammengetragen. Der allgemeine Trend habe sich schon länger abzeichnet, sagt die emeritierte Theologie-Professorin Judith Lieu aus Cambridge.
"In den vergangenen sechs, sieben Jahren haben wir bereits gespürt, dass sich weniger Menschen bewerben, dass die führenden Universitäten weniger wettbewerbsfähig waren, als sie es sich gewünscht hätten. Die Zahlen zeigen jetzt allerdings einen drastischen Rückgang der Bewerbungen für Theologie und Religionswissenschaft."
Studieren ist teuer geworden
Judith Lieu hat den Forschungsschwerpunkt Neues Testament und ist auch mit dem deutschen Studiensystem vertraut. Sie hat eine Zeit lang als Gastprofessorin an der Universität Tübingen gearbeitet. Die institutionelle Trennung in evangelische und katholische Theologie sowie Religionswissenschaft, wie sie in Deutschland zumeist gehandhabt wird, war ihr damals fremd.
"In den theologischen Einrichtungen wird vor allem für den Pfarrdienst der Kirchen ausgebildet. Da gibt es in Deutschland die Unterscheidung zwischen katholisch und evangelisch, und jeweils eine enge Verbindung zur Kirche. In britischen Unis ist das anders: Bei uns finden sich Theologie und Religionswissenschaft in der Regel unter einem Dach, während die Religionswissenschaft in Deutschland oft eigenständig ist."
Und noch etwas ist anders in Großbritannien: Wer dort Pfarrer werden möchte, wählt nur sehr selten den Weg über die Universität. Denn die religiösen Träger bieten eigene konfessionsgebundene Ausbildungen an.
Im Universitätsfach Theologie und Religionswissenschaft hingegen wird zu allen Religionen gelehrt und gearbeitet. Im selben Studiengang können die Studenten etwa zu Judentum, Islam oder Christentum forschen – nur ist das eben immer weniger gefragt.
Der Bericht der British Academy sucht nach Erklärungen für den Rückgang der Bewerbungen: Da spielt das Geld eine nicht unwesentliche Rolle. In England fallen fürs Studium Gebühren an. Lagen diese vor 2012 bei knapp 3.300 Pfund jährlich, mussten Bachelor-Studierende danach fast das Dreifache aufbringen: Umgerechnet gut 10.000 Euro jährlich kostet das Bachelor-Studium seither:
"Zu diesem Zeitpunkt gab es in allen Geisteswissenschaften einen erheblichen Rückgang. Die Schulabgänger haben auf die Gebührenerhöhung reagiert, und auch die Eltern haben darauf reagiert. Sie mussten sich genau überlegen, ob sie diese Summe jemals zurückzahlen können. Die meisten Fächer haben sich seither erholt, aber Theologie und Religionswissenschaft haben sich nicht erholt."
Wissenschaftler schlagen Alarm
Erschwerend kommt laut dem Bericht hinzu, dass es inzwischen weniger Stipendien gibt, die Studentinnen und Studenten finanziell unterstützen. Und noch eine Entwicklung in der britischen Studienlandschaft zeigt Wirkung: Es werden immer mehr interdisziplinäre Kurse angeboten: Solche Hybrid-Fächer heißen dann zum Beispiel "Religion, Ethik und Philosophie." Die Studienbeginner halten sich damit viele Optionen für ein anschließendes vertiefendes Masterstudium offen.
"Es ist gut, dass Religion von Historikern, von Soziologen und Ethnologen ernst genommen wird. Aber den Studenten, die diesen Weg einschlagen, fehlen die fachspezifischen Fähigkeiten, die sie in Theologie und Religionswissenschaft erlernen würden - zum Beispiel Sprachen. Das ist auf lange Sicht nicht gut für das Fach."
Die British Academy schlägt deshalb Alarm: Dass dieses Wissen abnimmt oder gar verschwindet, sei auch gesellschaftlich relevant – und problematisch. Denn aktuelle Debatten berühren oft auch Glaubensfragen. Religiöse Themen sind präsenter geworden. Das hätte man vor einigen Jahrzehnten noch anders vorhergesagt, meint auch Judith Lieu. Aber Religion ist für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer Identität. Leider äußere sich das auch in hässlicher Form: in religiösem Extremismus. Ihrer Ansicht nach brauchen daher nicht nur die Glaubensgemeinschaften selbst ein gutes Verständnis der religiösen Zusammenhänge, sondern auch Politik, Wirtschaft und Medien.
"Alle sollten verstehen, warum sich eine religiöse Schrift so auslegen lässt, dass sich einige zu absolut inakzeptablem Verhalten ermächtigt fühlen. Aber alle sollten auch verstehen, dass dies nicht die einzige Auslegung ist und dass der religiöse Text deswegen nicht an sich gefährlich ist."
"Es fehlt an religiöser Allgemeinbildung"
Aber auch bei weniger extremen Beispielen zeigt sich nach Ansicht der Professorin ein Wissensdefizit. Auch in Literatur, Musik oder Kunst würden immer weniger Menschen die religiösen Bezüge erkennen.
"Es fehlt insgesamt an religiöser Allgemeinbildung. Das wurde lange als selbstverständlich betrachtet. Ist es aber nicht mehr."
Judith Lieu ist inzwischen im Ruhestand. Sie hat ihr Leben dem Studium der Religion gewidmet, da ist es ihr natürlich ein Anliegen, dass dies auch weiterhin an den Universitäten geschieht. Der aktuelle Bericht der British Academy deutet allerdings eher darauf hin, dass Theologie und Religionswissenschaft in Großbritannien bald weitgehend aussterben könnten.