Archiv

Therapie mit Antikörpern
Künstlicher Schub fürs Immunsystem

US-Präsident Donald Trump hatte bereits im August eine Notfallgenehmigung für eine COVID-19-Therapie erteilen lassen: Patienten erhalten dabei das Blutplasma von Menschen, die eine Infektion bereits überstanden haben. Der Nutzen solch einer Behandlung ist umstritten. Und ein ähnlicher Ansatz könnte sogar besser helfen.

Von Volkart Wildermuth |
Zwei Hände in medizinischen Handschuhen halten einen Blutgruppentest.
Vor der Blutplasmaspende wird ein Blutgruppentest durchgeführt. (imago images / ITAR-TASS / Vladimir Gerdo)
Die Zahl der SARS-CoV-2 Infektionen steigt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch wieder mehr Menschen an COVID-19 erkranken, und damit rücken die Therapien wieder in den Fokus. Zum Beispiel mit künstlich hergestellten Antikörpern, die das neuartige Coronavirus am Eindringen in Zellen hindern könnten. Erprobt wird ja auch die Plasmatherapie, das heißt, die Infusion des Blutplasmas von Menschen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 überstanden haben.

Wie funktionieren denn diese unterschiedlichen Verfahren?

Bei der Antikörpertherapie borgt man sich im Grunde das Immunsystem eines anderen Menschen aus. Normalerweise verläuft eine Infektion nach immer gleichem Schema: das Virus vermehrt sich im Körper, nach einer Weile bildet der die passenden Antikörper. Die bekommen dann das Virus in den Griff, und die Person wird gesund. Aber natürlich sind weiterhin Antikörper im Blut.
Es gibt zurzeit weltweit und auch in Deutschland viele Studien, in denen Menschen, die COVID-19 überstanden haben, Blut abgenommen wird. Aus dem Blut entfernt man die Zellen, denn die Antikörper sind im Plasma. Und dieses Plasma kann man dann einem akut Kranken geben. Die Kompatibilität der Blutgruppen muss natürlich beachtet werden, aber theoretisch können die Antikörper des einen Menschen einem anderen Patienten helfen, ebenfalls gesund zu werden. Dieses Konzept nennt sich passive Immunisierung. Es wurde schon bei der Spanischen Grippe probiert, und es scheint gewirkt zu haben.

Wirkt der Therapie-Ansatz auch bei COVID-19?

Das ist die große Frage. Das Konzept ist einfach. Viele Kliniken haben allerdings einfach mit der Behandlung begonnen, ohne sich um Studiendesign oder Kontrollgruppen zu bemühen. Das erschwert klare Aussagen zur Wirksamkeit. In den USA hat die Mayo-Klinik die verfügbaren Daten ausgewertet, immerhin von über 70.000 Patienten, und da stellt sich heraus: die Plasmatherapie ist gut verträglich und Patienten, die schnell behandelt wurden und die Spenden mit besonders vielen Antikörpern bekommen haben, hatten bessere Überlebenschancen. Das war dann auch für die Zulassungsbehörde FDA und für Donald Trump der Grund, hier eine Notfallzulassung zu ermöglichen.
Ein eindeutiger Nachweis der Wirkung ist das aber noch nicht. Deshalb laufen mehrere Studien: in Deutschland die CAPSID-Studie, in England der Recovery Trial, aber es dürfte noch Monate dauern, bis Ergebnisse vorliegen. Eine ähnliche Studie aus den Niederlanden wurde abgebrochen. Denn dabei hat sich herausgestellt, dass die Patienten, wenn sie ins Krankenhaus kamen, sowieso schon selbst Antikörper gebildet hatten. Unterm Strich ist die Plasmatherapie einfach umzusetzen, sie ist sicher, ihr Nutzen aber noch ungewiss.

Kann man den Patienten auch hoch konzentrierte Lösungen von Antikörpern verabreichen, die im Labor gezielt hergestellt wurden?

Daran arbeiten eine ganze Reihe von Pharmafirmen. Sie nehmen Blutproben oder auch Biobanken mit menschlichen Antikörpern und prüfen, welcher davon am effektivsten gegen SARS-CoV-2 wirkt. Und diese Superantikörper kann man dann per Gentechnik vermehren und wie ein Medikament einsetzen. Monoklonale Antikörper nennt man das, weil es sich eben nicht um eine Mischung, sondern einen einzigen Antikörper handelt. Solche monoklonalen Antikörper werden heute breit eingesetzt gegen Krebs, gegen Rheuma und so weiter, das ist also eine etablierte Technik.
Am weitesten fortgeschritten sind die Antikörper von Eli Lilly und Regeneron. Es gibt aber noch weitere. Bei Eli Lilly läuft schon eine Phase-III-Studie bei Patienten mit milden bis moderaten Symptomen. Die Firma hat gesagt, dass sechs Prozent der Kontrollgruppe letztlich ins Krankenhaus mussten, aber nur knapp zwei Prozent der Patienten, die den Antikörper bekommen hatten. Da kann man sagen, das Risiko wurde um zwei Drittel gesenkt, das klingt gut. Das Risiko lag sowieso niedrig und man muss sehr viele Menschen behandeln, um einem zu helfen. Also ein Wundermittel ist das in jedem Fall nicht.
Regeneron mischt gleich zwei monoklonale Antikörper, damit das Virus keine Chance hat, resistent zu werden. Da hat gerade eine große Studie im Rahmen des britischen Recovery Trials begonnen. Da bekommen zusätzlich auch Menschen, die mit einem Patienten zusammenwohnen, die monoklonalen Antikörper, um zu sehen, ob sie vielleicht auch vor einer Infektion schützen. Und eine ganze Reihe weitere Unternehmen bereitet Studien zu Antikörpern vor. Insgesamt gibt es rund 70 Projekte.

Ist zu erwarten, dass sie in Zukunft die COVID-19-Therapie entscheidend verbessern?

Es handelt sich um aufwändige Therapien. Die Antikörper müssen gespritzt werden, und zwar mehrmals. Rheumapatienten machen das jeden Tag über Jahre. Covid-19-Patienten müssten das wohl nur für ein oder zwei Wochen machen.
In jedem Fall ist es wichtig, früh mit der Therapie zu beginnen, um etwa eine Einweisung ins Krankenhaus oder die Intensivstation zu vermeiden. Wenn die Krankheit wirklich schwer verläuft, dann bringt die Antikörpertherapie nichts, denn dann ist weniger das Virus selbst das Problem, als vielmehr die überschießende Entzündungsreaktion des Körpers. Antikörper können ein weiteres Therapieelement werden, falls die Studien positiv verlaufen.
Eine entscheidende Hürde ist hier aber der Preis. Antikörper müssen in spezialisierten biotechnologischen Anlagen produziert werden. Sie gehören daher zu den wirklich teuren Medikamenten. Sie zielen aber auf einen breiten Einsatz, eben bei Patienten mit eher milden Symptomen und auf Menschen, die ein hohes Ansteckungsrisiko haben. Damit das funktioniert, müssten die Unternehmen sie vergleichsweise billig anbieten.

Ist denn die Plasmatherapie teuer?

Nein, es ist vergleichsweise preisgünstig, Blut abzunehmen und Plasma zu gewinnen. Dafür gibt es ja auch schon eine Infrastruktur. Das Plasma muss aber per Infusion gegeben werden, da ist es nicht mit einer Spritze getan, von daher ist das eher etwas für Patienten, die schon im Krankenhaus sind. Und da ist nach wie vor unklar, ob die zu diesem Zeitpunkt noch profitieren.
Eine Alternative wäre der Einsatz von Antikörpern per Gentherapie. Da würde man nicht den Antikörper selbst bekommen, sondern die passende genetische Bauanleitung. Eine Spritze würde reichen, dann übernehmen die Muskelzellen und produzieren den Antikörper. Das sollte billiger sein und würde auch eine längere Wirksamkeit ermöglichen. Dieses Konzept der DNA-kodierten Antikörper ist noch neu; es gibt erste Studien zu Zika und der Influenza. Unterm Strich könnten Antikörper ein Element unter vielen für die COVID-19-Therapie werden, vor allem in der Frühphase der Erkrankungen, um schweren Verläufen vorzubeugen.