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Therapiemodelle für Häftlinge
Gegen die Drogensucht in britischen Gefängnissen

Nirgendwo sonst in der EU sterben so viele Menschen an den Folgen von Drogenkonsum wie in Großbritannien. Besonders gefährdet sind Inhaftierte. Die Gefängnisse versuchen, ihre Insassen vor den sogenannten "bird killers" zu schützen. Das gelingt aber nicht immer.

Von Timo Stukenberg |
Blick in eine Gefägniszelle
Hinter Gittern ist die Versuchung groß, die Zeit mit Drogenkonsum totzuschlagen (picture alliance / PA Wire / Paul Faith)
Ein unscheinbares Reihenhaus in einer Seitenstraße im Londoner Süden. Hier liegt das Lorraine Hewitt House, eine Art Gemeindezentrum für Suchtkranke. Die Nutzerinnen und Nutzer können hier saubere Nadeln, Beratung oder Unterstützung auf der Suche nach einer Unterkunft bekommen. Man wolle den Menschen hier auf Augenhöhe begegnen, sagt der Psychiater Mike Kelleher.
"Das ist Martens Zimmer, einer unserer Klienten. Alles, was ich und was wir hier tun, machen wir mit unseren Klienten zusammen."
Die Klinik will im Stadtteil die erste Anlaufstelle für Menschen sein, die mit einem Drogenproblem aus dem Gefängnis entlassen werden. Die Zeit nach der Entlassung ist besonders gefährlich für sie. Studien zeigen, dass Drogenabhängige in den Wochen nach der Entlassung einem besonders hohen Risiko für eine Überdosis ausgesetzt sind.
"Ein Ziel ist es, die Leute vom Gefängnistor abzuholen und in unser Programm aufzunehmen, damit sie ihre Behandlung fortsetzen können."
Drogen heißen in britischen Gefängnissen "bird killer"
Laut Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht sterben in keinem anderen Land in Europa so viele Menschen an den Folgen von Drogenkonsum wie im Vereinigten Königreich. Gefangene gehören hier wie andernorts auch zur Hochrisikogruppe. Im englischen Gefängnis-Jargon gibt es für Drogen sogar ein eigenes Wort, "bird killer", sagt Mike Kelleher.
"Bird, also Vogel, steht im englischen Gefängnis-Slang für die Zeit, die man absitzen muss. Die Drogen killen den Vogel sozusagen, weil man betäubt ist in der Zeit."
In manchen Gefängnissen verbringen die Inhaftierten fast den ganzen Tag in ihren Zellen. Einige Einrichtungen sind überfüllt und gleichzeitig personell unterbesetzt. Angriffe unter Gefangenen und auf Bedienstete sind an der Tagesordnung. Die Zahl der Suizide und Selbstverletzungen hinter Gittern erreichte in den vergangenen Jahren einen Rekord nach dem nächsten. Das alles belegen offizielle Berichte des Justizministeriums und des Gefängnis-Inspekteurs.
Verantwortlich ist demnach vor allem die Drogensucht der Gefangenen und die organisierte Kriminalität, die Drogen in die Gefängnisse bringt und dort vertreibt.
Dieser Beitrag ist Teil der Reportagereihe "Europa im Rausch – Den Drogen auf der Spur".
Nicht nur Heroin bereitet den Verantwortlichen in den Gefängnissen seit Jahren schon Sorgen, sondern auch sogenannte Neue Psychoaktive Substanzen. Das bekannteste Beispiel dafür ist Spice. Dabei handelt es sich lediglich um einen Markennamen, eine von vielen Erscheinungsformen, in denen synthetische Cannabinoide auftauchen. Die hätten in ihrer Wirkung absolut nichts mit dem herkömmlichen Cannabis gemein, sagt Andrea Albutt. Sie ist Präsidentin des Berufsverbands der Gefängnisdirektorinnen und –direktoren.
"Selbst sehr vernünftige Gefangene, die die Regeln befolgen und keine Probleme verursachen, können sich unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen in die aggressivsten, gefährlichsten, schwierigsten Gefangenen verwandeln, die man sich vorstellen kann."
"Man unterdrückt eine Substanz, eine andere taucht auf"
Viele der Gefangenen auf Spice müssten sofort ins Krankenhaus gebracht werden, sagt Albutt. Sie fallen ins Koma oder ihnen droht ein Herzstillstand.
"In manchen Gefängnissen schicken wir täglich drei, vier, fünf Menschen ins Krankenhaus. Und da müssen jedes Mal zwei oder drei Bedienstete mitgehen, weil die so gewalttätig sind oder weil der Effekt so stark ist."
Im Ergebnis ist noch weniger Personal in der Einrichtung und die Einschlusszeiten werden länger – was wiederum die Nachfrage nach Drogen, dem sogenannten bird killer, erhöht.
Diesen Teufelskreis versucht die britische Regierung durch neue Sicherheitsmaßnahmen zu verhindern. Angestellte müssen sich seit Neustem zum Beispiel am Eingang der Anstalt von einem Bodyscanner abtasten lassen, ähnlich wie am Flughafen. Man wolle in erster Linie den Drogennachschub in die Gefängnisse stoppen, sagt Andrea Albutt. Doch das allein reicht nicht.
Mann mit Paket vor Gittertür in einem britischen Gefängnis
Das Personal versucht unter anderem mit Körperscannern den Drogennachschub in Gefängnisse zu stoppen (picture alliance / PA Wire / Anthony Devlin)
"Wenn man den Nachschub an Drogen stoppt, destabilisiert das das Gefängnis erst mal, weil die Leute Drogen brauchen. Man braucht also Behandlungsprogramme. Wir haben so etwas in allen Gefängnissen bis zu einem gewissen Grad, aber wahrscheinlich sind die nicht gut genug."
Niamh Eastwood ist Geschäftsführerin von Release, einer Stiftung, die sich für die Entkriminalisierung von Drogen einsetzt. Dass schärfere Sicherheitsmaßnahmen nicht der richtige Weg seien, zeige das Beispiel der relativ neuen Droge Spice.
"Wir nennen es den Ballon-Effekt. Man unterdrückt die eine Substanz und eine andere taucht auf. Und das hat ganz perverse Folgen. Gefängnisse haben die Insassen traditionell auf Heroin getestet, und um nicht erwischt zu werden, sind die dann auf Spice umgestiegen."
Tories fahren harte Linie im Kampf gegen Drogen
Die regierenden Tories sind nach wie vor entschlossen, eine harte Linie im Kampf gegen Drogen zu fahren. Theresa May, Boris Johnsons Vorgängerin als Premierministerin, sagte zuletzt im November 2017 bei einer Fragestunde im Unterhaus:
"Es ist richtig, dass wir den Krieg gegen Drogen weiterkämpfen."
Wie ernst es das Spitzenpersonal der Tories persönlich mit der Drogengesetzgebung nimmt, hat sich zuletzt im Rennen um die Nachfolge Theresa Mays gezeigt. Ganze acht der elf Kandidatinnen und Kandidaten räumten ein, selbst schon einmal illegale Drogen genommen zu haben. Darunter war auch Premierminister Boris Johnson und der ehemalige Justizminister Michael Gove, der zugab, in der Vergangenheit mehrfach gekokst zu haben.