Bettina Klein: Er war ein begeisterter Wahlkämpfer für die SPD, der Schriftsteller Günter Grass. Dies würden nach seinen Äußerungen zu Israel nun einige in der Partei nicht mehr gerne sehen.
Ich habe vor wenigen Minuten mit Wolfgang Thierse gesprochen, Vizepräsident des Deutschen Bundestages von der SPD, und ich habe ihn gefragt: Sollte Günter Grass noch Wahlkampf für seine Partei machen?
Wolfgang Thierse: Ach, ich halte nichts davon, dass die SPD nun gewissermaßen wie der Staat Israel Günter Grass zur Persona non grata erklärt und ihm eine Art Einreiseverbot erteilt. Nein, man sollte mit ihm in der Sache streiten, seine Urteile kritisieren, aber ihn nicht als Person diskreditieren.
Klein: Wäre es denn hilfreich, wenn Günter Grass im kommenden Jahr 2013 Wahlkampf machen würde für die SPD?
Thierse: Ich weiß gar nicht, ob sich die Frage wirklich stellt, denn Günter Grass war nicht Mitglied der SPD, er ist es meines Wissens jetzt auch nicht, er hat nie alle Positionen der SPD vertreten, sondern er war ihr in kritischer Solidarität verbunden. Und er ist nun 85, ob er weiter Wahlkampf macht, ich glaube nicht, dass sich die Frage wirklich stellt, und deswegen halte ich solche Art voreiliger Erklärungen auch nicht für sonderlich sinnvoll.
Klein: Aber er hat intensiv ja Wahlkampf betrieben für die SPD?
Thierse: Ja.
Klein: Muss Ihre Partei deshalb jetzt so etwas wie eine Art Grundsolidarität mit ihrem alten Fahrensmann gelten lassen?
Thierse: Nein, darum geht es, glaube ich, gar nicht. Denn was ist passiert? Günter Grass hat vor einem israelischen Atomschlag gegen den Iran gewarnt. Darin drückt er, wie ich wahrnehme in vielen Gesprächen, eine in Deutschland durchaus verbreitete Angst aus. Aber er hat es mit falschen Argumenten und in teilweise sehr unglücklichen Formulierungen getan und mit einem sehr einseitigen Blick. Deshalb kann und soll man ihn in seinem Urteil, in seinen Argumenten widersprechen, ihn in der Sache kritisieren, aber ich halte es für fatal, aus Günter Grass einen Antisemiten zu machen und zu behaupten, aus ihm spreche noch nach 60 Jahren der Waffen-SS-Mann, der er als Jüngling nicht ganz freiwillig gewesen ist. Also ich bin sehr dafür, dass wir politisch streiten, aber nicht dafür, dass wir jemand zum Antisemiten stempeln, nur weil er eine kritisierenswerte Ansicht vertreten hat.
Klein: Das schauen wir uns vielleicht gleich noch an. - Mal zu den Inhalten, Herr Thierse. Israel gefährdet den Weltfrieden und nicht der Iran, das ist eine der Thesen in dem Gedicht. Stimmt das?
Thierse: Ganz so einfach ist selbst das Gedicht nicht, oder jedenfalls das ist ja eine Meinungsäußerung, über die Gedichtsqualität will ich jetzt gar nicht reden. Nein, das ist der einseitige Blick, den ich auch kritisiere. Aber es ist sozusagen aus der Besorgnis heraus, Deutschland liefert ein U-Boot nach Israel und ist damit mit von der Partie.
Was hier auch sich ausdrückt bei Günter Grass ist eine tief gehende deutsche Befangenheit gegenüber Israel. Die ist so durch unsere furchtbare Geschichte. Und mehr noch: Es gibt eine besondere politisch-moralische Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel und seinem Existenzrecht. Das muss man positiv festhalten, auch in der Debatte, in der Auseinandersetzung mit Günter Grass.
Klein: Hätte sein Verantwortungsbewusstsein als eine Person des öffentlichen Lebens, die sich ja immer wieder über Jahrzehnte eingemischt hat, auch politisch in Deutschland, ihm gebieten müssen, sich nicht so einseitig zu äußern, also Israel als eine Bedrohung für den Weltfrieden darzustellen, ohne auch nur zu erwähnen, dass es ein anderes Land ist, das ganz im Gegenteil Israel von der Weltkarte tilgen will, und zwar der Iran?
Thierse: Das ist Teil der notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit Günter Grass, dass er hier die Gewichte falsch verteilt. Nur Israel ist in seinem Existenzrecht bedroht, nicht der Iran. Das ist ganz eindeutig festzuhalten.
Klein: Wie problematisch ist es, Herr Thierse, wenn sich eine Figur wie Grass in dieser Form äußert, die über Jahrzehnte ja als moralische Instanz galt und jetzt in einem so hoch politischen und gleichzeitig auch sehr sensiblen Themenbereich in gewisser Weise daneben liegt, wie Sie auch zugestehen?
Thierse: Es gibt auf der Welt keine moralische Instanz, die gefeit ist vor Irrtum, vor Fehlurteilen. Das muss man festhalten. Aber es ist etwas anderes, wenn man ihn deswegen zum Antisemiten macht. Ich habe gestern oder vorgestern einem Interview mit Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter, zugehört. Der hat die Freiheit, erstens seine eigene Regierung scharf zu kritisieren für das Einreiseverbot. Das hält er für hysterisch, populistisch und falsch. Er widerspricht Grass in der Sache, also in dessen Urteil, aber er nennt ihn ausdrücklich keinen Antisemiten, und ich finde, das ist ein Modell, das ist ein Beispiel, wie wir auch in Deutschland die Auseinandersetzung führen könnten und führen sollten.
Klein: Er hat den jüdischen Staat Israel zur Weltbedrohung erklärt und dafür, wie Günter Grass ja selbst festgestellt hat, viel Zuspruch aus der deutschen Bevölkerung bekommen. Müssen wir das auch Mal auf uns wirken lassen?
Thierse: Darin wird eben etwas, was mich sehr beschäftigt, deutlich. Wenn man Günter Grass wegen dieser, ich wiederhole, einseitigen kritischen Position zum Antisemiten macht, dann ist das fatal aus einem doppelten Grund: Erstens, weil der Eindruck entsteht, Deutsche, höheren oder mittleren Alters, könnten dem Antisemitismus niemals entrinnen, sie würden immer in ihn zurückverfallen, und zweitens und noch viel wichtiger, weil ein gefährliches falsches Vorurteil bestätigt wird, nämlich dass Kritik an Israel und seiner Politik ganz schnell des Antisemitismus verdächtig ist. So liest man ja viele Reaktionen im Internet, und das finde ich ganz falsch, denn so sehr die besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber dem Existenzrecht des Staates Israel gilt, so sehr gilt doch auch, dass unter Freunden kritische Debatten, konkrete Politik möglich ist. Hillary Clinton, die amerikanische Außenministerin, warnt auch Israel vor einem Präventivschlag. Vielleicht muss Deutschland sich in besonderer Weise zurückhalten, aber es darf nicht das Vorurteil bestätigt werden, dass des Antisemitismus verdächtig ist, wer in kritischer, scharfer Weise sich mit israelischer Politik auseinandersetzt. Das wäre, denke ich, falsch, aber das richtet sich jetzt gegen mancherlei Reaktionen auf Günter Grass, die von einer fundamentalen Kritik sind, eben so, dass da wiederum der Antisemitismus der älteren Deutschen sichtbar wird, der alte SS-Mann wiederkehrt et cetera. Da, finde ich, kehren wir zur politischen Auseinandersetzung zurück und nicht zur freudianischen Tiefenanalyse.
Klein: Nach meinem Eindruck, Herr Thierse, wird ja sehr viel die israelische Regierungspolitik kritisiert, in Kommentaren, auch in Interviews, ohne dass man dafür als antisemitisch beschimpft wird. Geht es möglicherweise gar nicht um die Frage, ob das, diese Kritik, antisemitisch sei, sondern um diese Frage auf einer anderen Ebene, nämlich hat er einen antisemitischen Unterton erkennen lassen, als er eben so tat, als müssten wir uns gegen ein von Juden oder dem jüdischen Staat Israel ausgehendes Tabu zur Wehr setzen?
Thierse: Nein. Ich habe ja gerade gesagt, dass ich es für ein gefährliches Vorurteil halte, dass man in Deutschland sich nicht kritisch mit der israelischen Politik befassen dürfe, und dieses Vorurteil wird eher bestätigt, wenn man in einer Schärfe auf Günter Grass reagiert und ihn des Antisemitismus verdächtigt und der alten SS-Mentalität, sondern mein Wunsch ist, dass wir sozusagen die politische Debatte führen, die sich mit den Aussagen von Günter Grass beschäftigt, was ist daran falsch und einseitig, ich habe das vorhin ausdrücklich gesagt, die Bewertung von Iran und Israel ist auf fatale Weise einseitig, und nicht sozusagen den Eindruck erweckt, hier ist nun ein großer alter Mann zu seinen Anfängen zurückgekehrt. Wer so öffentlich darauf reagiert, sage ich, der erzeugt eine Antisemitismusfalle, aus der dann die ältere und mittlere Generation gar nicht mehr entrinnen kann, und das fände ich falsch.
Klein: Noch abschließend, Wolfgang Thierse: Günter Grass selbst hat der Presse in Deutschland den Vorwurf gemacht, sie sei gleichgeschaltet. Das ist insofern nicht ganz nachvollziehbar, als es ja auch durchaus Kommentare und Stellungnahmen gegeben hat, die ihn verteidigt haben und die ihn ausdrücklich in dem Urteil, was Sie jetzt auch gerade etwas kritisiert haben, bestärkt haben. Ist es vielleicht erstaunlich, dass man das eigentlich gelassen hinnimmt, dass die deutsche Presse als gleichgeschaltet bezeichnet wird - ein Ausdruck, den wir wirklich aus dem Naziregime kennen?
Thierse: Also hier hat einer reagiert, der getroffen ist. Im Übrigen: Auch da ärgere ich mich über diese Bemerkung, aber erinnere mich gut daran, dass er nicht der Erste ist, der der Presse so etwas vorgeworfen hat. Punktum!
Klein: Wolfgang Thierse, Bundestags-Vizepräsident (SPD), heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich habe vor wenigen Minuten mit Wolfgang Thierse gesprochen, Vizepräsident des Deutschen Bundestages von der SPD, und ich habe ihn gefragt: Sollte Günter Grass noch Wahlkampf für seine Partei machen?
Wolfgang Thierse: Ach, ich halte nichts davon, dass die SPD nun gewissermaßen wie der Staat Israel Günter Grass zur Persona non grata erklärt und ihm eine Art Einreiseverbot erteilt. Nein, man sollte mit ihm in der Sache streiten, seine Urteile kritisieren, aber ihn nicht als Person diskreditieren.
Klein: Wäre es denn hilfreich, wenn Günter Grass im kommenden Jahr 2013 Wahlkampf machen würde für die SPD?
Thierse: Ich weiß gar nicht, ob sich die Frage wirklich stellt, denn Günter Grass war nicht Mitglied der SPD, er ist es meines Wissens jetzt auch nicht, er hat nie alle Positionen der SPD vertreten, sondern er war ihr in kritischer Solidarität verbunden. Und er ist nun 85, ob er weiter Wahlkampf macht, ich glaube nicht, dass sich die Frage wirklich stellt, und deswegen halte ich solche Art voreiliger Erklärungen auch nicht für sonderlich sinnvoll.
Klein: Aber er hat intensiv ja Wahlkampf betrieben für die SPD?
Thierse: Ja.
Klein: Muss Ihre Partei deshalb jetzt so etwas wie eine Art Grundsolidarität mit ihrem alten Fahrensmann gelten lassen?
Thierse: Nein, darum geht es, glaube ich, gar nicht. Denn was ist passiert? Günter Grass hat vor einem israelischen Atomschlag gegen den Iran gewarnt. Darin drückt er, wie ich wahrnehme in vielen Gesprächen, eine in Deutschland durchaus verbreitete Angst aus. Aber er hat es mit falschen Argumenten und in teilweise sehr unglücklichen Formulierungen getan und mit einem sehr einseitigen Blick. Deshalb kann und soll man ihn in seinem Urteil, in seinen Argumenten widersprechen, ihn in der Sache kritisieren, aber ich halte es für fatal, aus Günter Grass einen Antisemiten zu machen und zu behaupten, aus ihm spreche noch nach 60 Jahren der Waffen-SS-Mann, der er als Jüngling nicht ganz freiwillig gewesen ist. Also ich bin sehr dafür, dass wir politisch streiten, aber nicht dafür, dass wir jemand zum Antisemiten stempeln, nur weil er eine kritisierenswerte Ansicht vertreten hat.
Klein: Das schauen wir uns vielleicht gleich noch an. - Mal zu den Inhalten, Herr Thierse. Israel gefährdet den Weltfrieden und nicht der Iran, das ist eine der Thesen in dem Gedicht. Stimmt das?
Thierse: Ganz so einfach ist selbst das Gedicht nicht, oder jedenfalls das ist ja eine Meinungsäußerung, über die Gedichtsqualität will ich jetzt gar nicht reden. Nein, das ist der einseitige Blick, den ich auch kritisiere. Aber es ist sozusagen aus der Besorgnis heraus, Deutschland liefert ein U-Boot nach Israel und ist damit mit von der Partie.
Was hier auch sich ausdrückt bei Günter Grass ist eine tief gehende deutsche Befangenheit gegenüber Israel. Die ist so durch unsere furchtbare Geschichte. Und mehr noch: Es gibt eine besondere politisch-moralische Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel und seinem Existenzrecht. Das muss man positiv festhalten, auch in der Debatte, in der Auseinandersetzung mit Günter Grass.
Klein: Hätte sein Verantwortungsbewusstsein als eine Person des öffentlichen Lebens, die sich ja immer wieder über Jahrzehnte eingemischt hat, auch politisch in Deutschland, ihm gebieten müssen, sich nicht so einseitig zu äußern, also Israel als eine Bedrohung für den Weltfrieden darzustellen, ohne auch nur zu erwähnen, dass es ein anderes Land ist, das ganz im Gegenteil Israel von der Weltkarte tilgen will, und zwar der Iran?
Thierse: Das ist Teil der notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit Günter Grass, dass er hier die Gewichte falsch verteilt. Nur Israel ist in seinem Existenzrecht bedroht, nicht der Iran. Das ist ganz eindeutig festzuhalten.
Klein: Wie problematisch ist es, Herr Thierse, wenn sich eine Figur wie Grass in dieser Form äußert, die über Jahrzehnte ja als moralische Instanz galt und jetzt in einem so hoch politischen und gleichzeitig auch sehr sensiblen Themenbereich in gewisser Weise daneben liegt, wie Sie auch zugestehen?
Thierse: Es gibt auf der Welt keine moralische Instanz, die gefeit ist vor Irrtum, vor Fehlurteilen. Das muss man festhalten. Aber es ist etwas anderes, wenn man ihn deswegen zum Antisemiten macht. Ich habe gestern oder vorgestern einem Interview mit Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter, zugehört. Der hat die Freiheit, erstens seine eigene Regierung scharf zu kritisieren für das Einreiseverbot. Das hält er für hysterisch, populistisch und falsch. Er widerspricht Grass in der Sache, also in dessen Urteil, aber er nennt ihn ausdrücklich keinen Antisemiten, und ich finde, das ist ein Modell, das ist ein Beispiel, wie wir auch in Deutschland die Auseinandersetzung führen könnten und führen sollten.
Klein: Er hat den jüdischen Staat Israel zur Weltbedrohung erklärt und dafür, wie Günter Grass ja selbst festgestellt hat, viel Zuspruch aus der deutschen Bevölkerung bekommen. Müssen wir das auch Mal auf uns wirken lassen?
Thierse: Darin wird eben etwas, was mich sehr beschäftigt, deutlich. Wenn man Günter Grass wegen dieser, ich wiederhole, einseitigen kritischen Position zum Antisemiten macht, dann ist das fatal aus einem doppelten Grund: Erstens, weil der Eindruck entsteht, Deutsche, höheren oder mittleren Alters, könnten dem Antisemitismus niemals entrinnen, sie würden immer in ihn zurückverfallen, und zweitens und noch viel wichtiger, weil ein gefährliches falsches Vorurteil bestätigt wird, nämlich dass Kritik an Israel und seiner Politik ganz schnell des Antisemitismus verdächtig ist. So liest man ja viele Reaktionen im Internet, und das finde ich ganz falsch, denn so sehr die besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber dem Existenzrecht des Staates Israel gilt, so sehr gilt doch auch, dass unter Freunden kritische Debatten, konkrete Politik möglich ist. Hillary Clinton, die amerikanische Außenministerin, warnt auch Israel vor einem Präventivschlag. Vielleicht muss Deutschland sich in besonderer Weise zurückhalten, aber es darf nicht das Vorurteil bestätigt werden, dass des Antisemitismus verdächtig ist, wer in kritischer, scharfer Weise sich mit israelischer Politik auseinandersetzt. Das wäre, denke ich, falsch, aber das richtet sich jetzt gegen mancherlei Reaktionen auf Günter Grass, die von einer fundamentalen Kritik sind, eben so, dass da wiederum der Antisemitismus der älteren Deutschen sichtbar wird, der alte SS-Mann wiederkehrt et cetera. Da, finde ich, kehren wir zur politischen Auseinandersetzung zurück und nicht zur freudianischen Tiefenanalyse.
Klein: Nach meinem Eindruck, Herr Thierse, wird ja sehr viel die israelische Regierungspolitik kritisiert, in Kommentaren, auch in Interviews, ohne dass man dafür als antisemitisch beschimpft wird. Geht es möglicherweise gar nicht um die Frage, ob das, diese Kritik, antisemitisch sei, sondern um diese Frage auf einer anderen Ebene, nämlich hat er einen antisemitischen Unterton erkennen lassen, als er eben so tat, als müssten wir uns gegen ein von Juden oder dem jüdischen Staat Israel ausgehendes Tabu zur Wehr setzen?
Thierse: Nein. Ich habe ja gerade gesagt, dass ich es für ein gefährliches Vorurteil halte, dass man in Deutschland sich nicht kritisch mit der israelischen Politik befassen dürfe, und dieses Vorurteil wird eher bestätigt, wenn man in einer Schärfe auf Günter Grass reagiert und ihn des Antisemitismus verdächtigt und der alten SS-Mentalität, sondern mein Wunsch ist, dass wir sozusagen die politische Debatte führen, die sich mit den Aussagen von Günter Grass beschäftigt, was ist daran falsch und einseitig, ich habe das vorhin ausdrücklich gesagt, die Bewertung von Iran und Israel ist auf fatale Weise einseitig, und nicht sozusagen den Eindruck erweckt, hier ist nun ein großer alter Mann zu seinen Anfängen zurückgekehrt. Wer so öffentlich darauf reagiert, sage ich, der erzeugt eine Antisemitismusfalle, aus der dann die ältere und mittlere Generation gar nicht mehr entrinnen kann, und das fände ich falsch.
Klein: Noch abschließend, Wolfgang Thierse: Günter Grass selbst hat der Presse in Deutschland den Vorwurf gemacht, sie sei gleichgeschaltet. Das ist insofern nicht ganz nachvollziehbar, als es ja auch durchaus Kommentare und Stellungnahmen gegeben hat, die ihn verteidigt haben und die ihn ausdrücklich in dem Urteil, was Sie jetzt auch gerade etwas kritisiert haben, bestärkt haben. Ist es vielleicht erstaunlich, dass man das eigentlich gelassen hinnimmt, dass die deutsche Presse als gleichgeschaltet bezeichnet wird - ein Ausdruck, den wir wirklich aus dem Naziregime kennen?
Thierse: Also hier hat einer reagiert, der getroffen ist. Im Übrigen: Auch da ärgere ich mich über diese Bemerkung, aber erinnere mich gut daran, dass er nicht der Erste ist, der der Presse so etwas vorgeworfen hat. Punktum!
Klein: Wolfgang Thierse, Bundestags-Vizepräsident (SPD), heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.