Wer sich der Stadt von Osten nähert, sieht herrschaftliches Gemäuer hoch über der Saale. Schon vor dem Jahr 1000 wurde hier durch Otto I. ein Bistum eingerichtet, das allerdings nur 13 Jahre Bestand hatte. Kaiser Heinrich II., den wir aus Bamberg kennen, gründete es 1004 erneut und stattete es ordentlich aus. Sodass in nur sechs Jahren ein Kaiser-Dom gebaut werden konnte.
"Zeugt es einfach davon, wie sehr der Bauherr, der Bischof und vor allem der Kaiser Heinrich II., die Mittel bereitgestellt hat, dass es schnell gehen konnte. Also ein großes Zeichen der Förderung."
Stiftskustos Holger Kunde:
"Wir haben ja hier direkt vor uns die Saale, die uns auch die strategische Bedeutung des Merseburger Bistums vor Augen führt. Am Ostufer begann das slawische Land. Und hier war noch der gesicherte Punkt, deswegen auch diese Erhöhung, die man hier gewählt hat für die Anlage des Ganzen, und die Absicherung durch feste Mauern. Wir sehen sehr schön diesen Zusammenhang von der bischöflichen Burg, die dann zum Schloss entwickelt wurde, und dem Dom in der Mitte und der Klausur, mit dem Kapitelhaus, dem Haus des Domprobstes. All das ist glücklicherweise erhalten geblieben und gibt uns eine Vorstellung, von dem Vermögen, das hier eingeflossen ist."
Merseburger Chronik
Unser Wissen über die Zeit um 1000, über die deutschen Kaiser, über die Ost-Christianisierung verdanken wir dem Bischof Thietmar von Merseburg. Seine Merseburger Chronik beschreibt die 110 Jahre von 908 bis 1018, fast wie ein Tagebuch.
"Für das Zeitalter der Ottonen haben wir sehr wenig erzählende Quellen. Thietmar ist einer, der auch hinter die Kulissen blick, sehr viel berichtet. Damit haben wir wirklich einen tiefen Einblick in die Strukturen des Reiches in jener Zeit, in die Vorgänge, aber natürlich auch in seinen Blick auf die Herrschergestalten der Zeit. Das ist also eine ungemein wichtige Quelle, die auch für unsere östlichen Nachbarn, Tschechen und Polen eine ganz wichtige Quelle ist, weil da dieser Staatsbildungsprozess, der in jener Zeit einsetzt, also um das Jahr 1000, sehr plastisch dargestellt wird. Die Auseinandersetzung mit dem römisch-deutschen Königtum. Das sind Dinge, die wir sonst uns nur mühsam über die Urkunden erschließen könnten, wenn überhaupt. Und hier haben wir eben einen Zeitgenossen, der auch die Geschichten dahinter noch kennt."
500 Jahre nach Thietmar war Thilo von Trotha Bischof in Merseburg. 48 Jahre lang.
Die Sonderausstellung zu seinem 500. Todestag ist keine in sich geschlossene, sondern führt den Besucher durch den Dom und die verschiedenen Gebäude des Schlosses. Warum, erklärt der Kurator Markus Cottin:
"Wir wollten bewusst die authentischen Räume einbinden, an denen Bischof Thilo gewirkt hat, die er zum Teil hat erbauen lassen, und damit dem Besucher vermitteln, dass er sich unmittelbar in der Geschichte selbst befindet. Also er ist nicht irgendwo in sterilen Ausstellungsräumen, sondern er ist am Ort des Geschehens, da wo Bischof Thilo gelebt und gewirkt hat."
Bischof Thilo wird uns vorgestellt als Kunstmäzen und Bauherr. Unter seiner Herrschaft entstand das repräsentative Schloss, wurde der Dom umgebaut. Zu seinem Bistum gehörte die damals schon wichtige Handels- und Universitätsstadt Leipzig. Er war einer der Großen um 1500.
"Die Ausstellungsvorbereitung, die intensiven Forschungen haben erbracht, dass, dass er im Grunde eine europaweite Bedeutung hatte. Also er unternimmt Reisen nach Rom, nach Dänemark, nach Breslau - in ganz enger Verbindung zu den Kurfürsten von Sachsen. Er geleitet die polnische Königstochter Hedwig zur Landshuter Fürstenhochzeit durch das Kurfürstentum Sachsen. Er hat also eine wichtige Rolle in diesem mitteldeutschen Machtgefüge und nutzt das auch ganz geschickt aus, indem er sich an die Wettiner anlehnt und an die Magdeburger Erzbischöfe und sich damit immer wieder als Reichsfürst behaupten kann. "
Als Reichsfürst war er geistlicher und weltlicher Herrscher zugleich. Seine Bischofskapelle im Dom ist nun vollständig restauriert.
"Augenfällig sind die Darstellungen der Merseburger Bischöfe vom ersten bis zur Zeit Thilos von Trotha. Das hat Thilo von Trotha anfertigen lassen, genau wie dieses wunderbare Epitaph aus der Fischer-Hütte in Nürnberg, feuervergoldet, in einer unglaublichen Qualität und Brillanz, die doch überrascht. Darunter das Tumben-Grab, auch das aus der Fischer-Hütte Nürnberg, mit einer Darstellung des Bischofs auf der Deckplatte und einer rühmenden Inschrift, die den Thilo als den Bauherren von Kirchen und Palästen und als Förderer der Künste hervorhebt."
Merseburger Zaubersprüche
In einem Keller-Gewölbe werden wie in einer Schatzkammer die Merseburger Zaubersprüche präsentiert. Sie sind ja auch ein besonderer Schatz. Beate Tippelt:
"Das sind magische Beschwörungsformeln aus vorchristlicher Zeit. Sie wurden zwar im 10. Jahrhundert aufgeschrieben, aber der Inhalt ist eben viel älter. Dass die alten Götter genannt sind im zweiten Spruch, das hat man sonst nicht noch einmal. Wir kennen zwar den Bamberger Blutsegen oder den Lorscher Bienensegen, aber die sind praktisch christianisiert. Das ist in den Köpfen der Menschen gewesen und im 10. Jahrhundert war es durchaus noch legitim, dass man auf so alte Dinge zurückgegriffen hat. Und hier dadurch, dass die alten Götter genannt sind, ist das was Besonderes. Und den Namen haben sie ja dann von den Brüdern Grimm, und die haben sie gewürdigt sogar als Vorgänger der deutschen Sprache."
Zum Beispiel der zweite Spruch. Es geht um einen verrenkten Fuß und hier die Beschwörung am Ende des Spruchs:
"sosebenrenki sose bluotrenki soselidi
renki ben zibenabluot zibluoda
lid zigeliden sosegelimida sin.
renki ben zibenabluot zibluoda
lid zigeliden sosegelimida sin.
Wie die Beinrenke, so die Blutrenke, wie die Gliedrenke
Bein zu Beinen, Blut zu Blute, Glied zu Gliedern.
So als ob geleimt sie seien."
Bein zu Beinen, Blut zu Blute, Glied zu Gliedern.
So als ob geleimt sie seien."
Ein weiterer Schatz befindet sich auf dem gegenüber liegenden Saale-Ufer – die Neumarktkirche. Von außen gesehen hat der flache, romanische Bau merkwürdig kurze Säulen. Das liegt daran, dass über die Jahrhunderte der Saale-Pegel stark gestiegen ist und das Gelände rings um die Kirche aufgeschüttet wurde. Das Portal hat man versetzt, immer weiter nach oben.
Vom Eingang steige ich mit Pfarrer Martin Eberle eine Treppe tief runter.
"Und jetzt bewegen wir uns nicht auf den originalen Fliesen, aber auf dem Fußboden aus der Gründungszeit. Diese Kirche wurde erstmalig erwähnt im Jahr 1188 in einer Urkunde von Kaiser Friedrich Barbarossa."
Nicht nur außen, auch drinnen wurde kräftig aufgeschüttet. Die Kirche war viel niedriger als jetzt.
"Die Vorfahren hatten - eben wegen des gestiegenen Saale-Pegels durch die Regulierung der Saale und damit verbunden dem gestiegenen Grundwasserspiegel - Kies eingefüllt. 1991 bis 1995, als es mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz als eines der Modelprojekte hier restauriert werden konnte, hat man sich entschieden, wieder auf den mittelalterlichen Baugrund hinunter zu gehen. Wir haben hier jetzt einen wunderbaren romanischen Kirchenraum mit entsprechender Akustik, sehr schön für gregorianischen Gesang, für Chorgesang. Wir stehen in einer sanierten Kirche, in der der ursprüngliche Raumeindruck aus dem Mittelalter, aus dem 12. und 13. Jahrhundert wieder hergestellt worden ist."
Die romanische Kirche wurde gerettet und als Denkmal erhalten, ist jedoch keine Pfarrkirche, sondern beherbergt moderne sakrale Kunst. Wie die große Kreuzigungsgruppe vor roter Wand.
"Körper von Menschen, leblose Körper, getötete Menschen, auf verschiedene Art und Weise hingerichtet. Die ganzen Figuren angebracht auf den Wänden eines Zugwaggons, in dem Menschen auch im 20. Jahrhundert transportiert worden sind in den Tod hinein."
Ein überdimensionales eindringliches bewegendes Triptychon, in der Neumarktkirche von Merseburg.