Und über genau diesen Siegeszug, den viele auch für eine Katastrophe halten, nicht nur weil er, wie die katholische Kirche meint, die Sexualität entwerte, weil er den Akt der Zeugung vom Sex trennt, sondern auch weil er den Körper der Frau einem Eingriff unterzieht, der mal als Befreiung, mal als Belastung empfunden wird - über diesen Siegeszug macht sich Djerassi nun im neuen Buch mehr Gedanken als zuvor. Die Pille hält er nach wie vor für einen Gewinn für die Frau. Weil sie die Hoheit über ihre Fortpflanzung bekam, negative Folgen wie täglicher Druck, Hormonveränderungen interessieren Djerassi kaum. Großes Interesse findet er jedoch an den heutigen Veränderungen in der Reproduktionsmedizin. Für die die Pille quasi die Tür geöffnet hat: Djerassi plädiert für die frühzeitige Sterilisierung von Mann und Frau. Die ihre Eier und Spermien einfrieren lassen sollten, wie es heute ja bereits geschieht, um ungehemmt und unbeschwert Sex haben zu können, wenn sie ein Kind haben wollen, gehen sie zur Bank und lassen im Labor im Reagenzglas eines zeugen. Das ist die schöne neue Zukunft unserer Welt!
Interessanter noch als diese Zukunftsausblicke und als die Ausflüge in die Vergangenheit sind jedoch die Einblicke in sein privates Leben. Die Carl Djerassi - ganz Charmeur, Fabulierer und genauer Wissenschaftler in einem - gibt. Der Leser erfährt nicht nur alles über die Pille. Sondern auch wie Djerassi zum mittlerweile anerkannten Romancier geworden ist (um sich an seiner ersten Frau zu rächen, einer Literaturwissenschaftlerin, die ihn verließ, hat er ein ganzes Genre, "Science-in-Fiction", also Wissenschaftsromane erfunden), man erfährt von diesem nicht uneitel zu nennenden Autor viel darüber, wie er seine Abende verbringt (mit Opern- und Konzertbesuchen nämlich, vor allem in London, seinem zweiten Domizil), und wer nicht nur etwas über die Pille, sondern auch über ihren rastlos reisenden Erfinder erfahren will, der die Doktorhüte zuhauf sammelt wie auch die Werke der Klassischen Moderne, der liegt mit der neuen und wohl auch abschließenden Autobiografie, die fast wie ein Tagebuch der Pille daherkommt, mehr als richtig! Eine spannende Reise durch das Universum einer wissenschaftlichen Leidenschaft und eine Entdeckungsfahrt durch die reichen Welten eines vielseitig begabten Mannes! Eben: Sex, Kunst und Unsterblichkeit!