Fünf großformatige Leinwände, auf denen Aufstieg und Fall einer mythischen Zivilisation dargestellt sind: Die Wildnis, in der fellbekleidete Jäger in Zelten leben, verwandelt sich in ein idyllisches Arkadien mit grasenden Schafen und ätherischen jungen Frauen; eine gewaltige Stadt entsteht, mit säulenbestandenen Tempeln, doch die Menschen steuern auf den Untergang zu; die Stadt zerfällt, Krieg und Seuchen rotten die Menschen aus; das letzte Bild zeigt die desolaten Ruinen, doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Der Mond scheint noch, und die Natur beginnt sich zu regenerieren.
Der 1834 bis 36 entstandene Zyklus "The Course of Empire" gilt als Thomas Coles wahres Meisterstück. Der Moralist warnte sein Publikum vor den verheerenden Folgen von Fortschritt, Gier und sündhaftem Leben.
Lehrjahre in Europa
Der Autodidakt war 28, als er auf Anraten eines Gönners nach Europa reiste, um von den Altmeistern und von den damaligen Landschaftsmalern zu lernen. In London, in der kürzlich gegründeten National Gallery, war er zutiefst beeindruckt von Claude Lorrains "Seehafen mit Einschiffung der Heiligen Ursula", er freundete sich mit John Constable an, der wie er dem Fortschritt skeptisch gegenüberstand, und er lernte von William Turner. In Florenz studierte er die Altmeister, in Rom wurde ihm der Zerfall eines Weltreiches vor Augen geführt.
In der Londoner Schau sind auch einige der Werke von Lorrain, Constable und Turner zu sehen, die Cole beeinflussten. Allerdings in einem gesonderten Raum, denn ein direkter Vergleich wäre ein wenig unfair, räumt Kurator Daniel Herrmann ein:
"Mit Claude Lorrain, Turner und Constable ist es natürlich grundsätzlich schwer mitzuhalten. Er ist aber einer der einflussreichsten Maler in den Vereinigten Staaten, und zu sehen, wie verschiedene europäische Traditionen sich dann in Amerika fortführen und weiter getragen werden, das ist auf jeden Fall sehenswert und spannend."
Nach seiner Rückkehr siedelte sich Thomas Cole in den Catskill Bergen im Tal des Hudson nördlich von New York an. Fast drei Jahre lang arbeitete er dort an dem großen Zyklus "The Course of Empire". Kurz vor dem Ende unterbrach er die Arbeit und schuf das Gemälde, das ihn endgültig berühmt machte, und das auch heute noch als das Zentrum seines Werks angesehen wird: "View From Mount Holyoke, Northampton, Massachusetts, after a Thunderstorm", das als "The Oxbow" bekannt ist.
Thomas Cole, der Umweltschützer?
Der sich fast wie ein Fragezeichen schlängelnde Fluss teilt das Bild in zwei Teile: Die linke Hälfte zeigt die ursprüngliche Wildnis, über deren Hügeln die grauen Gewitterwolken hängen, die rechte die vom Menschen gezähmte Flusslandschaft - geordnete Felder und Wiesen, soweit das Auge reicht. Im Vordergrund ein Selbstbildnis des Malers. Er blickt den Betrachter direkt an und scheint zu fragen: Wollen wir wirklich unsere Landschaft so ruinieren oder sie nicht lieber in ihren ursprünglichen Zustand zurückführen?
Die Schau versucht, Cole als eine Art "Proto-Umweltschützer" darzustellen. So ganz gelingt das nicht: Er ist eigentlich ein rückwärtsgewandter Romantiker, der allerdings großen Einfluss auf die amerikanische Landschaftsmalerei hatte, und eine ganze Schule, die "Hudson River School", ins Leben rief.
Dialog der Landschaftsmaler
Eine zeitgleich stattfindende Schau zeigt, wie die amerikanische Landschaftsmalerei heute ähnliche Themen angeht. 1992 malte der Kalifornier Ed Ruscha auf fünf monochromen Gemälden imaginäre Industriegebäude. Für die Venedig Biennale 2005 schuf er fünf weitere Werke, diesmal farbig, und brachte die Industriegebäude auf den neuesten Stand: Verfall hatte eingesetzt. Die paarweise übereinander gehängten 10 Gemälde, die Ruscha nach Cole "Course of Empire" nennt, sind ein scharfer politischer Kommentar und eine perfekte Paarung mit dem Romantiker Thomas Cole. Noch einmal Daniel Herrmann:
"In der Beziehung der beiden Ausstellungen zueinander möchten wir sehen, dass verschiedene Künstler zu bestimmten Zeiten verschiedene Ideen von Geschichte haben, verschiedene Ideen von Fortschritt und verschiedene Ideen der Kritik dieser beiden Konzepte. Und das spielt zusammen, das steht im Dialog."
Die eigentliche Aufgabe der National Gallery ist ja die Pflege der Altmeister, und nicht die der Kunst von heute. Doch der Dialog, den das Gestern und das Heute hier führen, macht das Unternehmen durchaus fruchtbar.